Unten Standard, oben Freistil – neue Plattformen für E-Autos
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Von Mario Hommen
Köln. Mit der aufkommenden E-Mobilität gewinnen effiziente Plattformstrategien bei den Autobauern an Bedeutung. Das sind die Neuerungen.
Die Autoindustrie besinnt sich seit einigen Jahren einer fast vergessenen Tradition aus den Anfangstagen des Fahrzeugbaus: der Teilung von Karosserie- und Chassis-Produktion. Einst lieferten nämlich Autohersteller lediglich Fahrgestell und Motor, für den Aufbau waren andere Firmen verantwortlich.
Auch bei der Elektroautozukunft deutet sich ein Trend zur Trennung von oben und unten an. Das dürfte sich allerdings mehr auf eine effiziente statt arbeitsteilige Produktion sowie eine variable Nutzung auswirken. Die vielseitige Einsetzbarkeit modularer Konzepte könnte zudem helfen, die Zahl der Autos zu reduzieren.
Mittlerweile haben neben einigen Newcomern auch etablierte Hersteller entsprechende Techniken vorgestellt, bei denen Aufbauten austauschbar werden. Diese werden dann nicht nur zum Transport auf der Straße, sondern eines Tages möglicherweise auch in der Luft eingesetzt.
Auf einer Basis lassen sich sehr viele Modelltypen realisieren
Die Idee einer Trennung von Chassis und Fahrgastzelle ist nicht ganz neu. BMW unterteilte bereits 2013 seinen neu eingeführten i3 in ein Drive- und Life-Modul.
Dabei zeigte sich, dass sich bei einem von vornherein als E-Auto konzipierten Fahrzeug in der Plattform recht clever Traktionsbatterie, Motor und Fahrwerk fast wie in einem Bauteil bündeln lassen.
Als zweite Einheit gibt es dann noch eine Fahrgastzelle obendrauf. Ein Konzept, welches sich beim elektrischen Antriebsprinzip förmlich aufdrängt. Vor allem auch, weil sich damit Produktionskosten senken lassen, denn auf einer Basis lassen sich sehr viele Modelltypen realisieren.
Eine solche modulare E-Plattform wird bereits vom chinesischen Newcomer Byton genutzt, der bislang zwei Modelle auf dem gleichen Unterbau vorstellte. Auch VW will mit dem MEB, dem Modularen Elektro Baukasten, wie schon bei der Produktion konventionell getriebener Autos eine Basis für verschiedene Elektromodelle nutzen.
Der letzte Schrei: Plattformen, die einem Skateboard ähneln
Herstellerübergreifende Lösungen wurden ebenfalls bereits vorgestellt. So hat Williams Advanced Engineering 2017 eine Elektroauto-Plattform im Skateboard-Stil entwickelt. Basis ist ein Unterboden aus einem Carbon-Verbundstoff, der sich durch hohe Steifigkeit und geringes Gewicht auszeichnet.
Diese Plattform kann Batterien unterschiedlicher Größe aufnehmen sowie bis zu vier Motoren und Fahrwerkskomponenten kompakt integrieren. Die universell einsetzbare Lösung soll sich unter anderem durch einen besonders tiefen Fahrzeugschwerpunkt und hohe Crash-Sicherheit auszeichnen.
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Einem Skateboard ähnliche Plattformen sind ohnehin der letzte Schrei. So hat auch die in vielen Bereichen des Fahrzeugbaus umtriebige Firma Rinspeed AG im Jahr 2017 mit der Roboterauto-Studie Snap eine solchen Universalunterbau vorgestellt.
Das Besondere: Selbstfahrendes Chassis und Fahrgastzelle werden lediglich zusammengesteckt, was es erlaubt, Aufbauten kurzfristig abzunehmen oder gar zu tauschen, was wiederum eine Nutzung unterschiedlicher Fahrzeugtypen wie einen Shuttle-Bus oder Kleintransporter auf einem Chassis ermöglicht.
Den Wechsel der Aufbauten könnten Roboter übernehmen
Der Tausch funktioniert auch andersherum: Sind Elektromotor oder Batterie verschlissen, kann die intakte Oberbau einen neuen Unterbau bekommen. Der in die beiden gelenkten Achsen integrierte E-Antrieb des Snap stammt übrigens vom deutschen Zulieferer ZF.
Zusammen mit ZF hat Rinspeed Anfang 2019 auf der CES eine kompaktere Variante namens Microsnap vorgestellt, die ebenfalls auf das modulare Prinzip setzt, allerdings ob ihrer kompakteren Abmessungen für Roboter-Taxis als Basis dienen könnte. Den Wechsel der Aufbauten könnten übrigens Roboter vollautomatisiert übernehmen.
Auch der US-Konzern GM hat 2017 eine universelle Skateboard-Basis im XXL-Format namens Surus vorgestellt. Diese soll nach Vorstellungen von General Motors dem Transportfahrzeug von Übermorgen als modulare Plattform dienen.
Die Pritsche mit Rädern kann Cargo-Container oder auch militärische Aufbauten aufnehmen. Das Militär soll an dem Konzept laut GM bereits interessiert sein, da Surus leise ist, eine kleinere Wärmesignatur hinterlässt und dank Brennstoffzelle zudem hohe Reichweiten erlaubt.
Zum nächsten Einsatz kann die Plattform ohne Aufbau fahren
Ebenfalls einen Skateboard-Unterbau für modulare Aufbauten hat die Kleintransporter-Sparte von Daimler im Herbst 2018 als Vision Urbanetic vorgestellt. Dabei sind im Chassis alle Fahrfunktionen untergebracht inklusive des batterieelektrischen Antriebs. Die Plattform kann ohne Aufbau zum nächsten Einsatzort oder zur Ladestation fahren. Fahrersitz, Pedale und Lenkrad entfallen.
Die Modularität soll helfen, Nutzfahrzeuge kostengünstiger und effizienter zu machen und außerdem ihre Zahl verringern. Tagsüber „arbeitet“ der Vision Urbanetic als „People-Mover“, also als Personentransporter, der bis zu zwölf Menschen befördern kann.
In drei Minuten vom Van zum Lademeister
Nachts fährt er Güter aus. In beiden Fällen leise, emissionsfrei und autonom. Um ihn vom Van zum Lademeister umzubauen, reichen weniger als drei Minuten. Die komplette Personenkabine wird an einer speziellen Station einfach gegen einen Kastenaufbau getauscht.
Den jüngsten Vorstoß in eine modulare, elektrische sowie autonome Autozukunft hat das von ehemaligen Holden-Mitarbeitern gegründete Start-up AEV Robotics aus Australien unternommen.
Auf der CES in Las Vegas wurde Anfang 2019 die Pod Base vorgestellt. Grundlage dieses Fahrzeugkonzepts ist eine universal einsetzbare E-Plattform namens Base, die ebenfalls einem Skateboard ähnelt.
Auch Flugzeugbauer könnten Aufbauten für Pkw entwickeln
Auf dieser Basis lassen sich sogenannte Pods montieren, bei denen es sich um maßgeschneiderte Fahrbehälter handelt. Dabei kann es sich um Aufbauten für Personen- oder Warentransport handeln.
Da die Base auch autonomes Fahren beherrschen soll, sind viele Anwendungen für die Logistikbranche denkbar, bei denen auf einen Fahrer verzichtet werden kann. So zeigen Computerbilder von AEV einen fahrbaren Minisupermarkt oder einen mobilen Versorgungscontainer für Großbaustellen.
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Neben Auto- könnten künftig auch Flugzeugbauer Aufbauten entwickeln, die auf modularen Pkw-Plattformen zum Einsatz kommen. Eine solche Idee verfolgen die gemeinsam von Audi, Airbus und Italdesign entwickelten Konzepte Pop.Up und Pop.Up Next.
Hier gibt es ein kleines E-Auto mit modularer Plattform, dessen Fahrgastzelle eine Riesendrohne aufnehmen kann. Hebt die Drohne mit Kapsel und Fahrgästen ab, bleibt das „Grundmodul“ auf der Erde. Airbus und Audi glauben, vielleicht ab Mitte des nächsten Jahrzehnts so eine Idee Realität werden zu lassen.