Hamburg. Wissenschaftlerin Livia Rasche erforscht die Kosten der chemischen Insektenbekämpfung für Mensch und Umwelt.

Was macht die Bäuerin in Europa, der Bauer in Afrika, wenn die Temperaturen steigen oder extreme Regenfälle häufiger werden? Für Landwirte weltweit ist der Klimawandel eine echte Herausforderung. Sollten sie umsteigen und in Zukunft andere Früchte anbauen? Oder besser in neue Techniken wie zum Beispiel Beregnung investieren?

Um geeignete Pflanzen und clevere Techniken zu identifizieren, entwickeln wir am CEN der Universität Hamburg spezielle Rechenmodelle. Mit ihrer Hilfe simulieren wir die kommenden Erträge für große Ackerflächen. So lässt sich abschätzen, wie sich die Kartoffelernte an einem bestimmten Ort bei höheren Temperaturen und mehr Regen entwickeln wird. Die Modelle helfen, den aktuell besten Mix von Bewässerung und Düngung zu ermitteln. Ich kann zudem neue Techniken testen, ohne sie aufwendig auf dem Acker installieren zu müssen.

Ein zentrales Werkzeug fehlte

Doch die Ergebnisse sind unvollständig, denn ein zentrales Werkzeug fehlte bislang: die Schädlingsbekämpfung mit Pestiziden. Während wir in Europa dabei eher an Giftrückstände auf Obst und Gemüse denken, sind Pestizide in anderen Ländern beinahe Luxusgüter. Kleinbauern in Afrika erleiden hohe Einbußen durch Insekten und Pilzbefall. Ein Mittel kann das gezielt verhindern, ist aber oft zu teuer. Weltweit betragen die Verluste durch Schädlinge und Pilze bei Weizen, Mais, Kartoffeln und Soja rund 20 Prozent, bei Reis im Mittel 30 Prozent. Diese Lücke zu schließen kann helfen, Hunger zu bekämpfen.

Gleichzeitig richten Pestizide großen Schaden an. Dies zeigt eine ganze Serie von Todesfällen und Vergiftungen beim Baumwollanbau in Indien in den letzten 20 Jahren. Auch der vor Kurzem veröffentlichte IPBES-Bericht zum Artensterben­ sieht den Einsatz kritisch.

Welche Mengen bringen also einen um wie viel höheren Ertrag – und welchen Preis zahlen wir dafür in puncto Gesundheit und Naturschutz? Um dies herauszufinden, müssen Pestizide im Agrarmodell mit abgebildet sein. Doch der komplizierte Lebenszyklus der Schädlinge verhinderte dies bisher. Es ist schwer, den Effekt einer Insektenart auf eine Pflanze in ein Rechenmodell einzubauen. Das liegt einerseits daran, dass sie nicht permanent Schaden anrichtet. Während die Eier noch harmlos sind, fressen Raupen und Larven hingegen meist kräftig. Ausgewachsene Tiere haben dann wieder weniger Appetit.

Wissenschaftliche Feldversuche

Außerdem greifen verschiedene Insekten­ jeweils unterschiedliche Teile der Pflanze an. Wird der Stiel abgenagt, ist die Pflanze tot. So habe ich mich mithilfe eines Insektenkundlers tief in die Biologie von Maiszünsler und Kartoffelzikade eingearbeitet, um ihren Einfluss in mathematische Formeln fassen zu können.

Doch stimmt mein neues Modell? Dazu wertete ich wissenschaftliche Feldversuche mit Mais, Sojabohnen und Kartoffeln in den USA aus. Zwischen 1985 und 2014 wurden dort Feldfrüchte in unterschiedlichen Klimazonen angebaut. Alle Daten sind gut dokumentiert: Aussaat, Entwicklung, Düngung, Pestizideinsatz, Schädlingsdichte und Ertrag. Dies waren meine Kontrolldaten aus der realen Welt. Für 14 Äcker simulierte ich die Erträge. Ich fütterte mein Modell mit den Wetterdaten des jeweiligen Jahres und den dokumentierten Maßnahmen der Landwirte.

Voller Erfolg

Ein voller Erfolg: Die errechneten Erträge stimmen sehr gut mit den realen Ernten überein! Das neue Werkzeug kann also belastbare Prognosen zu Pestiziden und Erträgen machen. Jetzt interessieren mich die tatsächlichen Kosten, die durch Pestizide entstehen. Die Folgen für Natur und Gesundheit sollten ebenfalls in der Bilanz auftauchen. Bisher kommen die Erträge nur den Produzenten zugute, die Folgekosten muss aber die Gesellschaft tragen. Mein Agrarmodell kann helfen, diese Kosten zu finden und zu beziffern.