Berlin. Vor 47.000 Jahren zeugten Homo sapiens und Neandertaler erste Babys – und dann immer wieder. Das wirkte sich tief auf unser Erbgut aus.

Das Bild von der Entwicklung des modernen Menschen hat sich in den vergangenen Jahren grundlegend gewandelt: Eine der wichtigsten Erkenntnisse ist, dass es sexuelle Kontakte zwischen Homo sapiens und Neandertaler gab und Nachkommen aus diesen Verbindungen hervorgingen.

Vor allem die Paläogenetik, also die Untersuchung der gemeinsamen Erbanlagen, bringt nun nach und nach Licht in die Frühgeschichte der modernen Menschheit. Jetzt liegen Untersuchungen vor, die erneut bahnbrechende Einblicke liefern. Ergebnis: Wir haben den Neandertalern deutlich mehr zu verdanken als bisher angenommen. Und die Durchmischung hat uns letztlich erst zu dem gemacht, was wir sind.

Vor 47.000 Jahren zeugten Neandertaler und moderner Mensch die ersten Babys

Erkenntnis 1: Die ersten gemeinsamen Babys von Neandertaler und Homo sapiens entstanden sehr wahrscheinlich vor rund 47.000 Jahren. Und das nicht nur vereinzelt, sondern über eine Phase von mehreren tausend Jahren immer wieder und an verschiedenen Orten. Das zeigt eine vergleichende Analyse Hunderter alter und moderner Genome, die nun vorgelegt wurde.

Der Mensch kam vor mindestens 70.000 Jahren, möglicherweise auch schon deutlich früher, aus Afrika nach Europa, wo er auf die Neandertaler traf, die – wie wir heute wissen – bei Weitem nicht so primitiv waren, wie lange angenommen.

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Forschungsergebnisse aus anderen Arbeiten deuten darauf hin, dass in den frühen Tagen dieses genetischen Austausches etwa fünf Prozent der Gene der sich kreuzenden Population von Neandertalern stammten. Rein rechnerisch bedeutet das, dass in dieser frühen Phase jeder 20. der Vorfahren aller eurasischen Menschen ein Neandertaler war. Sex zwischen Neandertalern und Menschen war also keine Ausnahme.

Die Vermischung sorgte außerdem dafür, dass der moderne Mensch zusätzliche ohne langwierigen evolutionären Prozess neue Eigenschaften in das Erbgut implantiert bekam, die ihm halfen, den Kontinent zu erobern.

Wenige Gen-Sequenzen vom Neandertaler – aber sie sind grundlegend

Diese Verbindung hat bis heute Spuren in unseren Genen hinterlassen, wobei vom Neandertal-Gen zwar letztlich nicht viel blieb und es weitgehend aussortiert wurde. Grund: Möglicherweise entwickelten sich schädliche Mutationen, möglicherweise führte die Kreuzung zu unfruchtbaren Nachkommen.

Aber der verbleibende Teil der Neandertal-Gene hat die Entwicklung des modernen Menschen ganz nachhaltig beeinflusst. Das wiederum ergibt sich aus dem Abgleich der modernen DNA mit denen der Vorfahren.

Erkenntnis 2: Heutzutage macht das Erbgut der Neandertaler noch zwei Prozent der Genome von Menschen aus (außerhalb Afrikas – die in Afrika verbliebenen Homo sapiens haben sich nicht mit Neandertalern gekreuzt). Diese zwei Prozent allerdings konzentrieren sich in einigen Teilabschnitten unseres Genoms und sind daher wesentlich für ganz bestimmte grundsätzliche Eigenschaften.

Hautfarbe, Immunsystem und Schlafgewohnheiten sind von den Verwandten

Die Neandertaler-Chromosome beeinflussen zum Beispiel ganz wesentlich unsere Hautfarbe. Sie sind dafür verantwortlich, dass wir Sonnenbrand bekommen: Die Haut der Neandertaler war drauf ausgerichtet, in Eiszeiten und langen dunklen Tagen Europas das Sonnenlicht möglichst effektiv zu nutzen, um die Produktion von Vitamin D anzukurbeln. Das macht die Haut empfindlich für Sonnenlicht.

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In die gleiche Richtung geht die genetisch gesteuerte innere Uhr der heutigen Menschen, die auf Neandertaler-Chromosomen beruht, was den einwandernden Homo sapiens geholfen haben könnte, sich an die extremeren nördlichen Tag-und-Nacht-Schwankungen anzupassen.

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Vor allem für unser Immunsystem sind die Erbanlagen der Neandertaler bis heute ausschlaggebend. Als Homo sapiens nach Eurasien einwanderte, hatten die Körper der Neandertaler schon Hunderttausende Jahre mit den dortigen Infektionskrankheiten zu kämpfen gelernt. Durch die Paarung konnte der moderne Mensch sofort auf diese immunologischen Waffen zugreifen. In der Folge sorgte die Selektion dafür, dass sich Nachkommen mit dem veränderten Erbgut entsprechend durchsetzen konnten.

Genmischung kann auch negative Folgen haben

Der Effekt wirkt bis heute nach: Menschen mit Neandertaler-Genen kommen deutlich besser mit Immunkrankheiten wie HIV, Hepatitis-B zurecht. Die Kehrseite: Das stärker ausgeprägte Immunsystem wirkt im Krankheitsfall auch stärker gegen den eigenen Körper. Autoimmunerkrankungen wie Allergien oder Rheumatoide Arthritis oder Lupus scheinen bei Menschen mit ausgeprägtem Neandertal-Erbgut häufiger aufzutreten.

Ein weiterer Punkt, dessen Mechanismen gerade erforscht werden: Neandertaler-Gene scheinen psychische Erkrankungen, Stimmungsschwankungen und Suchtverhalten zu verstärken.

Die Wissenschaftler hoffen, dass sie auf der Basis der neuen Erkenntnisse in den kommenden Jahren durch neue Untersuchungsmethoden weitere Hinweise auf das Wirken der Neandertaler-Gene auf unseren Körper finden, um die genannten Krankheiten besser bekämpfen zu können. (ftg)