Bangkok. Wie können sich zubetonierte Megacitys in Asien gegen Hitze und Extremwetter rüsten? Bangkok setzt auf Natur – mit einem neuen Park.

Aus einer Kammer der Musikschule in der dritten Etage des Einkaufszentrums I’m Park im Zentrum Bangkoks tönt eine holprige Version von Beethovens „Für Elise“. Kotchakorn Voraakhom interessieren die Misstöne wenig. Schnurstracks marschiert sie zum Balkon. „Hier hat man den besten Blick“, sagt „Kotch“, wie die knapp 40 Jahre alte thailändische Architektin genannt wird.

Die zierliche Harvard-Absolventin scheint über sich hinauszuwachsen, als sie mit ausgebreiteten Armen auf ihr Werk zeigt: Den 2018 fertiggestellten Chulalongkorn University Centenary Park, so groß wie fünf Fußballplätze und mit einem Verkaufswert von 100 Millionen Euro. Eine grüne Lunge inmitten der Betonwüste Bangkok, das einst wegen seiner vielen Kanäle das „Venedig des Ostens“ genannt wurde.

Wasser läuft über die schrägen Stufen in ein Reservoir ab

„Das ist der erste neue Park in 25 Jahren“, sagt Kotchakorn. Gebaut wurde er, um die chronische Überschwemmungen in dieser Metropole zu bekämpfen. Alle Flächen des Parks haben eine Neigung von drei Grad. So kann Wasser über die schrägen Stufen in ein Reservoir ablaufen. Ein flacher, mit Gras und einheimischen Pflanzen bewachsener Hügel stellt den höchsten Punkt dar. Darunter hat die Architektin mit ihrem Team ein Museum und ein Informationszentrum untergebracht.

Am entgegengesetzten Ende des Parks wachsen Sumpfpflanzen am Rand eines großen halb leeren Tümpels. Die glänzende Schaufeln von Wassermühlen stehen etwa einen Meter über der Wasseroberfläche und sind per Kette mit Stehfahrrädern verbunden. „Wenn wir Regenzeit haben und der Tümpel voller Wasser ist, können Leute so das Wasser lüften und gleichzeitig etwas für ihre Gesundheit tun“, sagt die thailändische Architektin. Die Bäume, die neben asphaltierten Spazierwegen stehen, müssen noch etwas wachsen, bevor sie den erhofften Schatten spenden.

Stützpfeiler wurde Anfang des Jahrtausends in Boden gerammt

Bangkoks neuer Park wirkt wie ein Fremdkörper. In rund einem Kilometer Entfernung stehen die glitzernden Hochhauspaläste des Finanzzentrums der thailändischen Hauptstadt. Dahinter verschwinden im Smog der Mega-Metropole die riesigen Hochhausbunker mit ihren Abertausenden Wohnungen. Die Stützpfeiler wurde erst Anfang des Jahrtausends in den sumpfigen Boden Bangkoks gerammt.

Doch die energiegeladene Architektin, die den Park nach einem Wettbewerb zum hundertjährigen Bestehen der angesehenen Chulalongkorn-Universität mit einem Kostenaufwand von rund 30 Millionen Euro bauen durfte, will ihre Unzufriedenheit nicht verbergen.

„Alle loben die Anlage“, sagt Kotchakorn, während ihr in der gleißenden Sonne auf dem Balkon des Shopping-Centers der Schweiß über das Gesicht rinnt, „jeder freut sich, dass man hier in der Abenddämmerung mitten im Stadtzentrum spazieren gehen kann. Aber hier in Thailand will fast niemand etwas über das Konzept hören.“

Gelände absorbiert bis zu 3,8 Millionen Liter Wasser

Kotchakorn und ihr insgesamt achtköpfiges Team vom „Porous City Network“ bauten eine Grünanlage, die als Vorbild dienen soll: Der Chulalongkorn University Centenary Park (kurz CU 100), der 2018 fertig wurde, heißt auch „durstiger Park“.

Der Chulalongkorn University Centenary Park ist so groß wie fünf Fußballplätze.
Der Chulalongkorn University Centenary Park ist so groß wie fünf Fußballplätze. © Landprocess Co., Ltd/Chulalongkorn UniversityCU Centennial Park | Landprocess Co., Ltd/Chulalongkorn UniversityCU Centennial Park

Das Gelände kann bis zu 3,8 Millionen Liter Wasser absorbieren, wenn während der Regenzeit das Wasser in Strömen vom Himmel fällt und die „Stadt der Engel“ sich in kürzester Zeit in eine stinkende Kloake voll Abfall, verendeter Ratten und ums Überleben kämpfender Giftschlangen verwandelt – eine Brutstätte für das gefürchtete Denguefieber und Malaria.

Im Jahr 2030, so Schätzungen, könnten bis zu 40 Prozent der thailändischen Hauptstadt während des Monsuns überschwemmt werden. Schon jetzt stehen die engen Gassen der Millionenmetropole innerhalb von Minuten unter Wasser, wenn tropische Regengüsse niederprasseln. Die Flutenkönnen jedoch nicht ablaufen, weil die Flächen zubetoniert wurden.

1994 waren es in Bangkok noch angenehme 26 Grad

Das Architektenteam von Kotchakorn führt ihre Ideen im Namen. Porous City bedeutet „poröse Stadt“. Dabei ist der Ballungsraum Bangkok mit etwa 20 Millionen Menschen, ein Drittel aller Einwohner des Königreichs, das genaue Gegenteil: „Bangkok hat sich von einer grünen zu einer grauen Stadt verändert“, sagt Kotchakorn.

Laut einer 2016 vorgestellten Studie des Geologen Nargis Kamal von der pakistanischen Universität Baluchistan in Quetta in Zusammenarbeit mit Thailands Asian Institute of Technology (AIT) waren im Jahr 1994 genau 32 Prozent (652 Quadratkilometer) der Gesamtfläche von 2063 Quadratkilometern im Ballungsraum bebaut. 58 Prozent (1198 Quadratkilometer) galten als Grünfläche.

18 Jahre später, 2012, waren 860 Quadratkilometer ­zubetoniert, die Grünflächen waren um rund 300 Quadratkilometer geschrumpft. Eine Folge: Die Stadt heizt sich auf. Im Jahr 2012 verzeichnete das Meteorologische Department Thailands eine Durchschnittstemperatur von 40,1 Grad. 1994 waren es in Bangkok noch angenehme 26 Grad.

Bangkok ist nicht Asiens schlimmste Betonmetropole

Das Flächenproblem ist allgegenwärtig. Laut dem Siemens Green City Index stehen jedem Bewohner Bangkoks ganze 3,3 Quadratmeter Grünfläche zur Verfügung. Ein durchschnittliches deutsches Badezimmer ist etwa doppelt so groß.

Die Skyline von Singapur in den Abendstunden. Der Stadtstaat ist reich an Einwohnern – und arm an Natur.
Die Skyline von Singapur in den Abendstunden. Der Stadtstaat ist reich an Einwohnern – und arm an Natur. © imago/Manngold

Dabei ist Bangkok längst nicht Asiens schlimmste Betonmetropole. In Indiens Kolkata, früher Kalkutta, kommen auf jeden Bewohner spärliche 1,8 Quadratmeter. Indonesiens Hauptstadt Jakarta, die jährlich bis zu 25 Zentimeter im Boden versinkt, weist 2,3 Quadratmeter auf. Und selbst der Stadtstaat Singapur, dessen sechs Millionen Einwohner stolze 66 Quadratmeter Grünfläche pro Kopf genießen können, verschwendet 25 Prozent seiner Fläche für Autoparkplätze.

Täglich ziehen 120.000 bis 150.000 Menschen in Asiens Städte

Atemberaubend schnell breiteten sich die Megastädte aus. Laut der Asian Development Bank (ADB) war Tokio 1950 die einzige Megametropole in Asien. Im Jahr 2015 zählte der Kontinent schon zwölf asiatische Mammutstädte mit mehr als zehn Millionen Einwohnern. Bis 2025 soll sich die Zahl auf 25 erhöhen und damit mehr als verdoppeln.

Denn täglich ziehen 120.000 bis 150.000 Menschen zusätzlich in Asiens Städte. Die ADB schätzte im Jahr 2015, dass etwa 700 Millionen Menschen in Asiens Megametropolen lebten – viele davon in Verhältnissen, die der Gesundheit nicht zuträglich sind: Elf dieser Städte gehören zu den 20 schmutzigsten Metropolen der Welt. Bangkok macht vor, wie es gehen könnte: mit der Natur, nicht gegen sie.