Göteborg. Saab 99 und Volvo 140, Klassiker aus dem Norden, könnten nicht unterschiedlicher sein. Sie sind noch immer auf den Straßen zu finden.

Sie kamen überraschend und überfallartig, ganz so wie ihre legendären Vorfahren, die Wikinger. Dabei nützte den Schweden die gute Tarnung der Test­wagenflotte unter fernöstlichen Modellnamen wie Mazuo (Volvo) und Daihatsu (Saab), aber auch die vor 50 Jahren noch neue Form der Enthüllung der Flaggschiffe Volvo 140 und Saab 99 abseits von Messen.

Zwar hatten die nordischen Autobauer bereits mit früheren Nachkriegsmodellen Achtungserfolge errungen, der globale Durchbruch als echte Großserienhersteller gelang ihnen jedoch erst jetzt mit den Baureihen Saab 99 und Volvo 140. Zwei Modelle in völlig eigenständigem skandinavischen Design, das die Autowelt ähnlich nachhaltig beeindruckte wie die ersten Ikea-Kataloge die Möbelbranche.

Fast unzerstörbar sichere Fahrzeuge

Mit dem frontangetriebenen Saab 99 aus der Feder des Kultdesigners Sixten Sason kam 1967 eine moderne Mittelklasselimousine in angedeuteter Keilform und mit unverwechselbaren Charakteristika, die sich in allen weiteren Autos aus Trollhättan wiederfinden sollten. Dagegen entwarf der Volvo-Chefdesigner Jan Wilsgaard für die Göteborger ein markantes Markendesign aus schlichten, kantigen Linien mit drittem Seitenfenster.

Nach dem Viertürer 144 prägten ab 1967 der zweitürige 142 und der Kombi 145 das Image von Volvo als Hersteller fast unzerstörbar sicherer und kastenförmiger Familienfahrzeuge. Es gelang Saab und Volvo, mit den nordischen Stilikonen Europa und Amerika zu erobern. „Vikingen är där, der Wikinger ist da! Kraftvoll, sicher, siegreich!“, lautete die provozierende Werbebotschaft für den Saab, während Volvo seine auf Sicherheit setzende Flotte sogar als „Mini-Tanks“ (Mini-Panzer) bewarb.

1967 stellten die Schweden von Links- auf Rechtsverkehr um

Der ganz große gesellschaftliche Aufbruch hatte im Herbst 1967 gerade erst begonnen. Die Schweden stellten von Links- auf Rechtsverkehr um, in der Bundesrepublik regierte die erste große Koalition, und eine „Außerparlamentarische Opposition“ bewirkte Unruhe, aber Männer trugen noch Nylonhemden mit Krawatten, und Frauen fuhren fast nur Kleinwagen. Da machten die neuen Volvo 144 und Saab 99 schon deshalb Schlagzeilen, weil sie selbstbewusste Designerstücke für all diejenigen waren, die nicht Mercedes oder modische Opel fahren wollten.

Tatsächlich passten die Typen aus Trollhättan und Göteborg perfekt in die Lücke zwischen angepasstem Benz und revolutionärem NSU Ro 80 – und zur „Sicherheit aus Schwedenstahl“ durften sich laut Volvo-Werbung sogar Frauen ein „unverschämtes Verhältnis“ erlauben. Mit diesen ersten eigenständig gestalteten Modellen wagten die Nordeuropäer den nächsten Schritt, nachdem das Design der vorausgegangenen Volvo PV 444/544 und Amazon, aber auch die Saab 92–96 noch den globalen Zeitgeist spiegelten. Erst jetzt wurden die Schweden eine Macht im Automobilbau mit unvergänglichen Konturen, wegweisender Sicherheitsausstattung und technischen Pionierleistungen wie dem 1977 lancierten Saab Turbo.

Beide Marken wollten weltweite Sicherheitsstandards setzen

Ein Saab 99 (Baujahr 1975).
Ein Saab 99 (Baujahr 1975). © imago/Sebastian Geisler | imago stock&people

Was Motorsporterfolge nicht ausschloss, wie die von Rallye-Star Stig Blomqvist gefahrenen Saab 99 Turbo zeigten, aber auch die vom Volvo Competition Service geschärften 140 bei der East-African-Safari-Rallye bewiesen. Vor allem aber wurde der Volvo 140 als erstes Modell aus Göteborg Produktionsmillionär und zusammen mit der Weiterentwicklung Volvo 240 bis heute der meistgebaute Volvo aller Zeiten. Dagegen verschaffte der Saab 99 sowie die 1978 gezündete Evolutionsstufe Saab 900 den tollen Trollen fast 20 Prozent Marktanteil in der Heimat, und auf den Exportmärkten eine Fangemeinde, die der Marke mit dem Logo des Greifen über den 2012 erfolgten Untergang hinaus bis heute die Treue hält.

Alles andere als Allerweltswagen waren Saab 99 und Volvo 140 von Anfang an. Schließlich wollten sie welt­weite Sicherheitsstandards setzen. So besaßen sie nicht nur eine Fahrgastzelle mit Knautschzonen und Dreipunkt­sicherheitsgurten auf allen Plätzen, sondern auch ganz neuartige Details wie ­Sicherheitslenksäulen mit Sollbruchstelle und rückwärtsgewandte Kindersitze im ­Volvo.

Bremsanlage mit zwei separaten Bremskreisen

Maßstäbe in der geho­benen Mittelklasse setzte zudem die Bremsanlage mit zwei separaten Bremskreisen. Handlich wie Kleinwagen waren die hinterradangetriebenen Volvo dagegen dank des fast einzigartig kleinen Wendekreises von 9,25 Metern – nur die notwendigen Lenkkräfte erinnerten nachdrücklich an das tatsächliche Format der 4,64 bis 4,77 Meter langen Göteborger Flaggschiffe.

Noch mehr galt dies für den zwar rund 30 Zentimeter kürzeren Saab, der aber auf den markentypischen Frontantrieb vertraute und sich damit an Individualisten wendete, die sonst Audi, Ro 80 oder große Franzosen präferierten. Tatsächlich traten Volvo und Saab deshalb nicht gegeneinander an, zu gegensätzlich war das Antriebskonzept.

Die Volvo 140 übernahmen anfangs Motoren des altgedienten Amazon

Dies reflektierten auch die Motoren. Saab kaufte für den 99 einen neuen englischen Triumph-Vierzylinder, der in Schweden den letzten Feinschliff erhielt. Dazu wurde die Lebensdauer der Bauteile vervierfacht und auf mindestens 250.000 Kilometer ausgelegt. Noch eine Besonderheit: Nur im Saab war der Motor längs über der Vorderachse eingebaut und das Getriebe unter dem Motor platziert. So ergab sich ein außer­gewöhnlich großes Interieur.

Zum Titan avancierte Nummer 99 jedoch erst im Jahr 1977 mit einem 107 kW/145 PS starken 2,0-Liter-Turbo in gewagter drei­türiger „Combi Coupé“-Karosserie. Der aufgeladene Vierzylinder machte die Turbotechnik mehrheitsfähig und erzielte in mehreren Tests Beschleunigungswerte, die vergleichbar waren mit dem V12-Ferrari 400, während sich das maximale Drehmoment mit V8-Saugern messen konnte.

Volvo gewann mit der Sicherheitstechnik

Dagegen übernahmen die Volvo 140 anfangs Motoren des altgedienten Amazon. Dennoch konnten sich die 55 kW/75 PS bis 74 kW/100 PS leistenden Vierzylinder im Wettbewerbsumfeld von Mercedes 200, BMW 1800/2000 oder Peugeot 404 sehen lassen. Einen Sprung nach vorn gab es im Herbst 1968 mit der Einführung des B20-Vierzylinders, der es später als sportliche Spitzenversion Volvo 142 GT auf 103 kW/140 SAE-PS brachte und Kultstatus gewann. Waren doch unter den vergleichbaren zweitürigen Europäern nur die Sechszylinder Opel Commodore GS/E und Ford Granada 3000 ähnlich temperamentvoll.

Letztlich gewann Volvo aber nicht mit Motoren, sondern mit Sicherheitstechnik: In Schweden war es ein Viertel des Neuwagenmarktes, und in Nordamerika hob die Nachfrage derart ab, dass die USA 1973 global größter Volvo-Markt wurden. Drei Jahre später wählte die amerikanische Verkehrssicherheitsbehörde NHTSA die zum 240 weiter­entwickelten Volvo sogar als Referenzfahrzeuge für die Definition künftiger Sicherheitsnormen.

Optisches Sinnbild für Sicherheit an allen Volvo und Saab waren stets die wie Jahresringe in mehreren Stufen wachsenden Stoßfänger. So blieben die schwedischen Baureihen bis zum Jahr 1993 in Bestform. Damit nicht genug, vererbten die hinterradangetriebenen Volvo ihre kantigen Formen sogar noch an den folgenden Volvo 850 mit Frontantrieb – und der erste unter General Motors ­entwickelte Saab 900 trug die Linien seines Vorgängers sogar ins neue Jahrtausend.