Wenn Lamborghini nach der in Peking gezeigten Studie Urus tatsächlich einen Geländewagen baut, dann betreten die Italiener damit kein Neuland.

Lamborghini und Geländewagen? Auf den ersten Blick war die Messepremiere der Designstudie Urus im April in Peking eine kleine Sensation. Schließlich ist die mittlerweile im VW-Konzern beheimatete Marke vorrangig für Sportwagen der extremen Art bekannt. Doch wer Lamborghini etwas besser kennt, der weiß, dass die Italiener immer auch für andere Konzepte offen waren: Mit dem Espada hatten sie einst den schnellsten 2+2-Sitzer der Welt im Programm und mit der Studie Estoque die vielleicht schärfste Limousine aller Zeiten entworfen. Und einen Abstecher ins Gelände gab es auch schon - mit dem LM002.

Vor 30 Jahren gab es den LM002 erstmals auf dem Genfer Salon zu sehen. Extrem und extravagant wie jeder andere Lamborghini war dieser Lambo für Rambo der erste Geländewagen eines Sportwagenherstellers und damit der Urvater der Peking-Studie Urus.

Begonnen hatte die Geschichte schon etwas früher: Bereits 1977 beteiligte sich Lamborghini an einer Ausschreibung des US-Militärs und bewarb sich mit dem Cheetah um den Bau eines Geländewagens. Das Projekt Lamborghini Military (LM) hatte jedoch keinen Erfolg, die Amerikaner bestellten stattdessen den AM General HMMWV, aus dem später der Hummer wurde. Der Cheetah-Prototyp zerschellte bei Testfahrten in der kalifornischen Wüste, das Projekt wurde eingestellt.

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Einige Jahre und einen Eigentümer später grub Lamborghini die Idee wieder aus. Aus dem Cheetah wurde der LM002, er feierte im Frühjahr 1982 Premiere auf dem Genfer Salon. Statt mit V8-Motor fuhr er mit dem Zwölfzylinder aus dem Countach, anfangs noch im Heck montiert. Bis der Wagen zu den Kunden kam, brauchte es vier weitere Jahre und einige Umbauten, bei denen der Motor in den Bug wanderte. Das erste Auto wurde 1984 an König Hassan von Marokko ausgeliefert, die weiteren Besteller lesen sich angesichts der damaligen Preise von 200 000 Mark aufwärts wie die Jetset-Chronik dieser Zeit: Der Sultan von Brunei kaufte gleich mehrere Exemplare, Rennfahrer Keke Rosberg rollte mit dem LM002 zum Formel-1-Training, und Silvester Stallone fuhr damit durch Hollywood.

Was den Wagen ausmachte, war vor allem seine Extravaganz. Von Eleganz konnte keine Rede sein. Als hätten die Ingenieure das 4,90 Meter lange und zwei Meter breite Auto nach dem Feierabend der Designer selbst eingekleidet, herrschte das Diktat der Kante: Ein paar Planken über Kotflügel und Motor gedengelt, aus einer Schachtel die Fenster und Türen herausgeschnitten und hinten eine Pritsche angeflanscht - fertig war der Geländewagen. Nach diesem Rezept sind schließlich auch das Mercedes G-Modell entstanden, der Land Rover Defender und der Hummer.

Auch innen war der LM002 kein Glücksgriff, obwohl das Design von Horacio Pagani stammte, der mittlerweile exklusive Sportwagen baut. Zwar stieg man im LM002 hoch hinauf und nicht wie sonst bei Lamborghini tief hinunter. Und man musste sich auch nicht erst unter ein paar Flügeltüren durchwinden. Doch trotzdem fand man hinter dem senkrechten Lenkrad nur mühsam eine bequeme Sitzposition. Viel geräumiger als im Sportwagen war es in der Kabine trotz stattlicher drei Meter Radstand nicht. Die Plätze im Fond gingen allenfalls als Notsitze durch.

Fahrer und Beifahrer trennte eine Mittelkonsole vom Format zweier Getränkekisten, auf der ein winziger Gangknüppel im Ledersäckchen montiert war. Tief unten aus dem Wagenboden ragten zwei Hebel für den Allradantrieb und die Geländeuntersetzung.

Was dem LM002 an Grazie fehlte, machte er mit Antriebskraft wett: Der Lamborghini war der erste und bislang einzige Geländewagen mit einem V12-Benziner. Das Aggregat schöpfte aus 5,2 Litern Hubraum 444 PS, die mit dem 2,7 Tonnen schweren Autokoloss leichtes Spiel hatten. Während der Zwölfzylinder fauchte und man den Sprit durch den Motor rauschen hörte, beschleunigte der LM002 in kaum mehr als acht Sekunden auf Tempo 100 und gab sich erst jenseits von 200 km/h dem Luftwiderstand geschlagen.

Für dieses Tempo brauchte der Fahrer eine feste Hand am Lenkrad, ein scharfes Auge und viel Mut. Denn auf Asphalt gab man dem Wagen mit seinen riesigen Rädern eher eine grobe Richtung vor, als dass man ihn tatsächlich hätte lenken können. Wo man in aktuellen Lamborghini-Modellen wie dem Aventador oder Gallardo nach Kurven giert, sehnte man sich am Steuer des LM002 nach jeder Geraden.

Anfangs war der LM002 heiß begehrt, doch schon nach kurzer Zeit erlahmte das Interesse. Das mag unter anderem an seinem gewaltigen Durst gelegen haben: Im Datenblatt stand ein Verbrauch von mehr als 30 Litern, in zeitgenössischen Tests liest man sogar von Werten zwischen 40 und 50 Litern. Kein Wunder, dass die Italiener Tanks mit 400 Litern Fassungsvermögen eingebaut haben. Da passt es wunderbar ins Bild, dass Lamborghini angeblich nur deshalb keinen Regierungsauftrag aus Saudi-Arabien bekommen hat, weil der LM002 sogar den Ölscheichs zu versoffen war. Selbst wenn das nur ein Gerücht bleibt, ist diese Anekdote viel zu trefflich, um sie zu verschweigen.

Weil die Zeit in den 1980er-Jahren für sportliche Geländewagen einfach noch nicht reif war und noch niemand an Automodelle wie BMW X6, Porsche Cayenne oder Mercedes ML 63 AMG dachte, erlosch die Begeisterung für den Gelände-Lambo so schnell, wie sie aufgeflammt war. Heute ist der Extremist ein gesuchter Exot, für den im Internet Preise von 80 000 Euro aufwärts aufgerufen werden.

In sechs Jahren hat Lamborghini nur 301 Exemplare des LM002 gebaut. Das sind Zahlen, über die der amtierende Marken-Chef Stephan Winkelmann heute nur lachen kann. Wenn der in Peking gezeigte Urus tatsächlich in Serie geht, dann rechnet er mit der zehnfachen Stückzahl - und zwar pro Jahr.