Bradford Beach. Zehntausende Besucher reisten nach Milwaukee zum 115. Firmenjubiläum von Harley Davidson. Gefeiert wurde mit standesgemäßem Lärmpegel.

Schlange stehen gehört bekanntlich nicht zu den Vorlieben von Motorradfahrern. Wer zu den Zehntausenden zählte, die sich kürzlich zur großen Jubelfeier von Harley-Davidson aus Anlass des 115-jährigen Firmenbestehens nach Milwaukee begeben hatten, musste viel Geduld aufbringen: Die Hauptstadt des US-Bundesstaates Wisconsin quoll förmlich über von Besuchern.

Ob vor dem Harley-Davidson-Museum, beim Parkplatzsuchen auf der Vergnügungsmeile Brady Street oder am Burger-Stand beim Hillclimb-Wettbewerb in Little Switzerland – stets war Ausdauer gefragt, um ein Ziel zu erreichen. Aber wer zu einer Feier anreist, oft über Tausende von Meilen, der hat zumeist Zeit im Gepäck.

Schwierige Zeiten für Harley Davidson

Es sind bedrängte Zeiten, in denen die weltberühmte Motor Company aus dem amerikanischen Mittelwesten derzeit agiert: Präsident Trump stänkert bei jeder möglichen Gelegenheit über den Motorradhersteller, den er einst als amerikanische Ikone bezeichnet hat.

Schlimmer noch: Die amerikanischen Motorradkäufer werden Harley-Davidson gegenüber immer skeptischer und halten sich mit Käufen zurück; die Produktionszahlen sind seit 2006 rückläufig, liegen um ein Drittel unter der damaligen Höchstmarke von jährlich 360.000 Einheiten. Besonders jüngere Kunden sind unterrepräsentiert.

Der 1933 geborene Gründer-Enkel ist anwesend

Das ist unübersehbar, wenn man sich die bunte Gästeschar ansieht, die Milwaukee einige Tage lang belagert: Es dominieren graue Haare, sofern überhaupt noch Haupthaar wächst. Kein Wunder, dass Harley-Davidson die Party auf jugendlich zu trimmen versucht: Es gibt Wettbewerbe im Hillclimbing, auf einem Sand-Oval am Strand des riesigen Lake Michigan, und auch in einer riesigen Sporthalle der Stadt geht es rund. Als gemütlich – was das Tempo betrifft – darf man nur die Parade am Sonntag bezeichnen, als Tausende Harleys von einem Außenbezirk Milwaukees durchs Stadtzentrum donnern und den Weg zum Veterans Park suchen.

Apropos donnern: Lautstärke ist in den USA – unüberhörbar – das Wichtigste beim Fahren einer Harley, und zwar egal, ob es sich um eine Ultra des Baujahres 2018, eine Road King von 2005 oder eine Softail aus den 90er-Jahren handelt. Zwar hat jede Maschine auf einem der Event-Parkplätze eine Auspuffanlage, in sie ist aber nur selten ein Schalldämpfer integriert. Eher muss man vermuten, es handelt sich bei den verchromten Rohren um Schallverstärker, welche die Explosionen im Motorinneren beim Verbrennen des Benzin-Luft-Gemisches noch intensivieren.

Der Bradford Beach wurde zu einem Renn-Oval umgestaltet

Die Neigung, das Motto „Loud pipes save lives“ exzessiv auszuleben, nimmt in den USA mit zunehmendem Lebensalter scheinbar nicht ab, genauso wenig wie der Drang, viele Hundert Watt leistende Musikanlagen einzubauen – es gilt schließlich, trotz lauten Auspuffs noch was von den Songs mitzukriegen. Männer in den Sechzigern unterscheiden sich diesbezüglich nicht signifikant von ihren Kollegen in den Vier­zigern. Und Frauen scheinen das ebenfalls zu mögen.

Eine Fete wie die in Milwaukee ist in Europa unvorstellbar. Dagegen mutet selbst die alljährliche Wallfahrt an den Faaker See Anfang September dezent an. So haben die Organisatoren den einige Hundert Meter langen Bradford Beach am Ufer des Lake Michigan kurzerhand zu einem Renn-Oval umgestaltet. Schwere Baumaschinen planieren in kurzen Abständen die Sandpiste, über die teils uralte Flattracker getrieben werden, die aus jeder Pore schwitzen.

Auch der 1933 geborene Gründer-Enkel Willie G. Davidson und seine Frau Nancy sowie deren Nachkommen Bill und Karen genießen vom Obergeschoss der Strandbar aus das bunte und lebendige Geschehen. „Willie G.“ war bis 2012 im Unternehmen aktiv und hat sich erst mit 79 Jahren ins Privatleben zurückgezogen. Der einstige Chef-Designer hat sich mittlerweile aufs Malen verlegt – in seinem Atelier auf dem Areal des Harley-Museums im Zentrum Milwaukees.

Die Zunft der Bastler findet im Veterans Park eine große Bühne

Ebenfalls nicht ohne weiteres in Europa vorstellbar ist das Hillclimbing. Bei diesem Wettbewerb geht es darum, eine grasbewachsene Skipiste mit einem Höhenunterschied von etwa 80 Metern zu bezwingen. Die auch in Flattrack-Rundstreckenrennen – in der Universitätssporthalle von Wisconsin wie auch am Bradford Beach – eingesetzten Renn-Harleys sind keineswegs mit kernigen Stollenreifen ausgerüstet, sondern mit ihren üblichen Wettbewerbsreifen.

Auf dem nassen Gras mit den vielen hineingefrästen Furchen ist das Erklimmen des „Gipfels“ von Little Switzerland eine echte Herausforderung, die nur die Besten zu meistern imstande sind. Der Humus und die Grasnarben werden viele Meter weit vom wild durchdrehenden Hinterreifen in die Gegend geschleudert. Die Zuschauer sind begeistert und lassen sich selbst vom einsetzenden Regen die Stimmung nicht vermiesen.

Nur die Schwerkraft setzt der Kreativität Grenzen

Aber was wäre ein Familientreffen der Harley-Fans ohne Customizing-Show? Kann bereits das Stelldichein Tausender Besucher an der von zahllosen Kneipen gesäumten Brady Street als formidables Customizing-Event betrachtet werden, so findet die Zunft der Umbauer die größte Bühne im Veterans Park unweit des Milwaukee Art Museums am Lake Michigan.

Bis zu 32 Zoll große Vorderräder verwenden die Customizing-Magier, während die Bodenfreiheit der Umbauten dank luftgefederter Fahrwerke bis auf null reduziert werden kann, so dass kein Ständer zum Abstellen erforderlich ist. Lenker aus Antriebsketten oder auch Vorderradführungen aus rostbraunem Baustahl sind nur zarte Beispiele für die Lust von Kreativen, für die es keinerlei Grenzen zu geben scheint.

Es gibt echte Ziegelsteine der ersten Harley-Fabrik zu kaufen

Schmelztiegel der Besucher aus Kolumbien, China, Indonesien, Tschechien oder Deutschland sowie zahlloser weiterer Länder ist aber das 2008 eröffnete Firmenmuseum am Menomonee-River unweit des Stadtzentrums von Milwaukee. Die Menge der Besucher übersteigt alles Vorstellbare: Alleine um in den Museumsshop zu gelangen, in dem vom T-Shirt über hochfeine Leder­jacken bis hin zu echten Ziegelsteinen der ersten Harley-Fabrik zum Stückpreis von 325 Dollar kein Wunsch unerfüllt bleibt, ist eine einstündige Warteschlange zu überstehen. Ins Museum selbst kommen die Besucher auch nicht schneller, aber auch das veranlasst niemanden zu sichtbarem Missmut.

Zusätzliche Wartezeiten verursacht dann noch die Präsidentenlimousine. Von einem Dutzend Motorrad-Polizisten, natürlich auf Harleys eskortiert, sowie von vielen anderen Fahrzeugen verfolgt, die zu einer korrekten Präsidenten-Entourage gehören, pfeilt die Kolonne durch die Stadt.

Präsidialer Besuch?

Hat Mister Trump erneut seine Meinung geändert und gratuliert nun persönlich? Nein, es handelt sich „nur“ um den Vizepräsidenten Mike Pence. Und er kommt auch nicht wegen Harley-Davidson, sondern im ­Zuge von Wahlkampf-Vorbereitungen. Im November sind Halbzeit-Wahlen in den USA. Im Gegensatz zu den Warteschlangen rund um den Harley-Geburtstag erfordert die Passage von Mister Pence nur wenig Geduld, der vizepräsidiale Spuk ist schnell vorbei.