Berlin. Berührungen spielen im Leben eine zentrale Rolle. Sie beeinflussen den Hormonhaushalt und den Herzschlag des Menschen – und noch mehr.

Ein Baby zahnt, es will in den Arm genommen werden. Ein Kleinkind stürzt, es rennt in die Arme von Papa. Ein Kind verliert sein Schmusetier und will mit Mama kuscheln. Ob Kummer, Verlust oder Scheitern – auch Erwachsene suchen in Momenten der Trauer intuitiv körperliche Nähe.

„Der Berührungssinn spielt in unserem Leben eine ganz zentrale Rolle“, sagt Karl-Heinz Ladwig, Professor für psychosomatische Medizin am Klinikum rechts der Isar der TU München. „Mit Blick auf unsere Gesundheit wird das Thema Berührung völlig unterschätzt.“

Körperkontakt ist lebensnotwendig

Egal ob regelmäßiges Kuscheln, Umarmen, Streicheln oder ein freundlicher Händedruck – Berührungen wirkten sich positiv auf die Gesundheit aus. „Für gesunde Menschen, die keine chronische schwere Hautkrankheit haben oder autistisch sind, ist Körperkontakt etwas, das ganz lebensnotwendig und – ich würde fast sagen – in unserer DNA festgelegt ist“, betont Christa Roth-Sackenheim, Vorstandsmitglied der Deutschen Gesellschaft für Psychiatrie, Psychotherapie, Psychosomatik und Nervenheilkunde.

„Auch bei vielen Tieren kann man gegenseitiges Berühren sehen“, erklärt Inga Neumann, Neurobiologin an der Universität Regensburg. „Positive Berührungen dienen der sozialen Stabilität und offensichtlich dem Wohlbefinden der Tiere.“

Ob die Fellpflege bei Primaten oder das Fellchenkraulen am Widerrist bei Pferden – diese durch die Evolution entwickelten Verhaltensweisen seien nicht nur gut für die Hygiene, sondern sie bestätigten tierische Freundschaft und reduzierten Stress.

Niedrigere Stresshormon- und Blutdruckwerte

Der letzte Punkt spielt Karl-Heinz Ladwig zufolge auch beim Mensch eine wichtige Rolle. Studien aus den USA, aus Deutschland und Großbritannien hätten gezeigt, dass das Herz von Menschen, die sich regelmäßig umarmen, ruhiger schlägt. Zudem hätten Menschen mit regelmäßigem Körperkontakt niedrigere Stresshormon- und Blutdruckwerte.

Laut Ladwig gibt es drei „Hauptautobahnen“, die die Psychobiologie des Menschen steuern und die durch sozialen Kontakt wie Berührungen positiv beeinflusst werden. „Das ist das autonome Nervensystem. Also alles, was mit dem Rhythmus des Herzens zu tun hat.“ Als Zweites nennt er das Hormonsystem und drittens die Inflammation, also die Entzündungsparameter. Diese drei Verbindungsstücke zwischen Körper und Seele wiederum seien miteinander verzahnt.

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    Nicht jede Berührung hat gleiche positive Wirkung

    Wichtig für einen positiven Effekt von Berührung sei, dass diese als positiv wahrgenommen werde, sagt Christa Roth-Sackenheim. „Nicht jeder will sich unbedingt gleich umarmen lassen“, erklärt die Fachärztin für Psychotherapeutische Medizin. Dies hänge von mehreren Faktoren ab – wie gut sich die Menschen kennen, wie entspannt sie und die Situation sind oder ob die Berührung von Herzen kommt.

    „Das System springt erst an, wenn wir spüren, dass es der andere ernst meint. Eine Berührung zwischen Tür und Angel hat keinen Effekt“, sagt Psychologe Fritz Jansen. Eine Umarmung mit einem Fremden könne auch Stress auslösen, positiv empfundener Körperkontakt hingegen führe zur Ausschüttung der Botenstoffe Dopamin und Oxytocin, die das Wohlbefinden steigern.

    Experte: Menschen müssen sich mehr Zeit füreinander nehmen

    Psychologe Jansen hat mit seiner Kollegin Uta Streit das Buch „Oxytocin, das Hormon der Nähe“ herausgebracht. In seinem psychotherapeutischen Arbeitsalltag hat er viel mit Berührungsmangel und Kontaktproblemen zu tun – Jansens zufolge zwei große Probleme unserer Gesellschaft.

    „Die meisten Menschen müssten anders miteinander umgehen, viel spüriger werden, mehr Mut haben für zwischenmenschliche Beziehungen auf allen Eben. Und dafür müssen sie auch die Zeit haben und sich die Zeit nehmen“, sagt er. „Aber die Wenigsten wissen, um wie viel es geht.“

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      Alternativen: Interessante Gespräche und Augenkontakt

      Wer weder Chance noch Lust auf körperliche Nähe hat, der hat den Experten zufolge auch Alternativen. „Die physische Berührung ist zwar ein besonderer Stimulus“, erklärt Inga Neumann, „allerdings ist die Haut nur eines der Sinnesorgane – genau wie beispielsweise das Gehör, die Augen und die Nase.“ Auch jede Form von sozialem Kontakt sei positiv. „Das kann ein interessantes Gespräch sein oder auch nur Augenkontakt“, so Neumann.

      Insbesondere aus Tierversuchen wisse man, dass positiver sozialer Kontakt das autonome Nervensystem beruhigt und das Oxytocinsystem des Gehirns aktiviert, sagt die Professorin. Die Ausschüttung des kleinen Eiweißmoleküls (Neuropeptid) führe dazu, dass Stress-Systeme gehemmt werden und man sich geborgen fühle.

      Chronischer Stress kann Herz-Kreislauf-Erkrankungen auslösen

      Den Experten zufolge kann das körpereigene Oxytocin speziell die Aktivität der sogenannten Hypothalamus-Hypophysen-Nebennierenrinden-Achse – kurz HPA – hemmen und die Reaktion des sympathischen Nervensystems reduzieren. Sind diese Stress-Systeme dauerhaft aktiviert, etwa bei chro­nischem Stress, habe das dramatische Folgen.

      „Chronischer Stress ist ein Risikofaktor für sogenannte psychosomatische Erkrankungen wie Bauchschmerzen, Herz-Kreislauf-Erkrankungen oder chronischen Schmerz“, erklärt Inga Neumann. Auch soziale Unterstützung sei ein wichtiges Schlagwort, bei der Oxytocin eine Schlüsselrolle einnimmt.

      „Bei Heilungsprozessen zum Beispiel ist die soziale Unterstützung ein wichtiger Aspekt“, betont die Neurobiologin. Studien mit Krebspatienten hätten das ergeben. Und Christa Roth-Sackenheim ergänzt: „Deswegen reglementieren Krankenhäuser heute auch ihre Besuchszeiten nicht mehr so wie noch vor zwanzig Jahren. Damit die Patienten von ihrer Familie, ihrem Umfeld unterstützt werden.“

      Die Zusammenhänge sind gut erforscht

      Karl-Heinz Ladwig nennt weitere positive Effekte des freigesetzten Oxytocins: eine verbesserte Regulation des eigenen Energiehaushalts oder ein reduziertes Hungergefühl. Die Folge, so Ladwig: „Wir essen weniger, wir sind weniger dick und laufen damit auch weniger Gefahr, übergewichtsbedingte Krankheiten zu bekommen wie Diabetes oder Herzkreislaufprobleme.“

      Positive Einflüsse gebe es zudem auf das Schmerzempfinden, auf Blutdruck, Puls und Arterienverkalkung, ergänzt Jansen.

      Umgekehrt kann ein Mangel an sozialem Kontakt schaden. Das sehe man beispielsweise an Kindern, die nach der Geburt viel isoliert waren, sagt Jansen. „Aber auch später im Erwachsenenalter macht uns Isolation nicht ohne Grund krank“, ergänzt Roth-Sackenheim.

      „Die Zusammenhänge zwischen sozialem Kontakt und der Gesundheit sind wirklich sehr gut untersucht“, betont Mediziner Ladwig. „Kuscheln und Umarmungen halten und machen gesund. Wir sind soziale Wesen, das können wir einfach nicht verleugnen.“