Berlin. Karosserie von gestern, Technik von morgen: Elektroauto-Modelle wie zum Beispiel der Jaguar E-Type Zero wühlen die Oldtimer-Szene auf.

Manchmal ist auf dem 17-Mile-Drive die Hölle los. Wenn am Wochenende des Concours d’Elegance alljährlich in Pebble Beach die Küstenstraße zur Flaniermeile von Exoten wird, die ein bisschen später schalten und etwas höher drehen, machen die einen Krach, dass man die Brandung kaum mehr hört.

Tim Hannig kann darüber nur ­milde lachen. Er sitzt am Steuer eines offenen Jaguar E-Type, ist schnell und bekommt von draußen trotzdem alles mit. Denn statt des Röhrens eines alten Reihensechs­zylinders unter der endlos langen Haube hört er nur das Summen einer E-Maschine. Schließlich fährt der Chef der Klassik-Sparte bei Jaguar und Land Rover keinen gewöhnlichen E-Type, sondern einen Prototypen des E-Type Zero, den die Briten zum Elektroauto umgerüstet haben.

Das ist jetzt fast zwei Monate her, doch das Lächeln auf Hannigs Gesicht dürfte noch nicht verflogen sein. Denn er war dort nicht nur zum Sehen und Gesehenwerden. Hannig hatte potenzielle Kunden an Bord und jetzt erste Unterschriften in seinen Büchern.

Der Prototyp, mit dem im Sommer auch schon Meghan und Harry von der Royal Wedding geflüchtet sind, wird deshalb kein Einzelstück bleiben, sondern Anfang 2020 als der vielleicht ungewöhnlichste Neuwagen der Welt in Serie gehen. Altes Blech, neue Technik und das Siegel des Herstellers – das ist eine Kombination, die es so noch nicht gab.

In Deutschland wurden schon VW und Porsche umgebaut

Neu ist die Idee deshalb nicht: Überall auf der Welt gibt es Kleinserienhersteller und Schrauber, die am Zeitstrahl spielen und Oldtimer zu Elektroautos umrüsten: Zu ihren Wegbereitern zählt David Benardo. Zusammen mit ein paar Spezialisten aus der Gegend rüstet er vor allem VW Bullis und Käfer aus den Jahren 1958 bis 1966 zu Elektroautos um.

Wer ihm 49.000 Dollar aufwärts überweist, seinen alten Volkswagen auf den Hof stellt und zwei bis vier Wochen Geduld hat, der surrt mit einer 65 kW starken E-Maschine vom Hof und hat 37 Lithium-Ionen-Blocks mit zusammen 22 kWh im Auto, die nach zwölf Stunden an der Steckdose im besten Fall für 100 Meilen reichen.

Dass Benardo sich vor allem auf die VW-Oldtimer beschränkt, hat neben seinem persönlichen Faible für die alten Volkswagen insbesondere zwei Gründe: „Zu allererst einmal haben diese Autos gerade hier im Süden Kaliforniens absoluten Kultstatus“, sagt Benardo.

Selbst nach dem Diesel-Betrug hätten die Leute in Newport Beach, in La Jolla oder Carlsbad ein Lächeln auf den Lippen, wenn sie einen Käfer oder einen Bus sehen. „Und zum anderen gibt es kaum ein anderes Auto, das man so leicht umrüsten kann“, sagt der etwas in die Jahre gekommene Start-up-Unternehmer in den frühen Fünfzigern: „Boxer-Motor raus, E-Maschine rein, zwölf Akkus unter die Haube und 25 hinter den Rücksitz, passt perfekt.

Selbst das Schaltgetriebe lassen wir drin“, sagt Mr. Zelectric und ist froh, dass er sich nicht mit Errungenschaften wie Servolenkung, ABS-System oder Klimaanlage herumschlagen muss: „Wo es keine andere Elektronik gibt, müssen wir keine Rücksicht nehmen und verlieren auch keine Reichweite, weil der Strom nur vom Motor verbraucht wird.“ Zu alt dürfen die Käfer und Bullis allerdings nicht sein, sagt Benardo und lässt von Fahrzeugen vor 1958 die Finger: „Dann sind die Autos einfach zu wertvoll, als dass man daran Hand anlegen sollte. Wer so einen Klassiker fährt, lässt ihn im Originalzustand.“

Auch ein Messerschmitt-Kabinenroller wird elektrifiziert

In Deutschland gibt es ähnliche Projekte, zum Beispiel Classic eCars in Hilden. Nachdem das Unternehmen bereits Porsche und VW unter Strom gesetzt hat, baut es nun für Preise ab 50.000 Euro einen elektrischen Messerschmitt-Kabinenroller mit bis zu 350 Kilometern Reichweite.

JLR-Mann Hannig sieht sich durch solche Projekte in seiner Einschätzung bestätigt: Klassische Nietenzähler und Oldtimer-Fetischisten mögen zwar angesichts der Umbauten die Nase rümpfen. Doch glaubt er an eine Zielgruppe, die offen sei für solche Experimente.

Das seien zum einen die, die einfach ein cooles Elektroauto und nicht den zehnten Tesla in ihrem Viertel haben wollten. Und das seien zum anderen vor allem jüngere Jaguar-Fans, die sich für die Formen der alten Modelle begeistern könnten, die es vielleicht gar mit Enzo Ferrari halten und im E-Type den „schönsten Sportwagen der Welt“ sehen, die aber keine Lust haben auf Wartung und Pflege und einfach einsteigen und losfahren wollen.

Das gelingt beim E-Type Zero allemal. Schlüssel drehen, den aus den aktuellen Modellen übernommenen Fahrregler auf D und den Fuß aufs schlanke Pedal, schon surrt der offene Sportwagen davon, dass einem der Wind an den Haaren zupft – zumal der Kopf wie eh und je über die Scheibe ragt, statt dahinter zu verschwinden.

Das Fahrerlebnis ist betörend und verstörend zugleich

Die Fahrleistungen sind fast so imposant wie früher, als der E-Type Autos wie den Mercedes SL oder den Porsche 911 im Zaum halten musste. Immerhin liegt der E-Type Zero mit 190 kW/258 PS und 450 Newtonmetern auf dem gleichen Level wie der originale Sechszylinder, den die Chronik mit 3,8 Litern Hubraum, 265 PS und 385 Newtonmetern führt.

Zwar streicht der Stromer schon bei 180 Sachen die Segel, während das Original bis zu 242 km/h erreicht hat, doch mit einem Sprintwert von sehr viel weniger als sieben Sekunden beschleunigt er deutlich schneller auf Tempo 100 als damals der Benziner. Und weil der E-Type gemessen an modernen Autos nichts wiegt und keine leidigen Nebenverbraucher hat, kommt er mit den 40 kWh des Lithium-Ionen-Blocks im besten Fall über 300 Kilometer weit, bevor er wieder für fünf Stunden an die Steckdose muss, verspricht Hannig.

Obwohl der E-Type Zero giftig und gierig ist wie das Original und sich trotz des spektakulär inszenierten, dafür aber auch ziemlich schweren Technik-Pakets unter der Haube noch immer wunderbar leichtfüßig über die Landstraße lenken lässt, ist das Fahrerlebnis betörend und verstörend zu gleich: Ja, man muss sich keine Sorgen mehr machen, beim wievielten Zündversuch der Motor endlich anspringt. Man muss nicht mit einer hakeligen Schaltung kämpfen, den Sechszylinder nicht mit feinem Zwischengas an der Ampel bei Laune halten und man kann sich endlich auch während der Fahrt mit seinem Kopiloten unterhalten.

Genutzt werden nur Wracks ohne Motor und Tuning-Autos

Aber dafür ist das Fahren mit Strom nicht so sinnlich: Wo ist es hin, das Bollern des Motors? Warum riecht der E-Type nach ein paar Kilometern wie ein heiß gefahrenes Spielzeugauto statt nach Öl und Ruß? Und warum hat man vor den Augen ein Karbon-Cockpit mit digitalen Instrumenten hinterm spindeldürren Holzlenkrad, einem Touchscreen daneben und sogar einer induktiven Smartphone-Ladeschale darunter? Und LED-Scheinwerfer mögen zwar gut sein für die elektrische Effizienz, passen aber so gut zu einem E-Type wie eine Wählscheibe ans Smartphone. Gestern, heute, morgen – wenn einem bei diesem heißen Ritt auf dem Zeitstrahl mal nicht die Sinne verdreht werden.

So interessiert diese neuen Oldtimer-Fans auf den E-Type Zero reagieren, so sehr weiß Classic-Chef Hannig vor diesem Hintergrund um die Befindlichkeiten der traditionellen Sammler und hat sich gut gegen Kritik gewappnet. Denn erstens sucht sein Team für die Werksumbauten nur Wracks ohne Motor oder vor allem in den USA weit verbreitete Tunig-Autos, die über die Jahre mit amerikanischen Achtzylindern aus Corvette & Co. verschandelt wurden – „also kurzum Autos, die ohne unsere Hilfe ohnehin für immer verloren gewesen wären“, rechtfertig Hannig das vermeintliche Sakrileg.

Und zweitens hat er die Elektrifizierung der Ikone so konzipiert, dass sie jederzeit wieder zurückgerüstet werden kann. Nicht nur dass am Original kein Blech zerschnitten und kein Kabel gekappt wird – selbst den Benziner lagern die Briten für den Eigentümer in einer gut gepolsterten Holzkiste ein. Deshalb dauert es nur weitere 80 Stunden, und die Zeitreise in die Zukunft ist wieder Vergangenheit.

Allerdings hört man dann auch im E-Type kein Wort mehr: Den Beifahrer muss man anschreien und das Rauschen der Brandung geht im Röhren des Motors unter.