Berlin. Wenn Partner Zeit mit anderen verbringen, kann das auch Fremdgehen sein. „Emotionaler Betrug“ ist ein häufiger Grund für Trennungen.

Ein Zettel im Flur, darauf eine Telefonnummer gekritzelt – so fing alles an. Martha fragte ihren Mann ganz beiläufig, ob er den Zettel noch brauchen würde. Er bejahte und steckte ihn schnell in seine Tasche.

„Das ist die Nummer meiner Kollegin Ramona“, sagte er noch. Und Martha dachte sich nichts dabei, nahm den Hund und ging laufen. In den nächsten acht Wochen tauchte der Name Ramona allerdings immer öfter auf.

Einmal ging ihr Freund Hendrik mit Kollegen etwas trinken – und Ramona war dabei. Ein anderes Mal gingen sie zu zweit ins Fitnesscenter neben Hendriks Firma. Wieder ein anderes Mal kam Hendrik um drei Uhr morgens nach Hause, und Martha konnte sich die Antwort eigentlich selbst geben – Ramona, sie hatte natürlich mitgefeiert.

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    Von da an ging es Martha jeden Tag schlechter. Sie stellte sich Gespräche zwischen Ramona und ihrem Mann vor, die nie stattgefunden hatten. Gesten, die nie ausgetauscht wurden.

    Die groben Situationen und Züge, die schon selbstverletzend genug waren, malte sie noch mit kleinsten menschlichen Zwischentönen zu einem bunten Gemälde. Sie googelte Ramona, durchstöberte ihren Facebook-Account.

    Danach fühlte sie sich schlecht, wusste nicht mehr, wonach sie suchte.

    „Emotionaler Betrug“ ist ein noch recht neuer Begriff

    „Emotionaler Betrug beginnt da, wo wir dem Partner eine andere Person, die für uns immer wichtiger wird, verschweigen oder diese kleinreden“, erklärt der Paartherapeut Peter Bartning. Tatsächlich ist die Begrifflichkeit des emotionalen Betrugs in den Praxen von Psychotherapeuten erst vor Kurzem aufgekommen.

    „Wir sprechen in diesem Fall von seelischer, psychischer Untreue“, erklärt auch der Berliner Therapeut und Autor Wolfgang Krüger, der zu Themen wie Freundschaft und Liebe publiziert.

    „Wenn wir uns die Seele eines Menschen als Haus vorstellen, dann ist das so, als wenn ein anderer Mensch beim eigenen Partner immer mehr Räume belegt.“

    Partner werden von Eifersucht geplagt

    Die britische Zeitung „Independent“ fand heraus, dass sich 45 Prozent der Männer und 35 Prozent der Frauen, die sich in einer festen Beziehung befinden, zu einem anderen Partner emotional hingezogen fühlen. Eine körperliche Affäre lassen dagegen durchschnittlich 20 Prozent zu.

    Heißt im Klartext: Obwohl sie sich in einer fes­ten Beziehung befinden, tauschen sich viele Partner beispielsweise über soziale Netzwerke oder im Echtleben mit einer anderen Person aus und bauen dabei (unbewusst) eine emotionale Nähe zu diesem auf. Wann es emotionaler Betrug ist, bleibt natürlich Sache der Partner.

    Er konnte ihren Ärger nicht nachvollziehen

    Martha jedenfalls reichte es nach zwei Monaten – sie stellte Hendrik bei einem Abendessen in einem Restaurant bei Bonn zur Rede. Erzählte ihm von den unzähligen Nachrichten von Ramona, die sie auf seinem Sperrbildschirm gesehen hatte, darunter ein Foto der beiden in einem Nachtclub.

    „Aber ich habe doch nichts mit Ramona, ich bin doch mit dir zusammen“, habe er verzweifelt gerufen, erinnert sie sich. Sie habe geweint, weil sie es auch nicht besser erklären konnte. Es kam zu einem heftigen Streit. In den nächsten Tagen fing Martha an, sich selbst zu hassen – für die Person, die sie geworden war.

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      Sie ertappte sich dabei, sich zu wünschen, einen Anhaltspunkt für echtes – körperliches – Fremdgehen zu finden. Einer, der es ihr erlauben würde, das Pflaster nicht mehr langsam, sondern in einem schweren Schmerz- und Schreckmoment auf einmal abzuziehen.

      Menschen wollen geliebt werden

      „Moral kann man sich in einer Situation des emotionalen Betrugs an den Hut stecken“, sagt Psychologe Wolfgang Krüger. Vielmehr gehe es darum, sich zu fragen, warum der Partner sich abgewendet habe.

      „Das tiefste Bedürfnis eines Menschen ist es, gesehen und anerkannt zu werden“, erklärt er. Tut der andere das nicht mehr, ist es eine Frage der Zeit, bis jemand den Radar der intakten Beziehung unterläuft und Räume beim Partner einnehme.

      Paaren empfehle er deshalb, nie die Nähe zueinander zu verlieren, Rituale zu pflegen und unabhängig von jeder Lebensphase mindestens alle zwei Wochen miteinander einen Abend zu verbringen.

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        Stolz beendet die Demütigung

        Für Martha spielte das am Ende keine Rolle mehr. Es kam der Punkt, an dem es zu viel war. An dem das Paar jeden Tag stritt, weil sie wollte, dass Ramona geht. Und es gab nur wenig Möglichkeiten, sie verschwinden zu lassen.

        Eine Kontaktaufnahme zu ihr konnte Martha tatsächlich nach einem Jahr der ständigen Demütigungen nicht mehr mit ihrem Stolz vereinbaren. Martha behielt sich ein letztes Stück Ehre, indem ­Ramona nichts von ihrer Trauer wusste.

        So trennte sich Martha von Hen­drik. Er tobte, es half nichts. „Das ist jetzt ein Jahr her“, erzählt sie. Seit drei Monaten hat sie einen neuen Freund.

        Ramona und Hendrik, so hat sie es von seinen Kollegen gehört, haben heute keinen Kontakt mehr.