Berlin. Eigentlich war es das Thema ihrer Masterarbeit: Abriss zu neuem Baumaterial recyceln. Daraus machten zwei Designerinnen ein Geschäft.

Die Hauptstadt ist eine Baustelle. Etwa fünf Millionen Tonnen Bauschutt fallen pro Jahr in Berlin an. Für Rasa Weber (29) und Luisa Rubisch (28) ist dieser sogenannte Abriss aber mehr als Müll.

Die beiden sind das Kernteam des Design- und Architektur-Kollektivs „They feed off Buildings“, zu Deutsch etwa „Sie ernähren sich von Häusern“. Sie haben aus dem Bauschutt „Urban Terrazzo“ entwickelt. Das ist ein Material für Oberflächen wie Fußboden- oder Arbeitsplatten, gegossen aus Beton mit kleinen und großen Stücken Abriss darin.

Studium an der Universität der Künste

Kennengelernt haben sich die beiden Designerinnen im Masterstudiengang Produktdesign an der Berliner Universität der Künste (UdK).

Luisa Rubisch hatte vorher an der Technischen Universität Berlin Stadtplanung studiert. Rasa Weber absolvierte ihr Bachelorstudium Produktdesign an der Kunsthochschule Weißensee und der Design Academy Eindhoven. Das Projekt Urban Terrazzo war ihre gemeinsame Master-Arbeit.

Sinnvolle Verwertung von Resten

Als Bodenbelag gibt es Terrazzo seit der Antike. Ursprünglich verlegten ihn die Handwerker vor Ort: Kleine, oft farbige Steine oder andere Materialien wurden auf einen Estrich aufgebracht.

Nach dem Trocknen geschliffen und poliert entstand eine glatte, glänzende Oberfläche. Weil man für Terrazzo günstige und leicht verfügbare Bruch-Materialien verwenden kann, erlebte der Bodenbelag in der Nachkriegszeit eine Renaissance.

Auch Weber und Rubisch geht es um die sinnvolle Verwertung von Resten. „Der Aspekt der Nachhaltigkeit ist natürlich ein Schlüsselfaktor“, so Weber. Im Bauschutt sehen die beiden aber auch die Spuren der alten Gebäude. „Es ist ja ein Stück Historie, das da auf der Mülldeponie landet“, sagt Weber.

Ziel ist auch: Nachdenken anzuregen

Bauschutt-Recycling ist nicht neu, es wird häufig im Straßenbau eingesetzt. Weber und Rubisch kommt es jedoch nicht darauf an, besonders große Mengen an Abriss zu recyceln. Für sie geht es „um die Design-Perspektive“.

Die beiden wollen sensibilisieren und aufmerksam machen: „Wenn man in ein Gebäude kommt und dann nur so ein Stückwerk sieht, eine Irritation im Raum, ist es wahrscheinlicher, dass man darüber nachdenkt, woher das kommt oder was das ist“, sagt Weber. Das sei wie bei Fossilien in einem Stein, findet die 29-Jährige.

Schatzsuche in Prager Industrieanlage

Architektur werde damit zu einem dynamischen Prozess. „Man betreibt ein Stück weit Denkmalpflege, aber man kann gleichzeitig auch Bau-Fortschritt erleben“, sagt Rubisch. So wie bei einem alten Umspannwerk in der Innenstadt von Prag. Es wurde zu einer Kunsthalle umgewandelt.

Im Jahr 2017, noch bevor die Arbeiten auf dem Gelände begannen, wurde ihr Design- und Architektur-Kollektiv eingeladen mitzuwirken. Die Arbeit habe einer Schatzsuche geglichen, erinnert sich Rubisch: „Da tauchten Kupferstücke von den alten Kabeln wieder auf und Porzellan von den Isolationszapfen.“

Recyclingmaterial aus Berlin und Verona

Meistens stammt das Material, das Weber und Rubisch verarbeiten, von zwei Recyclinghöfen. Einer davon ist in Berlin, der andere in der Nähe von Verona gelegen. „Interessant ist, dass man sehen kann, woher der Abriss kommt“, sagt Rubisch.

In Berlin sei beispielsweise viel Lausitzer Granit enthalten, auch Beton aus der Nachkriegszeit, in dem dann wiederum Ziegelsteine als Zuschlagstoff verarbeitet wurden. Das sei „sehr bunter Beton“, so die 28-Jährige. In Italien hingegen fände man im Bauschutt eher Marmor, alten Terrazzo oder Terrakotta.

Besonders festen Beton entwickelt

Für die Herstellung der Urban-Terrazzo-Produkte ließen Luisa Rubisch und Rasa Weber einen extrem festen Beton entwickeln, besonders fein und gleichzeitig hart, mit dem die Bruchstücke zu Platten gegossen werden.

„Das ermöglicht, dass wir auch Stückwerk mit einbinden können“, erläutert Weber. „Normalerweise würde das ausbrechen oder wäre zu weich.“ Das Hinzugeben von Pigmenten ermöglicht dann un­ter­schied­liche Grundfarben, beispielsweise zartes Grün oder Rosé.

Transportwege verschlechtern Ökobilanz

Die beiden Gründerinnen erhalten immer mehr Anfragen. Auch Kunden aus Dänemark und den Niederlanden sind inzwischen darunter. Größere Aufträge lassen sie in einem Terrazzo-Werk in Italien bearbeiten.

Damit werden die Transportwege zum Wermutstropfen in ihrer Ökobilanz: „Am besten wäre es natürlich, wir hätten überall ein Werk, das lokal produziert“, sagt Weber. Dazu bräuchten sie allerdings ein größeres Netzwerk, das sie zurzeit noch aufbauen.

Mit technischem Wissen in Männerdomänen punkten

Schwierig war es für die beiden Frauen anfangs, sich in den Männerdomänen der Bau- und Recyclingbranche zu behaupten. „Man kann sich mit technischem Wissen einen kleinen Vorteil verschaffen“, sagt Rasa Weber.

Die Gesprächspartner sind dadurch ein bisschen überrumpelt und hören zu. Inzwischen reagieren aber auch die Männer auf den Recyclinghöfen nicht mehr belustigt auf die beiden Designerinnen.

Mehrfach ausgezeichnet

Einen Teil dazu beigetragen haben sicher auch die Förderungen und Preise, die das Kollektiv erhalten hat. Weber und Rubisch bekamen das Start-up-Stipendium „Creative Prototyping“ der UdK zugesprochen, gewannen unter anderem den Bundespreis Ecodesign, und sie wurden als Newcomer-Finalisten beim German Design Award 2019 des Rats für Formgebung ausgezeichnet.

Die Auszeichnungen öffnen ihnen Türen, bringen Kontakte. Und das ist wertvoll. Es sei wichtig, „mit Partnern zu agieren, die Erfahrung in dem Business haben“, sagt Rasa Weber. Und die Kapazitäten in der Produktion haben: Denn zurzeit bekommen die Gründerinnen nicht zu wenig, sondern eher zu viele Anfragen.