Militärseelsorger sind in der heimischen Kaserne und im Auslandseinsatz oft Begleiter, Tröster und Eheberater. Zwei Geistliche und drei Soldaten über ihre Erfahrungen mit Bundeswehr und Kirche

In einer Männerdomäne wie der Bundeswehr arbeiten? Um Himmels Willen, das konnte sich Gertrud Schäfer, 53, nicht vorstellen. Mit Waffen und Panzern wollte sie nie etwas zu tun haben. Sechs Jahre lang hatte die Frau mit dem fröhlichen Gesicht und den blonden Haaren eine kleine evangelische Kirchengemeinde in Sehestedt am Nordostseekanal geleitet, als sie im Frühjahr 2003 gefragt wurde, ob sie nicht Militärpfarrerin werden wolle? "Ich? Nie!", hat sie gesagt.

Jetzt steht Gertrud Schäfer in der Bundeswehr-Hochschule in Wandsbek und ist in ihrem schwarzen Kleid nicht sofort als Pastorin auszumachen. In einer Ecke steht eine Orgel, an einer Wand befindet sich ein Altar mit einem schlichten Holzkreuz drauf. Zwei Dutzend junge Leute mit olivgrünen Anzügen und schwarzen Stiefeln erhalten hier "Lebenskundlichen Unterricht". Er soll sie in die Lage versetzen, Entscheidungen zu treffen und sie zu hinterfragen. Die Soldaten arbeiten als Kraftfahrer, im Personalwesen oder in der Druckerei.

Einmal im Monat trifft Bundeswehr hier auf Kirche. Auf die evangelische und die katholische, immer im Wechsel. "Wir machen hier aber keinen Religionsunterricht", hat Gertrud Schäfer gleich am Anfang der zweistündigen Sitzung gesagt. Es geht um Themen wie Identität und Toleranz, Freiheit und Gewissen. Der Unterricht gehört neben der Betreuung der Soldaten an den Standorten und bei Auslandseinsätzen durch Gespräche und Gottesdienste sowie der Organisation von "Familien-Rüstzeiten" zu den vielfältigen Aufgaben der Militärpfarrer.

Bevor sich Gertrud Schäfer endgültig gegen die Militärseelsorge entschied, hat sie gesagt: "Na gut, ich kann mir das vorher ja zumindest einmal angucken." Sie ist in die Kaserne nach Rendsburg gefahren und hat mit den Soldaten und Offizieren der Heeresflugabwehrschule, des Lufttransportgeschwaders und des Fernmeldebataillons 610 gesprochen. Sie blieb acht Jahre dort. "In einer für mich anfangs völlig fremden Welt."

Warum? Ihr Vater, erzählt sie, sei noch als 16-Jähriger eingezogen worden und schwer traumatisiert aus dem Krieg zurückgekehrt. "Er konnte nie einen Grill riechen und hat Männergesellschaften gemieden. Die waren ihm ein Greuel." Vielleicht, vermutet sie, rühre daher ihre Bereitschaft, in diesem Bereich seelsorgerisch tätig zu sein.

Es ist oft ein Grenz-Bereich. Gertrud Schäfer hat die Todesnachricht an Angehörige und Kameraden überbracht, wenn junge Soldaten zu Tode gekommen waren. Sie sagt, dass ihr "bei aller Liebe, immer noch nicht klar geworden ist, warum jemand Soldat wird". Und betont, dass sie nie zuvor so viele vorbildliche Staatsbürger kennengelernt hat. Menschen, die sich über die Tragweite ihres Handelns im Klaren sind. Die Verantwortung übernehmen wollen. Die sagen: "Ich stehe für diesen Staat ein - und zwar sogar mit meinem Leben."

Vor allem bei Übungseinsätzen im Ausland ist sie "ihren Gemeindemitgliedern" sehr nahe gekommen. Sie hat ihnen gesagt, dass es sehr hilfreich sein kann, seine Sorgen und Nöte an Gott abzugeben. "Als Militärseelsorgerin geht es vor allem darum, da zu sein." Miteinander zu schweigen, zu warten, zu frieren. Zuzuhören, wenn abends am Lagerfeuer die Geschichten kommen. Die Fragen nach dem Sinn.

"Gelegenheit macht Seelsorge", sagt sie. Sie hat viele junge Frauen und Männer aus den neuen Bundesländern getauft. Und auch die jungen Leute, die mit Kirche nichts am Hut haben, wissen, dass sie sich in einem geschützten Raum befinden, wenn sie ihre Seelennöte preisgeben. "Wissen Sie, mir ist der Glaube abhanden gekommen", bekommt sie dann zu hören, "aber es ist gut, dass Sie da sind."

Gertrud Schäfer, Mutter von zwei erwachsenen Kindern, hat die Soldaten über all die Jahre "in kritischer Solidarität" begleitet. Sie findet, "dass es unsere Aufgabe ist, bei den Menschen zu sein, die uns brauchen."

Christiane Müller, Soldatin

Menschen wie Christiane Müller, 33. Die Krankenschwester aus Lauchhammer in der Niederlausitz ging 2004 zur Bundeswehr, weil sie nach sechs Jahren was anderes machen wollte. Ihr erster Auslandseinsatz als Anästhesie-Feldwebel führte die groß gewachsene Frau mit den kurzen schwarzen Haaren 2006 auf dem Balkan, 2009 ging es nach Feyzabad in Afghanistan. Als sogenanntes "Touch-Girl" musste sie die weiblichen Lagerbesucher abtasten und arbeitete im Schockraum, wo Schwerverletzte erstversorgt wurden.

Sie sagt, dass Afghanistan jeden verändert. Sie beschreibt die Militärseelsorge als "wichtigste Anlaufstelle" für die Soldaten im Auslandseinsatz. In einer Situation, in der man keine Privatsphäre mehr habe, in Zwei-oder Drei-Bett-Zimmern liege und nicht einmal unter der Dusche alleine sei, sei es wichtig, "dass es einen Ort gibt, an dem man sich einmal in Ruhe zurückziehen kann".

Hatte sie vor Ort Angst? "Die kann man sich eigentlich nicht leisten. Man muss ja funktionieren." Das schlimmste sei der Tod eines jungen deutschen Soldaten gewesen, der erst fünf Tage zuvor nach Afghanistan gekommen war.

Christiane Müller hat ihren Laptop mitgebracht. Dort sind Fotos drauf, die sie während ihres Einsatzes in Afghanistan geschossen hat. Es sind schockierende Bilder, die einem sehr brutal die Augen öffnen für das, was die junge Frau in der Bundeswehr-Uniform im Ausland geleistet hat. Was sie mit ansehen und verarbeiten musste.

Die Bilder sind im Laptop abgespeichert, aber sie sind natürlich auch in ihrem Kopf. "90 Prozent der Menschen, die wir im Lazarett-Zelt behandelt haben, waren Einheimische", sagt sie. Davon seien bestimmt 80 Prozent Kinder gewesen. Sie wurden mit Verbrennungen und Schusswunden zu ihr gebracht. Es sind weinende Kinder auf den Fotos, denen die Finger durch Minen abgerissen worden sind. Andere, denen gerade unzählige Splitter aus ihren kleinen Körpern raus operiert worden sind.

Man sieht die Tränen auf den Bildern, die Schreie hört man nicht.

"Wir haben von Montag bis Sonntag durchoperiert", sagt sie. Und erzählt, dass sie manchmal zu dem Militärseelsorger gegangen ist, dort eine Packung Tempotaschentücher auf den Tisch gelegt und sich dann einfach nur mal richtig ausgeheult hat.

Gerson Seiß, Seelsorger

Gerson Seiß, 54, kennt solche Situationen. Der freundliche Brillenträger mit den kurzen grauen Haaren und dem gepflegten Bart sitzt in einem hellen Raum, der Blick geht durch große Fenster in den Garten des Pfarrhauses in Neumünster. Seit drei Jahren ist er an diesem idyllischen Ort Pastor.

Sein Zimmer in einer Blechbaracke im "Camp Warehouse" in Kabul hatte 18 Quadratmeter. Ein Bett, einen Schrank, einen Tisch für den Computer, eine kleine Sitzecke. Auf dem Boden Teppich, an der Wand die Bilder von seinen beiden Kindern, die heute 13 und 16 Jahre alt sind. 2004 war er das erste Mal als Militärpfarrer für sechs Monate in Kabul. "Damals war die Situation ziemlich ruhig", sagt er. "Ich konnte viele Patrouillenfahrten mitmachen, um die Wirklichkeit der Soldaten zu teilen."

Drei Jahre später, als er noch einmal für vier Monate in Kabul war, durfte er das Camp nur noch mit dienstlicher Genehmigung verlassen. Zu gefährlich war es inzwischen auch in Afghanistans Hauptstadt geworden. "Ich bin eigentlich kein ängstlicher Mensch", sagt Gerson Seiß. "Aber man hat schon tief durchgeatmet, wenn man wieder heil im Lager war und der Schlagbaum hinter einem runter gefallen ist."

An Gerson Seiß lässt sich das Dilemma aufzeigen, in dem sich diese Republik befindet. Die Wandlung einer Mission, die so gut gemeint war. Und nun zunehmend in Frage gestellt wird. Vor einem Jahr sprachen sich in einer Allensbach-Umfrage nur noch 22 Prozent für eine weitere Beteiligung deutscher Soldaten am Afghanistan-Einsatz aus. "Als wir 2004 hier waren, ging es darum, den Frieden zu sichern, Straßen und Krankenhäuser zu bauen", sagt Seiß. Mit dem Widererstarken der Taliban hätten sich die Gewichte verschoben, "hin zu kriegsähnlichen Zuständen". 86 Prozent der Deutschen sind der Meinung, die Bundeswehr befinde sich in Afghanistan "im Krieg".

Es ist ein Krieg mit Toten. Es gibt gefallene deutsche Soldaten. Als 2007 drei Soldaten auf dem Markt in Kundus einkaufen wollten und bei einem Selbstmordanschlag ums Leben kamen, ist auch der Militärseelsorger Seiß an seine Grenzen gestoßen.

Sie haben in Kabul halbmast geflaggt, "und dann war der Pfarrer dran und sollte etwas sagen". Seiß spricht davon, wie schwer es ihm fiel, in dieser schlimmen Situation "belastbare Argumente dafür zu finden, dass der Tod der drei jungen Deutschen einen Sinn gehabt haben könnte".

Wer sich an Gewalt gewöhnt, heißt es, wird am Ende selbst der Gewalt erliegen. Natürlich sei das ein Dilemma, sagt Seiß. Er spricht bei dem Einsatz der Kirche von einem "rein seelsorgerischen Mandat". Und das teile er "zu hundert Prozent". Es ginge als Pfarrer nicht darum, "den Soldaten die Ängste zu nehmen, um sie wieder kampffähig zu machen". Es gehe darum, "ein Licht anzuzünden, wo es dunkel ist".

Es geht im Krieg nicht nur um Leben und Tod. Es geht auch um seelischen Beistand im Alltag. Wenn es plötzlich die Gottesdienste sind, die der Woche eine Struktur geben. "Ein Sonntag ist dann kein Mittwoch mehr", sagt Seiß. Einmal in der Woche hat er im Camp einen Gesprächskreis und alle 14 Tage ein Skatturnier veranstaltet.

Das wichtigste waren die Gespräche. Er hat zugehört, wenn ihm junge Soldaten von ihren Problemen mit der Freundin erzählt haben. Warum ruft sie nicht an? Nicht nur einmal, sagt Gerson Seiß, habe er selbst die Freundin angerufen. Wenn er merkte, wie hilflos der junge Mann war und dass sich etwas in der Beziehung hochgeschaukelt hatte.

Überhaupt seien die persönlichen Konflikte das häufigste Problem. Die lange Trennung, die verschiedenen Welten, die irgendwann nicht mehr vereinbar sind, wenn man aufhört zu reden. Seiß erzählt von der Mutter, die das gesamte Geld des Sohnes ausgegeben hat, als dieser in Kabul war. Und von dem älteren Soldaten, der sich vor Ort neu verliebt hat. Er sagt auch, dass nach seinen Erfahrungen "eine gute Ehe durch den Auslandseinsatz vielleicht noch besser wird", während bei einer schlechten Beziehung durch die lange Trennung "sehr schnell die Sollbruchstellen sichtbar werden".

Jörg Peters, Soldat

Angela und Jörg Peters sind jetzt 26 Jahre verheiratet. Angela erzählt die Geschichte von den Teelichtern. 30 Stück standen auf der Fensterbank in ihrem Haus in Neumünster. Das war ein Signal für ihre drei Kinder, damals vier, sieben und zehn Jahre alt. Anhand der kleinen Lichter konnten sie sehen, wie viele Tage es noch dauert, bis ihr Papa nach den langen Monaten Abwesenheit aus dem Bosnien-Einsatz wieder nach Hause kommen würde. Vor zwölf Jahren war Jörg Peters als Soldat in Sarajevo. "Wenn man so lange weg ist, lernt man seine Frau ganz neu kennen", sagt Jörg Peters, 50. Der Stabsfeldwebel im Wehrbereichskommando I in Kiel erzählt, wie er den Posten als Familienoberhaupt vorübergehend abgegeben hat. Wie plötzlich die Frau zu Hause alles ganz alleine managen musste. Den Alltag, die Kinder, die Reparaturen im und am Haus. "Wenn man einen Partner hat, der unbeholfen ist, gibt es sicher Probleme", sagt Jörg Peters.

Sie haben die Trennung damals auch als Chance begriffen. Einfach war es nicht. Sie hatten die Kirche an ihrer Seite.

Fast sechs Monate hat seine Frau sämtliche Entscheidungen getroffen. Als er wieder kam, musste auch sie erst mal begreifen, "dass sie wieder etwas abgeben muss". Jörg Peters hat in Sarajevo die Militärseelsorge genutzt, "um im Kirchenzelt einfach mal abzuschalten". Wichtiger für ihn und seine Frau waren in Deutschland die "Familienrüstzeiten". Gemeinsame Freizeiten mit den Kameraden und deren Familien, organisiert von der Militärseelsorge. Atem holen, Kraft schöpfen und die Möglichkeit für die Frauen, sagt Angela, "sich mal drei Tage lang an einen gedeckten Tisch setzen zu können". Oder sich ungestört mit dem Partner unterhalten zu können, während die Kinder betreut werden.

Noch heute trifft sich die Gruppe einmal im Jahr. 30 bis 40 Leute. Zuletzt waren sie über Pfingsten in Berlin. Sie gucken sich die Stadt an, halten Morgenandachten, singen und beten, feiern Gottesdienst zusammen. "Wer nicht möchte, kann wegbleiben", sagt Angela. Es kommen immer alle.

Bei den Rüstzeiten geht es vor allem um den Austausch. Wie kommen eure Kinder mit der Trennung vom Vater klar? Wie schlimm ist ein Weihnachten ohne Papi? Wie werdet ihr mit der Angst fertig? Es tut einfach gut zu erfahren, dass man mit seinen Problemen nicht allein ist. Jörg Peters sagt, dass der Einsatz in Bosnien nicht sehr gefährlich gewesen sei. Aber es gab manchmal Beschuss und ständig Minengefahr. "Noch heute ist bei mir eingebrannt, nicht einfach über eine Rasenfläche zu laufen."

Klaus Kuhlen, Soldat

Oberst Klaus Kuhlen, 59, kennt solche Angewohnheiten. Er ist seit 1971 bei der Bundeswehr, war für die NATO fast ein Jahr auf dem Balkan und im Kosovo. Ein tatkräftiger Mann mit einem kantigen Gesicht und kurzen grauen Haaren, der nach dem Motto lebt: "Bevor es ein anderer macht, mache ich es lieber selbst."

Er erzählt von dem Vater, der nach dem Auslandseinsatz zu Hause seinen Kindern vorgeschrieben hat, den Teller leer zu essen, weil er so viel Elend mit angesehen hat. Von Frauen, die ihre Männer nach sechs Monaten vom Flughafen abholen. Und auf der Heimfahrt nicht schneller als 50 Stundenkilometer fahren dürfen, weil der Mann, der monatelang über staubige Straßen mit gewaltigen Schlaglöchern gefahren ist, hohe Geschwindigkeiten einfach nicht mehr erträgt.

Er sagt, dass er nach seinem ersten Balkan-Einsatz nahezu ein Jahr gebraucht habe, um wieder durchschlafen zu können. Dass er sich bei seiner Frau immer abgemeldet habe, auch wenn er nur in den Garten gegangen ist. Und sich im Restaurant immer in die hinterste Ecke gesetzt habe. Mit dem Rücken zur Wand, bis seine Frau ihn gefragt hat, ob sie sich nicht einfach mal nach vorne ans Fenster setzen könnten.

Oberst Kuhlen weiß, wie der Krieg die Menschen verändert. Wie er aus Tatkräftigen Leidende macht. Auch immer mehr deutsche Soldaten sind von posttraumatischen Belastungsstörungen (PTBS) betroffen. Wenn plötzlich die Seele verwundet ist, weil sie das Geschehene nicht mehr verkraften kann. Wenn jede Nacht der Krieg im Kopf tobt. Dann seien zwar in erster Linie die Mediziner gefordert sind, sagt er, "aber wenn keiner da ist, tritt der Pastor an ihre Stelle".

Klaus Kuhlen ist heute in Munster an der Heeresflugabwehrschule. "Ich bin Schuldirektor", sagt er und lächelt. Er war lange Vorsitzender der Gemeinschaft evangelischer Soldaten. "Die Pfarrer im Ausland sind für die Soldaten Kummerkasten und Tröster. Und sie sind immer erreichbar." Er hält die Militärseelsorge für unverzichtbar und sagt, dass man nach der Wende manchen jungen Leuten aus den neuen Bundesländern erst einmal erklären musste, wer Jesus gewesen ist. "Hier mag es nicht so cool sein, an Gott zu glauben", sagt er. Im Auslandseinsatz aber werde plötzlich wieder gebetet. "Weil das sehr beruhigend ist." Und es sei gut, wenn die jungen Soldaten ihn im Gottesdienst sehen. So'n alten Mann, der sich da vorne einfach hinstellt und sagt: "Ja, ich glaube an Gott."