Gubbio. Einst prägte der Glaube Umbrien. Heute wird die Region im Herzen Italiens für ihre weltlichen Genüsse geliebt. Wir waren zu Besuch.

Nur eine Straße führt nach Gubbio. Zweispurig schlängelt sie sich durch friedliche Landschaft: Hügel, an die sich Dörfer klammern, Olivenhaine, Rebstöcke.

Mangels Schnellstraßen ist Gubbio ruhiger geblieben als Assisi und Perugia, die beiden touristischen Magnete Um­briens – obwohl die hier gedrehte Fernsehserie „Don Matteo“, in der Terence Hill einen durchtriebenen Geistlichen spielt, das Besucheraufkommen aus dem Inland deutlich erhöht hat.

Auf der Piazza Grande, die sich wie eine Bühne auf einem Plateau am Hang erstreckt, sitzen Einheimische und Urlauber auf Bänken in der warmen Sonne des Spätnachmittags. Die geradezu hypnotische Ruhe, die man in Umbrien an vielen Orten spürt, ist selbst in der mittelalterlichen Metropole noch fassbar. Fast ist es, als könnte nur die Erde selbst die Landschaft erschüttern, die sich im Lauf vieler Jahrhunderte kaum verändert hat.

„Erdbeben“, sagt der Stadtführer. „Man weiß, sie kommen. Deshalb muss man vorsorgen.“ Er deutet auf einen massiven Holzbalken, der im Vorbau des Doms ein Stück Mauerwerk stützt. In den uralten Straßenzügen der Altstadt Gubbios, die seit dem 15. Jahrhundert im Wesentlichen erhalten geblieben ist, stecken überall Erdbebenhaken: eiserne Klauen, die den Stein halten sollen, wenn die Fundamente knirschen.

Im ehemaligen Sumpfgebiet kleben Dörfer an Berghängen

Die Unruhe der Erde hinderte die Bewohner der Region nie, mit ihren Bauten himmelwärts zu streben. Mit dem Palazzo dei Consoli ragt in Gubbio ein von einem sechzig Meter hohen Glockenturm gekrönter Wolkenkratzer aus dem 14. Jahrhundert in den Himmel. In der ältesten Stadt Umbriens muss er dennoch quasi als Neubau gelten. Schon in vorrömischer Zeit war der steile Hang von den Umbrern besiedelt.

Von ihnen ist außer dem Namen, der heute die ganze küstenlose Region im Herzen Italiens bezeichnet, und sieben bronzenen Tafeln nichts geblieben. In die Tafeln sind in etruskischen und lateinischen Buchstaben Texte graviert, die ein Regelwerk für Zeremonien darstellen – von religiösen Opfern bis zu rituellen Reinigungen. Sie bewahrt heute der ­Palazzo, der im Mittelalter Sitz der Stadtregierung war.

Perugia ist Universitätsstadt

900.000 Menschen leben in der Region, deren Hauptstadt Perugia auch ihre größte ist. Außerhalb dieser Universitätsstadt geht es fast überall ruhig, fast verschlafen zu. Das bedeutet nicht, dass sich hinter manch schlichter Fassade nicht Erstaunliches verbirgt.

An einer Hauswand im 500-Seelen-Dorf Solomeo ist ein Zitat von Dostojewski zu lesen: „Das Schöne wird uns retten.“ Innen hat Brunello Cucinelli im Elternhaus seiner Frau seinen Firmensitz. Seit 1975 stellt er Kaschmirpullover her.

Urlaubern erleichtern Aufzüge oder Rolltreppen das Erklimmen der Städte

Anfangs mit nur fünf Mitarbeitern. Mit guten Sprachkenntnissen und verstellter Stimme ließ er seine Firma bei Telefonaten ins Ausland bereits groß klingen, als sie noch in ein Zimmer passte. Längst verkauft er seine Pullover in Paris und Peking.

Nach und nach restaurierte er das mittelalterliche Zentrum Solomeos und baute 2008 im Dorf ein Theater mit 250 Plätzen. Die Aussicht von der Terrasse davor ist geblieben, wie sie war: Hügel und Felder, Zypressen und Olivenbäume bieten ein Bild zeitloser Schönheit.

Obwohl die Wälder kleiner geworden sind, ist Umbrien noch immer sehr grün und fast überall hügelig. Dass die alten Städtchen an Hängen kleben, liegt auch daran, dass Ebenen wie die um ­Assisi und zu Füßen Gubbios einstmals Sumpfgebiete waren.

Weizen, Kichererbsen und Linsen

Erst machten sich Römer, später Benediktinermönche daran, sie trockenzulegen. Hier werden noch heute Weizen, Kichererbsen und Linsen angebaut, auch Hülsenfrüchte wie die Fagiolina-Bohne und die Linsen aus der Hochebene um Castelluccio.

Urlaubern erleichtern Aufzüge oder, wie in Perugia, Rolltreppen das Erklimmen der Städte. Es liegt nicht allein an der Verfügbarkeit moderner Technologie, sondern auch daran, dass die Lebensqualität deutlich gestiegen ist, seit Franz von Assisi 1206 auf der Flucht vor dem strengen Vater barfuß nach Gubbio kam und die Stadt nebenbei vor einem gefräßigen Wolf rettete.

Leben in Kloster und Kirche und Genuss schlossen einander nie aus

Wölfe kommen in Umbrien durchaus noch vor, Völlerei ist heute vor allem unter Menschen verbreitet. Und so ist es nach einem nicht ganz leichten Mittagessen aus Crostini und Salami als Vorspeise, gefolgt von Risotto mit Kürbis und der Bratwurst Salsiccia sowie einem Braten vom hiesigen Chianina-Rind an Rosmarinkartoffeln durchaus sinnvoll, Steigungen aus eigener Kraft zu nehmen.

Dies wäre nicht Italien, würde zwischen all den Kunstschätzen nicht fabelhaft mit Zutaten aus der Umgebung gekocht. Außer im Fall des Heiligen Franz, der allem Weltlichen entsagte, schlossen Leben in Kloster oder Kirche und der ­Genuss einander nie aus. Nicht umsonst brachte es der Orvieto Classico zum Lieblingswein der Päpste.

Kloster werden zu Restaurants

Mittlerweile sind die Grenzen zwischen Kirche und Küche endgültig verschwommen. Zwar gibt das Straßenbild Assisis keinerlei Hinweise auf sinkende Priesterzahlen – an wenigen Orten in der Welt sieht man so viele Ordens- und Messgewänder –, doch haben viele Klöster Umbriens ihre Bestimmung längst aufgegeben und sind Restaurant, Hotel oder beides.

Das gut 20 Kilometer von Assisi entfernt gelegene Relais San Biagio Antico Monastero ist mit zwölf nach den Aposteln benannten Zimmern ohne Telefon und Fernseher eine Herberge von klösterlicher Ruhe. Hier braut Giovanni Rodolfi nach Rezepten von Trappisten­mönchen Bier. „Es ist eine schöne Art, die Ressourcen des Anwesens zu nutzen“, ­erklärt er.

Eine entwidmete Kapelle ist Spielort für Konzerte

Das Wasser Umbriens sei von besonderer Qualität – nicht umsonst wird das Quellwasser des nahen Städtchens Nocera Umbra im ganzen Land verkauft –, das Malz stamme vom ei­genen Land.

Fünf Sorten füllt er in elegante Sektflaschen ab. Rodolfi, der einst für Heineken tätig war, könnte mit grauem Bart und blitzenden Augen besser nicht passen in die Rolle des solitären Braumeisters.

Seit zehn Jahren stellt er in einem Wirtschaftsgebäude des Klosters Craft-Biere her, die klangvolle Namen tragen: Verbum heißt das Weizenbier, Gaudens das Pils, Monasta ein mit Honig und Lorbeer aromatisiertes Gebräu, Aurum ein goldenes Ale und Amber ein dunkles, malziges Bier.

1333 gegründet, war das in tiefer Stille in den Hügeln gelegene Kloster einst Rastort von Pilgern auf dem Weg ins Heilige Land. Schon um 1800 verließen die letzten Mönche das einsame Kloster, doch erst kurz vor der Jahrtausendwende wurde es restauriert.

Heute ist die Geschichte Geschäftsidee: Die weiblichen Angestellten tragen ärmel­lose, bodenlange Kutten, die große Schleifen auf Taille bringen. Die entwidmete Kapelle ist Spielort für Konzerte, an Silvester findet hier zu klassischer Musik ein festliches Essen statt.

Assisi ist mittlerweile Italiens erdbebensicherste Stadt

In Assisi ist die Religion mehr als nur Leitmotiv stilvoller Hoteldesigns. Hier wird ernsthaft gepilgert. In der Basilica Santa Maria degli Angeli, die zu den größten Kirchen der Welt zählt, werden mehrere Messen am Tag gelesen.

Zum Hochamt am Vormittag erscheinen gleich fünf Priester. Klarissinnen und Franziskaner durchstreifen die Altstadt auf den Spuren des Franz von Assisi und der Heiligen Klara.

In Assisi sieht man besonders viele Geistliche.
In Assisi sieht man besonders viele Geistliche. © picture alliance / imageBROKER | BAO

Die Geschäfte der Stadt, in denen statt Schuhen, Hand­taschen oder Teigwaren unterschiedlich geschmackvolle Olivenschalen, Lesezeichen und Geschirrtücher mit der Grabkirche des Heiligen darauf verkauft werden, beweisen, dass auch viele der weltlich gekleideten Reisenden spirituelle Motive treiben.

Der unangepasste Heilige Franz von Assisi wurde um 1181 als Sohn eines wohlhabenden Tuchhändlers geboren, entschied sich nach jugendlichen Ausschweifungen für ein Leben in Askese, scheute ­keine Provokation – so zog er sich vor Gericht und Bischof nackt aus, um seinen Standpunkt klarer herauszuarbeiten –, gründete den Franziskanerorden und starb 1226.

Seine Zeitgenossin und Kollegin Klara ist in der Basilika Santa Chiara in der Unterstadt bestattet. „Sch“, haucht eine Klarissin hier regelmäßig ins Mikrofon, und wenn Stille herrscht, mahnt sie leise: „No photos.“

Eine Bodenplatte erinnert an das Erdbeben von 1997

Die Basilica di San Francesco ist als Grabort des Heiligen wichtiges Pilgerziel und bedeutendster Wirtschaftsfaktor ­Assisis. Die Fresken der zweistöckigen ­Kirche erzählen vom Leben des Heiligen. In der Unterkirche sieht man, wie Franz nach einem Erdbeben ein Mädchen rettet.

Eine Platte im Boden der Oberkirche erinnert an den 26. September 1997, als um 11.42 Uhr die Erde bebte und vier ­Besucher der Kirche von einstürzenden Gewölbedecken erschlagen wurden. 70 Prozent der Stadt waren zerstört. Die Basilica hatte schweren Schaden genommen, die Fresken Giottos waren nahezu pulverisiert.

Wie zum Trost nahm die Unesco Assisi nach dem Beben in die Liste des Weltkulturerbes auf. Die Restaurierung der Kirche dauerte neun Jahre und kostete mehr als 35 Millionen Euro. In Handarbeit wurde das Gewölbe aus 30.000 Ziegeln wiederhergestellt. Heute gilt Assisi als erdbebensicherste Stadt Italiens.

Tipps & Informationen

Für den nördlichen Teil Umbriens ist Florenz der nächstgelegene Flughafen, für den Süden Rom. Beide werden zum Beispiel von Lufthansa beziehungsweise Eurowings angeflogen. An den Flughäfen sind die großen Mietwagenfirmen vertreten.

Im Hotel Relais San Biagio Antico Monastero kostet das Doppelzimmer mit Frühstück ab 120 Euro (http://sanbiagio.net/). Als Umbria Benessere hat sich eine Gruppe von Wellness-Hotels zusammengeschlossen, von denen sich viele in historischen Gebäuden befinden (www.umbriabenessere.eu). Einige Agriturismo-Be­triebe, Unterkünfte in landwirtschaftlichen Betrieben mit guter Küche, findet man auf www.agriturismo.it.

(Die Reise erfolgte mit Unterstützung durch Umbria Benessere.)