Die Schau “Nude Visions“ befasst sich mit der Historie der Aktfotografie und der Entwicklung des Körperbildes.

Wie in allen anderen Künsten auch galt der nackte Körper in der Fotografie lange als Skandal. Bis in die 20er-Jahre waren Herstellung, Vertrieb und Besitz von pornografischen Aufnahmen streng verboten. Gegeben hat es sie immer. Doch längst dienen sie der unter anderem von Richard Sennett entlarvten "Tyrannei der Intimität". In einer Zeit, die meint, alles, was sie zeigen kann, auch zeigen zu müssen, wird plötzlich das Verhüllte wieder exklusiv.

Die lange und wechselvolle Geschichte des künstlerischen Umgangs mit dem nackten Körper zeigt bis zum 25. April mit "Nude Visions" eine große Ausstellung im Museum für Kunst und Gewerbe. Die Schau umfasst mehr als 250 Bilder, Bücher und Mappenwerke. Entwickelt hat sie das Münchner Stadtmuseum aus den Beständen seiner umfangreichen Sammlung zum Thema Aktfotografie. Dort war sie ein Magnet - sicher nicht nur dank der vielen attraktiven unbekleideten Fotomotive. "Die Ausstellung zeigt, wie produktiv Fotografen sich in 160 Jahren Fotografie des Themas angenommen haben", erklärt Gabriele Betancourt Nuñez, die als Kuratorin des Museums die Ausstellung in Hamburg betreut. "Fotografie bedeutet immer auch Sozialgeschichte. Wir sehen, wie sich das Frauenbild verändert, der männliche Körper von Interesse wird. Und wir erfahren etwas über die Geschichte der Mode und des Schönheitsideals. Und natürlich auch über die Moralvorstellungen."

Unter dem Deckmantel ikonografischer Bezüge, die von der Kunst der griechisch-römischen Antike und Renaissance bis zum Klassizismus reichten, hat sich die Fotografie die Nacktheit langsam erobert. Die Künstler knüpfen mit den Akt-Daguerrotypien in den 1840er-Jahren an Traditionen der Malerei, Skulptur und Grafik an. Eingehüllt in mit Samt und Seide ausgekleidete Schmucketuis, ist ihr Besitz ein Privileg. Eine besondere Kolorierung verleiht den Aufnahmen den Anschein einer perfekten Illusion und wirkt stets edel.

Später kommen die "Akademien" hinzu, Nachbildungen eines lebenden, gezeichneten, gemalten oder modellierten Modells. Die Künstler hantieren dabei auf einem schmalen Grat, wie der Fall des Fotografen Auguste Belloc zeigt. Ein Teil seiner Werke wird klassischen "Akademien" zugerechnet, 1861 beschlagnahmte die französische Justiz jedoch eine Serie mit 1200 angeblich pornografischen Motiven.

Viele der "Akademien" zeigen die ethnografisch geprägte Exotik im 19. Jahrhundert. Mit eurozentrischem Blick schauen die Fotografen auf andere Völker und ihr oft weniger schamhaftes Verhältnis zum eigenen Körper. Japanische Männer erhalten im Nachhinein eine Tätowierung aufgemalt. Frauen in Afrika zeigen sich in ihrer Lebensumgebung.

Die vom Weichzeichner bestimmte Kunstfotografie um 1900 - sie bildet Formen des Symbolismus aus - bringt besonders lyrische Arbeiten, etwa von Alfred Stieglitz oder Frank Eugene hervor. Das Foto gilt nun als Abbild von Seelenstimmungen.

Die Avantgarden der 20er- und 30er-Jahre markieren eine Zäsur. Politisch ist es eine Zeit der Umbrüche, etwa der Russischen Revolution oder der Weimarer Republik. Die Mode befreit die Frau endlich aus dem Korsett. Ein aufgeklärter Umgang mit dem menschlichen Körper, mit Erotik und Sexualität ist die Folge. Und auch die Fotografie geht neue, freiere Wege der künstlerischen Gestaltung. Zu sehen etwa in den Fotos von Herbert List, André Kertész, Edward Weston oder auch in den Solarisationen von Man Ray.

Die Zeit des Dritten Reiches spart die Ausstellung weitgehend aus. "Zu dem Thema müsste man eine eigene Schau zeigen", sagt Betancourt Nuñez. Willy Zielke, Kameramann bei Leni Riefenstahl - er filmte die Eingangssequenz von "Olympia" -, hat großen Einfluss auf die Fotografie nach 1945. Realistisches und surreales Prinzip vermischen sich. Vertreter der subjektiven Fotografie wie Otto Steinert, Fritz Henle und Lucien Clergue knüpfen in ihren Werken an die 30er-Jahre an.

In den 70er-Jahren bestimmt das Dokumentarische die Künste. Die Industriefotografie und der Blick auf den Alltag werden entscheidend. In den 90er-Jahren ist Helmut Newton als namhafter Vertreter glamouröser Körperinszenierung zu sehen. Herlinde Koelbl widmet dem männlichen und weiblichen Akt ganze Zyklen. Es folgen mit Nan Goldin, Larry Clark oder Jürgen Teller Vertreter eines mitunter schockierenden Realismus der Postmoderne, der als "Heroin Chic" auch in die Modefotografie Einzug nimmt.

Der weibliche Akt ist vor allem in der Werbung stets glamourös inszeniert. In der Regel wird er so konstruiert, dass der Körper der Frau dem männlichen Begehren entspricht. Zu finden etwa in den erotischen Bildern aus dem Atelier Manassé, in "The Last Sitting" Marilyn Monroes 1962 oder auch in den langbeinigen Modellen von Helmut Newton. Uschi Obermeyer steigt bei Guido Mangold 1968 als moderne Venus mit nassem T-Shirt aus den Meeresfluten.

Neben dieser Chronologie vertieft die Ausstellung drei Spezialkapitel zum Thema Freikörperkultur, zum männlichen Akt und zum Thema Glamour (der weibliche Akt). Die Freikörperkultur gilt schon seit dem Ende des 19. Jahrhunderts als Inbegriff der Befreiung von den moralischen Zwängen der Zivilisation. Gerhard Riebicke ist in den 30er-Jahren ein wichtiger Vertreter. Das Interesse an der männlichen Erscheinung ist zunächst homoerotischer Natur. Guglielmo Plüschow oder Wilhelm von Goeden lichten um 1900 erstmals den nackten männlichen Körper ab. Später greifen Herbert List oder Will McBride ihre Gedanken auf. Zahlreiche Darstellungen zeigen maskuline Schönheit in athletischen Positionen.

Ergänzt wird die Ausstellung durch zwei Videos, "Ein Bild" von Harun Farocki, das ein "Playboy"-Shooting als das darstellt, was es ist, nämlich harte Arbeit. Und ein Film der Murnau-Stiftung zur Freikörperkultur.

Die Schau wird zeigen, wie sehr es auf künstlerische Idee und Komposition ankommt, damit ein unbekleideter Mensch nicht einfach nur ausgezogen wirkt.

Nude Visions. 150 Jahre Körperbilder in der Fotografie bis 25.4., Museum für Kunst und Gewerbe, Steintorplatz, Di-So 11-18 Uhr, Do 11-21 Uhr