Berlin. Als der Audi V8 Mercedes angriff und der BMW Z1 Frischluft versprach: Neuheiten von 1988 sind jetzt alt genug für das H-Kennzeichen.

Die schönste Art, in einen Stau zu fahren, findet sich für die meisten Autofahrer abseits von Autobahnen. Es sind die oft endlosen Schlangen vor den Parkplätzen für Oldtimer-Festivals oder die Kolonnen klassischer Fahrzeuge, die auf ihre Bewertung bei Rallyes oder Concours d’Elegance warten. Alte Autos ­faszinieren offenbar alle – Familien mit bescheidenem Budget ebenso wie wohlhabende Sammler.

Entsprechend rasant vermehren sich Fahrzeuge mit H-Kennzeichen, jenem Signet, das rollendes historisches Kulturgut auszeichnet. Erteilt wird das Oldtimerkennzeichen seit nunmehr genau zwei Jahrzehnten für Fahrzeuge, die mindestens 30 Jahre alt sind und sich im technisch einwandfreien, originalen Zustand befinden.

Mit einem „H“ umgehen Altautos viele Fahrverbote

Neben finanziellen Vergünstigungen und freier Fahrt in Umweltzonen auch ohne Katalysator symbolisiert das H-Kennzeichen für viele Fans schlicht die Freude am Oldtimer, weswegen es bereits gut 400.000 Klassiker ziert. 2018 feiern über 100 neue Modelle ihren 30. Geburtstag, allesamt Kandidaten für das Veteranen-Kennzeichen. Von Alfa bis Volvo, vom Zweizylinder bis zum V12, vom 8500 Mark günstigen Fiat 126 bis zum 444.000 Mark teuren Ferrari F 40, vom vergessenen Gemini bis zum Wartburg mit VW-Motor ist alles dabei.

„Von null bis zu Tante Elli in 15 Minuten: Selbst mit einem Rennwagen schafft das meine Mami nicht schneller“, sagte grinsend ein Grundschüler in einer Anzeige für den 43 kW/58 PS ­abgebenden Skoda 135 G Coupé. „Wovon Männer träumen“, textete die Nissan-Werbung 1988 zum schnellen 300 ZX Turbo Racer, an dessen Fenster sich zwei Schuljungen die Nase plattdrückten, während die Freundin frustriert auf den Boden blickte.

Suzuki versprach Ferienspaß zu jeder Jahreszeit

Vielleicht hätte die junge Dame einfach auf die Suzuki-Werbung schauen sollen. Dort versprach das fröhliche SJ 413 Cabrio Ferienspaß für vier Jahreszeiten mit aufblasbarer ­Badeinsel, pinker Reisetasche und Wintersportausrüstung.

Der Suzuki SJ.
Der Suzuki SJ. © HF | --

Drei Marketing­motive, die kommunizierten, was das Autojahr ausmachte, in dem Steffi Graf den Grand Slam und Olympisches Gold holte und Boris Becker mit Carl-Uwe Steeb Deutschland den Davis-Cup sicherte: Maximale Sportlichkeit, Allrad in allen Klassen, mehr Cabrios für Sonne im Leben und Freizeit-Fun.

Das alles mit dem bis dahin größten und am besten gegen Korrosion geschützten Modellangebot auf dem deutschen Markt. Entsprechend bunt und spannend sind 30 Jahre später die H-Kennzeichen-Anwärter.

Es gab immer mehr Modelle mit Abgaskatalysator

Selbst die Sammler von Rennern wie Aston Martin Virage, Ferrari F40, Lamborghini Countach 25th Anniver­sary, Maserati Karif oder Porsche 959 könnten für ihr Garagengold Wert auf ein „H“ legen, ist es doch das beste Mittel gegen den europaweit wachsenden Flickenteppich aus Fahrverboten für Altautos. Gleiches gilt für die Besitzer aller Boliden, die 1988 freie Bahnen für deren überschießendes Temperament forderten, darunter BMW M3 Cabrio (E30) und M5 (E34), Audi Coupé Quattro, Jaguar XJS-Cabriolet, Mercedes-Benz 190 E 2.5-16, Porsche 911 Carrera Speedster und Toyota Supra Turbo.

Bemerkenswert war die Selbstverpflichtung vieler Autobauer, die Beschleunigung bei 250 km/h per Abregelung zu beenden. Schließlich waren die Diskussionen um das Waldsterben und ein allgemeines Tempolimit noch nicht verklungen. Auch deshalb gab es nun immer mehr Modelle serienmäßig mit Abgaskatalysator.

Mercedes musste sich die Königsklasse teilen

Ein Trend, bei dem die neue Liga der Luxuslimousinen vorwegfuhr. War die Mercedes S-Klasse bislang ultimatives deutsches Monument automobiler Macht, geschaffen für Konzernvorstände, Kanzler und Könige, musste sie sich diese Rolle nun teilen mit dem neuen Audi V8, dem noch frischen Zwölfzylinder-BMW 750i, den zur Jahreswende 1988/89 vorgestellten japanischen Herausforderern Lexus LS 400 und Infiniti Q45 und dem erneuerten Cadillac De Ville. Anlass­, mit dem 560 SEL einen 5,6-Liter-V8 vorzustellen, der kräftiger war als der Rolls-Royce Silver Spirit.

Die Highlights der IAA 2017 im Video

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    Am anderen Ende des Marktes ­findet sich ein Meer mit Klassikern für Knauserer, die Sparen mit Spaß und Stil verbinden. Denn in einem Jahr, als ­Glitzerstoffe und Lycra in knalligen Farben Mode machten und Karl Lagerfeld über das Label KL bezahlbare Designermode in die Schaufenster brachte, wurden auch Knausertypen cool.

    Beispielsweise der günstige Skoda Favorit im ­begehrenswerten Bertone-Dress, der klassische Wartburg mit neuem VW-Motor für frische West-Exporterfolge, der originelle Fiat Tipo (Slogan „Mehr Ideen pro PS“), der 3,30 Meter kurze Suzuki Alto als kürzester Fünftürer, der Renault 19 mit einem vollkommen neuen französischen Qualitätsanspruch, der Mazda 121 mit riesigem Faltdach als Herald des kommenden Kia Pride und der billige Isuzu Gemini als ebenso frecher wie kurzlebiger Golf-II-Diesel-­Herausforderer.

    Volvo überraschte die Fans mit Motoren von Renault

    „Lieben Sie Überraschungen? Ja? Dann freuen Sie sich auf den neuen Volvo 440!“ Tatsächlich überraschte der kompakte Volvo mit einem fortschrittlichen Frontantrieb und Turbo-Temperament – und alle Schwedenfans mit Renault-Motoren und einem niederländischen Fertigungsstandort. Eine Erfolgskom­bination, wie die Volvo-Zulassungszahlen zeigten.

    Let the Sunshine in: Im Sommer 1988 ging die freudlose Dekade geschlossener Blechbüchsen allmählich zu Ende. Oldtimer-Enthusiasten wird es freuen, können sie doch ab 2018 erstmals viele frühe Frischluftmodelle mit Katalysator durch ein „H“ adeln lassen. Dabei Alfa Spider, BMW Z1, Chryslers TC by Maserati, Jaguar XJ-S, Mazda RX-7, Porsche 944 S, TVR S und natürlich die vielen etablierten offenen Viersitzer wie VW Golf, Opel Kadett, Ford Escort, BMW 325i oder Saab 900. Sonnige Aussichten für die Klassikerszene!