Einmalig in Europa: In der Kläranlage Köhlbrandhöft/Dradenau wird nicht nur Abwasser aufbereitet, sondern auch Energie erzeugt.

Dort, wo der Köhlbrand in die Norderelbe fließt, zu Füßen der Köhlbrandbrücke, liegt ein Hamburger Vorzeigeprojekt, das maßgeblich zum Titel der europäischen Umwelthauptstadt beitrug: die Kläranlage Köhlbrandhöft/Dradenau. Die zehn Faultürme, in denen Bakterien aus Klärschlamm Methan produzieren, sind ihr weithin sichtbares Kennzeichen, und sie stehen für die Zweitnutzung der Abwasser-Reinigungsanlage: "Wir wollen die Kläranlage zum Energieproduzenten machen", sagt Christian Günner, beim Betreiber Hamburg Wasser für die technischen Fortschritte der Trinkwasserbereitung und des Klärwerks verantwortlich.

Auf dem Weg über das Betriebsgelände entlang des Containerterminals Tollerort erinnert zunächst alles an eine ganz normale Kläranlage. Das Rechenhaus, in dem vor allem Toilettenpapier aus dem Hamburger Abwasserstrom herausgefiltert wird, ist die erste Durchgangsstation für die graue Brühe - und die Besucher. Jede Sekunde erreichen vier Kubikmeter Abwasser das Klärwerk. Kommt es aus Poppenbüttel, so war es gut einen Tag im Hamburger Sielnetz unterwegs. Jeder Tropfen verbringt im Schnitt 24 Stunden im Klärwerk, bevor er in die Elbe entlassen wird. Er bringt seine Schmutzfracht zunächst zur mechanischen Reinigung, wo ein Teil auf den Boden absinkt. Weiter geht's in die biologische Klärung. Hier zerlegen Bakterien die organischen Bestandteile, entfernen Kohlen- und Stickstoff aus dem Abwasser und vermehren sich so zahlreich, dass sie als Flocken zusammenklumpen. Große Rührer durchpflügen das Wasser, versorgen die mikroskopisch kleinen Mitarbeiter mit Sauerstoff. Die Klärbecken tragen Deckel. An deren Öffnungen tritt der "Atem" der Bakterien aus, er riecht leicht nach Kompost, auch ein bisschen nach Reinigungsmitteln, insgesamt fast angenehm. Auch am Überlauf der Becken kann man tief durchatmen - "gut belüftetes Abwasser riecht nicht", erklärt Günner.

Anschließend fließt das Wasser durch eine Pipeline im Flussbett des Köhlbrand ans andere Ufer, zum Klärwerksteil Dradenau. Dort befindet sich die zweite, gründlichere biologische Klärstufe. "Wenn das Wasser unseren Betrieb verlässt, sind das organische Material zu 99 Prozent sowie die Nährstoffe Phosphor zu 93 und Stickstoff zu 80 Prozent entfernt", sagt Klärwerkschef Hartmut Schenk.

Zum Umweltvorreiter wird die Kläranlage jedoch erst durch die Verwertung des Klärschlamms aus der biologischen und der mechanischen Klärstufe. Der Mix aus Bakterienklumpen und Schmutz ist energiereich und liefert einen Großteil des Stroms und der Wärme, die das Klärwerk-Duo beiderseits des Köhlbrands verbraucht. Ausgangsstation dafür sind die silbernen "Eier", die das Betriebsgelände optisch dominieren.

Bei 37 Grad, luftdicht abgeschlossen und unter kontinuierlichem Umrühren zerlegen Bakterien, die - im Gegensatz zur Verwandtschaft in der biologischen Klärstufe - ohne Sauerstoff auskommen, das organische Material. "Wir bilden in den Türmen den Darm nach", erklärt Schenk. Bei der technischen Verdauung entsteht Faulgas, das zu zwei Dritteln aus Methan und zu einem Drittel aus CO2 besteht. "Wir haben hier praktisch die größte Biogasanlage Norddeutschlands", sagt Schenk, "aber natürlich ist die Energie nur ein Nebengleis, unser Hauptjob bleibt die Abwasserreinigung."

Das Methan aus den Faultürmen speist zum kleineren Teil einen Gasmotor, der Strom und Wärme produziert und mit einer elektrischen Leistung von zwei Megawatt mit größeren Windenergieanlagen mithalten kann. Der Großteil des Faulgases speist eine Gasturbine - Teil eins der Energieerzeugung. Ein ebenso effektiver Energielieferant ist der ausgefaulte Schlamm, der alle 21 Tage die Türme verlässt - in Richtung VERA.

Die vier Buchstaben stehen für "Verwertungsanlage für Rückstände aus der Abwasserbehandlung", doch inzwischen heißt sie "Monoklärschlammverbrennungsanlage". Aber bevor der Faulschlamm in der VERA Strom und Wärme erzeugen kann, muss er getrocknet werden, denn er enthält 97 Prozent Wasser. Ist der Wassergehalt per Zentrifuge und Ofen auf 58 Prozent reduziert, kann der Brennstoff mit Braunkohle mithalten und kommt in der VERA zum Einsatz.

Sie ist ein betriebseigenes Blockheizkraftwerk. Günner: "Wir verbrennen den Schlamm und treiben damit eine Dampfturbine an, um Strom zu erzeugen. Zusammen mit der Gasturbine haben wir eine elektrische Leistung von gut zehn Megawatt. Unterstützt vom Gasmotor können die beiden Turbinen unseren Strombedarf zu 80 Prozent decken." Die größten Stromverbraucher seien derzeit die Belüfter der biologischen Klärstufe auf dem Köhlbrandhöft. Sie sollen demnächst modernisiert werden, um Strom zu sparen. Zudem werden auf der Dradenau zwei Windrotoren mit jeweils 2,5 Megawatt Leistung aufgestellt. Der eine dreht sich für Hamburg Energie, den städtischen Ökostromversorger, der andere soll dafür sorgen, dass das Vorzeige-Klärwerk in naher Zukunft seinen Strombedarf zu 100 Prozent aus erneuerbarer Energie decken kann, die es selbst umwandelt - aus Bioenergie, die täglich kubikmeterweise ins Werk strömt.

Neben Strom braucht das Klärwerk Wärme, denn die Faultürme müssen ihre Temperatur von 37 Grad halten. Doch hier herrscht kein Mangel. VERA, die Gasturbine und der Gasmotor erzeugen mehr Wärme, als die Kläranlage verwerten kann. Deshalb heizt ein Teil auch die Werkstätten und das Bürogebäude des benachbarten Containerterminals.

Seit Jahren wird auf dem Köhlbrand in neue Technik investiert, sobald dies wirtschaftlich vertretbar ist. Schenk: "Wir machen alles ökologisch Sinnvolle, was eine schwarze Null schreibt." Dabei helfe, dass das Werk mit einer Klärleistung von drei Millionen Einwohner-Werten (bestehend aus der Zahl der ans Sielnetz angeschlossenen Menschen plus auf Einwohner-Input umgerechnete Industrieabwässer) zu den größten Europas zählt.

Kollege Günner will mehr als nur den Eigenbedarf decken, er spricht längst vom "Klärwerk als Energieproduzenten". Dafür entsteht zurzeit eine Faulgasaufbereitung, die das Klärwerk in die Lage versetzt, überschüssiges Gas ins Hamburger Erdgasnetz einzuspeisen - sie wird das zukünftige Juwel in Sachen Energietechnik. Doch auch auf den heutigen Stand des Klärwerksverbunds ist Günner stolz: "Die Einzelkomponenten, die Sie gesehen haben, gibt es auch in anderen Klärwerken Europas, aber das Gesamtkonzept finden Sie nicht noch einmal."