Berlin. Jugendforscher Klaus Hurrelmann fordert, Schulabgänger umfangreicher auf den Beruf vorzubereiten. Mangelnde Bildung berge Gefahren.

Fast 50.000 Jugendliche in Deutschland verlassen jedes Jahr die Schule ohne Abschluss. Seit Jahren gibt es hier nach Angaben von Caritas und Deutschem Gewerkschaftsbund (DGB) nur leichte Veränderungen.

Ebenfalls hoch bleibt die Zahl der jungen Erwachsenen ohne Ausbildung: Laut Statistischem Bundesamt hatten 2018 etwa 1,5 Millionen Männer und Frauen im Alter von 20 bis 29 weder eine abgeschlossene Lehre, noch waren sie dabei, eine Ausbildung zu erwerben.

Gleichzeitig klagt die Wirtschaft über einen zunehmenden Azubi-Mangel. Und gleichzeitig steigt die Zahl von Abiturienten und Studenten. „Der Ausbildungsmarkt zerfällt in parallele Welten“, konstatiert der DGB.

Forscher: Ein Fünftel der Gesellschaft fühlt sich abgehängt

Nicht nur Gewerkschaftsbund und Caritas, sondern auch der renommierte deutsche Bildungs- und Jugendforscher Klaus Hurrelmann fordern hier jetzt mehr Anstrengungen. Denn Jugendliche mit schlechten Berufsaussichten sind nach Meinung des Wissenschaftlers ein Risiko für die gesamte Gesellschaft.

„Dieser Teil der jungen Generation ist leider nicht in der Lage, sich politisch stark zu artikulieren. Gerade die jungen Männer, die besonders betroffen sind, greifen dann dazu, radikale Parteien zu wählen, darunter auch rechtsextreme“, so Hurrelmann.

Insgesamt nennt Hurrelmann die junge Generation „extrem weltoffen“ und „sehr resistent gegenüber rechtsextremen Positionen“. Die Gesellschaft aber sei heute stärker gespalten als früher. Rund ein Fünftel habe das Gefühl, mit der Mehrheit nicht mithalten zu können.

„Dieses eine Fünftel muss uns Sorgen machen, das ist eine entwurzelte Gruppe“, sagt Hurrelmann. Und die strahle über diese 20 Prozent hinaus. „Wir haben hier ein Potenzial für ständige Unzufriedenheit, Unruhe, auch Hadern mit der Demokratie, der Politik und den Parteien.“

Hurrelmann fordert bessere Vorbereitung aus Berufsleben

Hurrelmann fordert deshalb bessere Angebote für Jugendliche zur Berufswahl. Sinnvoll sei es, allen Schulabgängern ein Jahr oder Halbjahr zur Berufsorientierung anzubieten – als verbindliche Alternative zum heutigen Freiwilligen Sozialen Jahr. Darüber müsse diskutiert werden, sagt der Professor an der Hertie School of Governance in Berlin.

„Auch weil es so schwer geworden ist, überhaupt zu wissen, was man will, bei fast 400 Ausbildungsgängen, die wir heute haben und bei wahrscheinlich fast 20.000 verschiedenen Studiengängen.“

Hurrelmann, der seit rund einem halben Jahrhundert zu Bildungs- und Jugendthemen forscht, spricht sich auch dafür aus, die Jugendlichen an dieser Diskussion zu beteiligen und verschiedene Szenarien zur Wahl zu stellen.

„Das wäre ein Signal der Politik an die junge Generation: Wir nehmen euch ernst, wir sehen mit Sorgen, dass ihr den Parteien und dem politischen System gegenüber so distanziert seid.“

Verbindliches Traineeprogramm für alle Wirtschaftszweige

Kurz vor seinem 75. Geburtstag erneuert Hurrelmann damit eine Idee, von der er bereits vor dem Hintergrund eines möglichen sozialen Pflichtjahrs gesprochen hatte, das im August von der damaligen CDU-Generalsekretärin und jetzigen Parteivorsitzenden Annegret Kramp-Karrenbauer vorgeschlagen worden war.

Die neue Berufsvorbereitung solle „eine Art verbindliches Traineeprogramm sein, das so attraktiv ist, dass es dumm wäre, es auszuschlagen. Es sollte etwas sein, das den jungen Leuten selbst einleuchtet und gefällt“, sagte der Wissenschaftler.

Diesem Programm müssten sich aber nicht nur – wie beim Freiwilligen Sozialen Jahr oder beim Bundesfreiwilligendienst – Sozialberufe, Kindergärten oder gemeinnützige Organisationen öffnen, sondern auch Unternehmen und internationale Institutionen.

Nach Angaben des Bundesinstituts für Bildungsforschung gibt es schon heute bundesweit ein breites Angebot für den Übergang von Schule und Beruf. Dazu zählen neben Praktika und Freiwilligendiensten auch die berufsvorbereitenden Bildungsmaßnahmen (BvB) der Agenturen für Arbeit und das sogenannte Berufsvorbereitungsjahr (BVJ).

Ausbildungschancen hängen stark vom Wohnort ab

Mit dem können Jugendliche ihre Schulpflicht erfüllen und gleichzeitig einen fehlenden Schulabschluss nachholen. Das BVJ dient der beruflichen Orientierung und der Verbesserung der Ausbildungsreife. Viele Jugendliche aber brechen das Angebot ab oder schaffen den Abschluss nicht.

„Berufsorientierung gibt es bereits und sie ist auch wichtig – vielerorts mangelt es aber an einem Angebot“, sagt die stellvertretende DGB-Vorsitzende Elke Hannack unserer Redaktion. Die Ausbildungschancen hingen zu stark von Wohnort und Herkunft ab. Gerade Jugendliche aus benachteiligten Vierteln wollten Praktika machen, bekämen oft aber keinen Platz.

Hannack forderte mehr staatliche Ausbildungshilfen sowie außerbetriebliche Lehrstellen. Unternehmen rief sie zum Umdenken auf: „Wenn diese über einen vermeintlichen Azubi-Mangel klagen, gleichzeitig aber nicht einmal jeder zweite Jugendliche mit Hauptschulabschluss den Sprung in Ausbildung schafft, birgt das sozialen Sprengstoff.“ (mit dpa)