Vor vier Jahren gründeten 17 europäische Bürgermeister in dem estnischen Tallinn das Projekt European Green Capital Award.

Die Idee zum European Green Capital Award, der jeweils für ein Jahr lang an eine europäische Stadt, die Umwelthauptstadt, verliehen wird, stammt aus dem estnischen Tallinn. Am 15. Mai 2006, dem historischen Tallinn-Tag, lud der damals 27-jährige Bürgermeister und Zentrumspolitiker Jüri Ratas europäische Bürgermeister ein, um das Projekt gemeinsam mit ihnen auf den Weg zu bringen. Mit Erfolg: 17 Stadtoberhäupter beschlossen ein Memorandum, das Ratas beauftragte, bei der EU-Kommission für den Titel zu werben. "Im Jahr 2005 bewarb sich Tallinn um den Titel der Europäischen Kulturhauptstadt", erzählt der dreifache Familienvater. "Ich habe mich deshalb mit dem Titel beschäftigt: Er wurde 1983 geschaffen, um die Kultur in Europas Städten zu fördern. Da kam mir die Idee, etwas Ähnliches für die Umwelt anzustoßen. Es ist unheimlich wichtig, dass die EU-Verwaltung und die Kommunen zusammenarbeiten. Der Wettbewerb fördert diese Kooperation." Zwar hätte es damals schon Umweltpreise gegeben, sagt Ratas, aber eine übergeordnete Auszeichnung, die ganz Europa einbeziehe, habe gefehlt.

Ein solcher Wettbewerb beflügelt aber nicht nur die Zusammenarbeit, sondern auch den Ehrgeiz der einzelnen Kommunen. So haben einige Städte, die sich in der ersten Auswahlrunde im Jahr 2009 noch nicht hatten durchsetzen können, ihre Bemühungen anschließend verstärkt. Unter diesen Städten befanden sich Oslo und die baskische Stadt Vitoria-Gasteiz in Nordspanien. Das verstärkte Engagement letzterer wurde dann im Oktober belohnt: Vitoria-Gasteiz wird 2012 die Nachfolgerin Hamburgs als Europäische Umwelthauptstadt.

"Als ich damals nach Brüssel ging, gab es nur eine Frage: Sein oder Nichtsein?", sagt Ratas. "Die Kommission hat sich für den Titel entschieden, und das, was wir in diesem ersten Jahr in Stockholm sehen, ist sehr dicht dran an dem, was ich vor vier Jahren mit meiner Initiative erreichen wollte." Allerdings sei es jetzt noch zu früh, um über die Auszeichnung zu urteilen: "Wir sind derzeit noch in der Lernphase."

Vor allem müsse man in Zukunft daran arbeiten, den Titel bekannter zu machen - vor allem bei den Bürgern der betreffenden Stadt: "Es ist wichtig, dass die Bürger der jeweiligen Umwelthauptstadt von dem Titel wissen. Er muss gelebt werden und darf auf keinen Fall etwas sein, das nur die Stadtverwaltungen interessiert. Um die Bürger einzubinden, müssen deshalb auch die Nichtregierungsorganisationen beteiligt werden", fordert Ratas. Dies ist in Schwedens Hauptstadt offenbar zu wenig geschehen, ein Großteil des Informationsmaterials ist in englischer Sprache verfasst und richtet sich damit eher an die anderen europäischen Städter als an die Stockholmer. Dies könnte ein Grund sei, weshalb auf den Straßen der schwedischen Metropole das Thema Umwelthauptstadt kaum präsent ist.

Doch generell ist Ratas mit dem Erreichten im ersten Auszeichnungsjahr zufrieden - und auch ein bisschen stolz darauf. Den Titel "Vater des Wettbewerbs" wehrt er jedoch lächelnd ab: "Dies ist keine One-Man-Show", sagt er, viele Akteure in den jeweiligen Städten seien nötig, um den Titel zum Erfolg zu führen. Dabei taugt der Este sehr wohl zum Alleinunterhalter, wenn es um die Umwelt geht.

Ökologische Themen hätten ihn schon seit der Schulzeit interessiert, erzählt er, vielleicht auch deshalb, weil seine Eltern im Urlaub ihm immer wieder die reichhaltige Natur der estnischen Ostseeküste nahebrachten. Im Studium bearbeitete er unter anderem das Thema Nachhaltigkeit und erwarb seinen Mastertitel mit einer Arbeit, die verschiedene Mülldeponietechniken verglich - vor dem Hintergrund, dass die größte Deponie des Landes, die den Abfall von 350 000 Einwohner aufnahm, geschlossen werden musste.

Auch der Green Capital Award müsse nun nachhaltig werden, betont Ratas. Er meint damit nicht nur, dass der Titel langfristig vergeben wird, sondern wünscht sich, dass er genauso bekannt wird wie die Auszeichnung Europäische Kulturhauptstadt. Und irgendwann wird er vielleicht auch außerhalb Europas Schule machen - "zur Green-Capital-Konferenz Ende Oktober in Stockholm waren bereits Teilnehmer aus den USA angereist".

Als Griechenland 1983 die Initiative für die Kulturhauptstadt ergriffen hatte, bekam zwei Jahre später Athen als erste Stadt den begehrten Titel. Auf die Frage, ob jetzt nicht auch Tallinn eine heiße Anwärterin auf den Umwelthauptstadt-Titel wäre, winkt Ratas ab: "Wir sind noch nicht so weit. Außerdem war das eine Idee für das gesamte Europa. Die Union lebt davon, dass seine Mitglieder Input liefern, der Europa als Ganzes weiterbringt und nicht nur das eigene Land oder die eigene Stadt." Vielleicht werde Tallinn einmal den Titel anstreben, doch zunächst gelte es noch viele Probleme zu lösen, betont Jüri Ratas: "Unser öffentlicher Nahverkehr muss ausgebaut werden, ebenso die Fahrrad-Infrastruktur. Auch bei der Abwasserklärung und der Abfallbehandlung haben wir Defizite."

Inzwischen ist der engagierte "Grüne der Zentrumspartei", wie er sich selbst nennt, Vizepräsident des estnischen Parlaments. Im Umweltschutz sieht er landesweit große Herausforderungen: Nach 50 Jahren unter russischer Herrschaft müsse Estland nicht nur eine nachhaltige Entwicklung hinbekommen, es kämpfe auch noch mit Altlasten aus Sowjet-Zeiten, mit verseuchtem Boden und Wasser. Immerhin sei das Umweltbewusstsein recht hoch, sowohl in Politik und Verwaltung als auch in der Bevölkerung - "vor 15, 20 Jahren zählten nur die Shopping-Center und die aufstrebende Wirtschaft. Inzwischen ist klar, dass wir uns auch um die Umwelt kümmern müssen".

Osteuropa insgesamt sei da einige Jahre im Rückstand, das sei auch daran erkennbar, dass sich unter den sechs Finalisten des Wettbewerbs um den Titel der Umwelthauptstadt 2012/2013 nur Städte aus dem westlichen Teil Europas befanden - auf Vitoria-Gasteiz folgt das französische Nantes. Die Sieger profitierten von dem Titel nicht nur, weil er die Bemühungen um eine bessere Lebensqualität in den jeweiligen Städten stärke, sondern auch vom Imagegewinn, der etwa auch dem Tourismus nütze, sagt Ratas.

Vorerst freut er sich, dass im kommenden Jahr Hamburg zur Europäischen Umwelthauptstadt wird. Er kennt und schätzt die Stadt aus ganz privaten Gründen: "Meine Frau hat ein knappes Jahr in Bad Bevensen gearbeitet, sie ist Zahntechnikerin." Inzwischen ist sie daheim das Familienoberhaupt, und Ratas versucht, zumindest an den Wochenenden zu Hause zu sein, um ihr bei der Kinderbetreuung zu helfen. Aber als Umwelthauptstadt ist Hamburg für ihn dann im kommenden Jahr allemal eine Reise wert. Sein Rat an die Elbe: "Der Schlüsselfaktor eines gelungenen Green-Capital-Jahres ist die Öffentlichkeitsarbeit."