Berlin. In Berlin bieten drei Hochschulen Bachelor- und Masterprogramme in Architektur an. Was gelehrt wird, wie es Berufseinsteigern ergeht.

Ob Skilegende Rosi Mittermaier oder die Volksmusikantinnen Maria und Margot Hellwig – im kleinen Reit im Winkl wurden einige Prominente geboren. Eine international renommierte Architektin war bislang noch nicht darunter.

Doch Martina Huber hätte nichts dagegen, wenn sich das künftig ändert. 2012 ist die heute 24-Jährige aus dem oberbayerischen Wintersportort nach Berlin gezogen, um hier an der Technischen Universität (TU) Architektur zu studieren: „Ich liebe meine Heimat und das Dorfleben, aber nach dem Abitur wollte ich raus in die Großstadt“, sagt sie.

Praktika bei angesagten Büros

Eine nachvollziehbare Wahl: Nachwuchsarchitekten haben in Berlin viele Möglichkeiten. Gleich drei renommierte Hochschulen bieten ein Architekturstudium an: außer der TU auch die Universität der Künste (UdK) und die Beuth Hochschule für Technik.

TU-Studentin Martina Huber, gebürtige Bayerin, auf dem Campus der Tsinghua University in Peking. Sie absolviert ein Masterstudium mit deutsch-chinesischem Doppelabschluss.
TU-Studentin Martina Huber, gebürtige Bayerin, auf dem Campus der Tsinghua University in Peking. Sie absolviert ein Masterstudium mit deutsch-chinesischem Doppelabschluss. © Privat | Privat

Auch an aufsehenerregenden Bauvorhaben oder angesagten Architekturbüros, die Jobs und Praktika anbieten, herrscht kein Mangel.

Martina Huber durfte beispielsweise während ihres Bachelorstudiums vier Monate als Praktikantin am preisgekrönten Entwurf für das Futurium mitarbeiten.

Das markante Ausstellungs- und Veranstaltungszentrum in der Nähe des Hauptbahnhofs, entworfen vom Berliner Büro Richter Musikowski, soll im Herbst 2019 eröffnet werden.

Erster Job vielleicht in China

Bis dahin wird Martina Huber ihren Master in der Tasche haben – und könnte sich vorstellen, ihren ersten Job nicht in Berlin, sondern in China anzutreten: Bereits während des Bachelorstudiums absolvierte sie ein Auslandssemester in Schanghai.

Ihren Master macht sie jetzt als Doppelabschluss an der TU Berlin und der Tsinghua-Universität in Peking, wo sie ein Jahr lang studiert und morgens mit 48.000 anderen Studenten auf dem riesigen Campus im Fahrradstau gestanden hat.

Masterarbeit übers Co-Living

Aus China hat Huber auch das Thema ihrer Masterarbeit mitgebracht: Für eine innerstädtische Brachfläche in Peking entwirft sie einen Co-Living-Space, eine Art öffentliches Wohnheim mit kleinen privaten Einheiten und großzügigen Gemeinschaftsbereichen.

„In Peking ist Wohnraum knapp, und besonders für die junge Generation ist es schwierig, bezahlbare Wohnungen zu finden“, sagt sie. Anstatt ihr Leben lang eine bescheidene kleine Wohnung abzubezahlen, folgen viele in­­zwischen dem Trend zur Sharing Economy und setzen auch beim Wohnen aufs Teilen.

Nirgendwo auf der Welt wird derzeit mehr gebaut als in China. Landeskundige Architekten sind gesucht. Und so hätte Martina Huber mit ihrem deutsch-chinesischen Masterabschluss und soliden Chinesisch-Kenntnissen wohl gute Chancen, in einem großen chinesischen Architekturbüro oder in der Architekturabteilung einer Immobiliengesellschaft anzuheuern.

Weniger als zwei Prozent arbeitslos

Doch noch hat sie sich nicht entschieden. „Ich bin für alles offen“, sagt die 24-Jährige. Denn auch in Deutschland dürfte ihr der Berufseinstieg derzeit leichtfallen. Die Auftragsbücher des Bauhauptgewerbes sind gut gefüllt, die Unternehmen suchen Experten, die entwerfen, planen und Baustellen leiten können.

Bei der Bundesagentur für Arbeit waren Mitte 2018 rund 1500 offene Stellen für Architekten gemeldet – der höchste Stand in den vergangenen zehn Jahren. Die Zahl der arbeitslos gemeldeten Architekten sank parallel dazu auf den neuen Tiefstwert von 1800. Das entspricht einer Ar­beitslosenquote von deutlich unter zwei Prozent.

Jobsuche nach zwei Wochen erledigt

Katharina Hagl musste jedenfalls nicht lange nach einem interessanten Job suchen. Nach ihrem Masterabschluss in Architektur an der Beuth Hochschule verschickte sie im Mai 2018 einige Bewerbungen, zwei Wochen später konnte sie ihren Arbeitsvertrag unterschreiben.

Seit Juni 2018 arbeitet die 25-jährige Berlinerin bei Collignon Architektur am Kudamm. Das mittelständische Architekturbüro mit 18 Mitarbeitern bietet aus Sicht der Berufseinsteigerin einen optimalen Mix aus privaten und öffentlichen Aufträgen, darunter beispielsweise der neue U-Bahnhof am Roten Rathaus.

Kreative Konzepte für Wettbewerbe

Im Büroalltag arbeitet sie bei Wettbewerbsprojekten und Auftragsarbeiten mit. „Bei Wettbewerben sind kreative Konzepte und neue Ideen gefragt“, erzählt Hagl. „Das macht Spaß, auch wenn der Entwurf vielleicht nie umgesetzt wird.“

Bei konkreten Aufträgen von Bauherren, beispielsweise für ein neues Bürogebäude oder ein Hotel, lerne sie dagegen, nicht nur den Anspruch des Büros an gestalterische Qualität umzusetzen. Stets geht es auch um Kosten und Machbarkeit der Vorschläge sowie baurechtliche Normen.

Geschützte Berufsbezeichnung

Als Angestellte möchte Katharina Hagl zunächst die nötige Berufserfahrung sammeln, um sich bei der Berliner Architektenkammer zu registrieren.

Denn Architekt ist eine geschützte Berufsbezeichnung. Nur wer in die Architektenliste eines Bundeslandes eingetragen ist, darf sich so nennen und sein eigenes Architekturbüro eröffnen.

Auch wenn das wohl noch etwas dauert, hat die Nachwuchsarchitektin mit ihrem ehemaligen Kommilitonen David Slania bereits einen potenziellen Partner für den Schritt in die Selbstständigkeit in petto.

Erfolgreiche Zusammenarbeit

Die beiden Beuth-Absolventen haben schon im Bachelorstudium erfolgreich zusammen Konzepte entworfen. Auch ihre Masterarbeit ist ein Gemeinschaftsprojekt: Der Entwurf für grünes Wohnen in Pankow gewann beim hochschulinternen Wettbewerb „Stadt der Zukunft“ 2018 den ersten Platz.

Ein Zeichen, dass die beiden gut als Team funktionieren. „Die Kommunikation muss stimmen, denn es wird viel und intensiv diskutiert“, sagt Hagl. Ein bewährter Partner, den man schon aus dem Studium kenne, sei später beim Schritt in die berufliche Selbstständigkeit viel wert.

Das Bauen im Ausland kennenlernen

Neben dem Aufbau eines Netzwerks sei das Studium die beste Gelegenheit, um etwas über das Bauen im Ausland zu lernen, sagt Hagl. „Später im Job wird es schwieriger, Auslandserfahrung zu sammeln.“

Weil Hagl gut Spanisch spricht, entschied sie sich für ein Semester in Chile. Dort stand beispielsweise erdbebensicheres Bauen auf dem Lehrplan, außerdem ein nachhaltiges Bauprojekt auf der Osterinsel.

Weil das Entsorgen von Müll auf der abgelegenen Insel ein großes Pro­blem darstellt und es kaum Holz oder andere Baustoffe gibt, entschied sich das Team, aus der Not eine Tugend zu machen: Abfälle, beispielsweise alte Autoreifen, wurden als Baumaterialien eingesetzt.

Die meisten arbeiten in Architekturbüros

Katharina Hagl hat den klassischen Berufsweg eingeschlagen: Mehr als jeder zweite angestellte Architekt arbeitet bei einem Architekturbüro. Doch es gibt Alternativen: Private Unternehmen mit größerem Immobilienbestand, beispielsweise Woh­­nungsbaugesellschaften, Handels- oder Hotelketten, be­schäftigen zum Teil eigene Bau­­profis für Standortentwicklung und Baustellenleitung.

Auch die Liegenschaftsgesellschaften von Bund, Ländern und Kommunen benötigen für ihren Immobilienbestand eigene Ar­chitekten und Bauingenieure. „Einsteiger können bei uns im Construction Team schnell viel Verantwortung übernehmen“, sagt Oliver Winter, Gründer und Geschäftsführer von A&O Hotels and Hostels.

Die Berliner Hostelkette baut und saniert pro Jahr zwei bis drei Häuser, außerdem werden bis 2020 alle bestehenden Hostels nach neuem Design renoviert. Dafür erweitert Winter regelmäßig sein Team aus Architekten, Bauingenieuren und Bauzeichnern.

Nicht jeder kann sofort ins Masterstudium starten

Um sich später Architekt nennen zu dürfen, ist in der Regel der Masterabschluss erforderlich. Doch obwohl die Berliner Hochschulen den Zugang zum Bachelorstudium per Numerus clausus oder Auswahlverfahren limitiert haben, bekommt nicht jeder Absolvent sofort einen Masterplatz.

Projektingenieurin Jie Chie prüft für ihren Arbeitgeber Kiwa die Stabilität von Bauwerken.
Projektingenieurin Jie Chie prüft für ihren Arbeitgeber Kiwa die Stabilität von Bauwerken. © Privat | Privat

So wie Jie Chi, die ihren Bachelorabschluss an der TU gemacht hat. „Anfangs war ich schon sehr enttäuscht“, gibt sie zu.

Die 24-jährige Berlinerin mit chinesischen Wurzeln übernahm zunächst einen Teilzeitjob in einem Architekturbüro, doch den ganzen Tag am PC zu sitzen und Ansichten, Schnitte und Aufrisse zu zeichnen, wurde ihr bald zu eintönig.

Als Tutorin für Bauphysik und Baukonstruktion an der TU kam sie in Kontakt mit Kiwa, einem internationalen Prüf- und Zertifizierungsunternehmen, das unter anderem Prüfdienstleistungen für Bauwerke anbietet.

Nach einem vierwöchigen Praktikum konnte Jie Chi im September 2018 als Projektingenieurin für Bauwerksdiagnostik bei Kiwa in Berlin anfangen.

Vor Ort im Einsatz

Statt nur am PC zu sitzen, untersucht sie heute sanierungsbedürftige Dachstühle, misst baufällige Brücken aus oder ortet mit einer Spezialmaschine die Stahlverstärkungen im U-Bahnschacht.

„Das macht unheimlich viel Spaß, und ich lerne immer mehr über Baustoffe und Baukonstruktionen dazu“, sagt sie. „Dadurch, dass ich keinen Masterplatz bekommen habe, habe ich erst zu Kiwa gefunden. Dafür bin ich sehr dankbar“, sagt sie. Den Master will sie später nachholen, dann aber lieber berufsbegleitend im Fernstudium.