Göttingen. Die Geburt von Bruder oder Schwester löst bei Kindern nachweislich Stress aus. Das habe aber nicht nur Nachteile, erklären Forscher.

Die Geburt eines zweiten Kindes ist nicht nur für Eltern ein besonderes Erlebnis, sondern auch für das ältere Geschwisterkind. Aus Verhaltensstudien mit Menschen ist bekannt, dass die Änderung der Familienkonstellation für das ältere Kind eine anstrengende Zeit ist, die oft mit Anhänglichkeit, depressiven Stimmungen und Wut einhergeht. Unklar war bislang jedoch, inwieweit dieser Stress körperlich nachweisbar ist. Dem Leibniz-Institut für Primatenforschung in Göttingen (DPZ) ist dies nun gelungen – beim nächsten Verwandten des Menschen.

In einer Studie, die das DPZ gemeinsam mit einem internationalen Forschungsteam durchführte, untersuchte Leitautorin Verena Behringer verschiedene Marker im Urin von wild lebenden Bonobo-Affen. Dabei fand sie heraus, dass die Geburt eines zweiten Jungtieres bei den älteren Geschwistern den Anstieg des Stresshormons Kortisol um das Fünffache und eine verminderte Immunabwehr zur Folge hatte. Diese Veränderungen waren bis sieben Monate nach der Geburt nachweisbar und unabhängig von den üblichen Entwöhnungsprozessen, die die Jungtiere altersbedingt ohnehin durchleben. Auch interessant: Online-Psychotherapie: Helfen Apps gegen Depressionen?

Stress durch Geschwister: Der Kortisolwert stieg stark an

Behringer untersuchte die Urinproben im Labor auf die Konzentrationen dreier Substanzen: Kortisol, Neopterin und Trijodthyronin (T3). Kortisol ist ein Hormon, das als Reaktion auf einen Stressor ausgeschüttet wird, Neopterin wird von den aktiven Abwehrzellen des Immunsystems produziert, und T3 ist ein Schilddrüsenhormon, das die Stoffwechselaktivität im Körper reguliert.

Die Konzentration dieser Marker im Urin vermittelt ein Bild vom physiologischen Zustand der jungen Bonobos. Die Untersuchungen zeigten, dass die Kortisolwerte im Urin der älteren Geschwister bei der Geburt jüngerer Geschwister stark anstiegen. Gleichzeitig sanken die Neopterin-Konzentrationen ab. Die T3-Werte zeigten keine signifikante Veränderung. Lesen Sie auch: Stress - das sind die häufigsten Ursachen

„Jüngere Geschwister sind wichtige Sozialpartner“

„Unsere Studie beweist erstmals, dass die Geburt eines Geschwisters für das ältere Kind eine wirklich stressige Angelegenheit ist“, sagt Behringer. „Sorgen muss man sich aber nicht machen.“ Dieser Stress sei sehr wahrscheinlich tolerierbar und führe zu einer höheren Stressresistenz der älteren Kinder im späteren Leben: „Jüngere Geschwister sind schließlich nicht nur Konkurrenten, sondern wichtige Sozialpartner, die uns in unserer Entwicklung positiv beeinflussen.“

Dieser Artikel erschien zuerst auf morgenpost.de.