Berlin. Die 1912 entdeckte Hashimoto-Thyreoiditis sorgt für Fehler im Hormonhaushalt. Jeder Zehnte ist von der Autoimmunerkrankung betroffen.

Viele sind übergewichtig, andere frieren oft oder leiden unter depressionsartigen Verstimmungen. Manche klagen über Apathie, Panikattacken, Haarausfall oder Gelenkschmerzen. Was fast alle eint, sind Müdigkeit, Konzentrations- und Gedächtnisprobleme. Der Grund ist die Schilddrüse, die nicht mehr richtig funktioniert. Die Diagnose: Hashimoto-Thyreoiditis, oder kurz Hashimoto.

Schätzungen zufolge ist jeder zehnte Deutsche von der Autoimmunerkrankung betroffen. Sie ist nach dem japanischen Arzt benannt, der sie 1912 erstmals beschrieb. Bei den Patienten bildet der eigene Organismus Antikörper, die die Schilddrüse angreifen. Diese kann nicht mehr richtig arbeiten, der Hormonhaushalt gerät aus den Fugen.

Krankheit seit 100 Jahren bekannt, aber man weiß wenig über sie

Obwohl die als chronische Schilddrüsenentzündung bezeichnete Erkrankung seit mehr als 100 Jahren bekannt ist, weiß man bis heute wenig über sie. Fest steht, dass Hashimoto in Familien gehäuft vorkommt, die Krankheit aber durchaus auch eine Generation überspringen kann. Außerdem konnten mindestens sechs Gene identifiziert werden, die eine Entzündung der Schilddrüse unter Belastung begünstigen.

„Wann die Krankheit ausbricht und warum oder ob sie überhaupt ausbricht, diese Faktoren kennt man nur ganz beschränkt“, erklärt Joachim Feldkamp, Chefarzt der Klinik für Allgemeine Innere Medizin, Endokrinologie, Diabetologie und Infektiologie am Klinikum Bielefeld.

Seelische Belastung kann eine Ursache sein

Als weitere Faktoren, die die Entzündungsbereitschaft der Schilddrüse verstärken könnten, nennt der Bamberger Endokrinologe Berndt Rieger eine Schadstoffbelastung oder Jodempfindlichkeit des Körpers sowie eine seelische Belastung. Eine neue, im Juni erschienene Studie konnte zeigen, dass Hashimoto-Patienten im Vergleich zur Normalbevölkerung überproportional häufig Depressionen haben. Auch ältere Arbeiten vermuteten bereits eine Wechselwirkung mit emotionalem Stress. „Möglicherweise gibt es hier einen Zusammenhang“, sagt auch Feldkamp.

Dass exzessive Gaben von Jod die Krankheit verstärken kann, scheint erwiesen. Für einen negativen Effekt müssten laut Feldkamp 300 bis 500 Mikrogramm Jod oder mehr pro Tag über einen längeren Zeitraum hinweg eingenommen werden. „Wir sprechen hier von Faktoren, die um ein Vielfaches höher sind als das, was wir in unserer normalen Ernährung haben“, so der Endokrinologe. Laut Robert-Koch-Institut liegt die durchschnittliche Jodaufnahme in Deutschland bei etwa 112 Mikrogramm pro Tag.

„Die Warnung einiger Kollegen ist völliger Quatsch“

Die generelle Empfehlung einiger Ärzte, sich als Betroffener möglichst jodarm zu ernähren, ist aus Feldkamps Sicht unbegründet. Jodiertes Speisesalz oder gelegentlich etwas Seefisch seien unproblematisch. „Auch die Warnung einiger Kollegen, Hashimoto-Patienten sollen nicht mehr an die See fahren, ist völliger Quatsch“, sagt Feldkamp.

Überhaupt, so jedenfalls beklagt es die Schilddrüsen-Liga, Dachverband der Selbsthilfe-Gruppen für Schilddrüsenkranke und Angehörige, sei der Wissensstand bei Patienten und vielen Ärzten schlecht. „Die Schilddrüse ist in Deutschland immer noch ein Stiefkind“, sagt die Vorsitzende Barbara Schulte, selbst Hashimoto-Patientin. Nach 20 Jahren im Amt weiß sie: „Ehe man auf eine Schilddrüsenerkrankung kommt, werden oft viele andere teure Untersuchungen gemacht, schlicht weil man nicht an die Schilddrüse denkt.“

Untersuchung ist einfach und nicht teuer

Das macht Schulte sehr wütend, denn eine Untersuchung der Schilddrüse sei einfach und nicht teuer. Dabei prüfen Endokrinologen oder Nuklearmediziner mithilfe von Blutuntersuchungen die Hormonwerte. Dann untersucht der Arzt per Ultraschall, ob die Schilddrüse verändert, insbesondere verkleinert ist.

Um die Diagnose Hashimoto-Thyreoiditis eindeutig stellen zu können, wird im Blut nach Antikörpern gegen das Schilddrüsenenzym Thyreoperoxidase oder das Schilddrüseneiweiß Thyreoglobulin gesucht, die die Schilddrüse zerstören.

Fürchten brauche sich vor der Dia­gnose niemand, so die Experten. „Hashimoto ist an sich ja nichts Schlimmes, nichts Lebensbedrohliches und kann gut behandelt werden“, sagt Schulte. „Nur wenn die Krankheit zu spät entdeckt wird, fangen die Probleme an.“

Unterfunktion der Schilddrüse – manchmal auch Überfunktion

In seltenen Fällen kommt es zunächst kurz zu einer Überfunktion der Schilddrüse, immer aber zur Unterfunktion. Oft wird die Krankheit erst in dieser Phase entdeckt und therapiert: „Die Patienten bekommen das Schilddrüsenhormon T4“, erläutert Feldkamp. „Sie nehmen einmal täglich morgens eine L-Thyroxin-Tablette und das meist ein Leben lang.“

Ein kleiner Teil der Patienten, Experten schätzen, zwischen 13 und 16 Prozent, profitiert, wenn sie zusätzlich das Hormon T3 bekommen. Das bestätigt auch Feldkamp.

Viele Betroffene suchen selbst nach Lösungen

Rieger sieht den klassischen Therapieansatz kritisch. Er glaubt nicht, dass man mit L-Thyroxin, einer Hormonvorstufe, eine ausreichende Behandlung der Schilddrüsenunterfunktion erreichen kann. „Das ist nicht im Ansatz effektiv, deshalb fangen die meisten Betroffenen an, selbst nach Lösungen zu suchen“, so Rieger.

Mit der Verfügbarkeit des Internets sei eine Situation entstanden, wo Betroffene schnell mehr Wissen über die Krankheit erwerben würden als die meisten Behandler. „Sehr häufig erreichen Betroffene über die Einnahme von Vitalstoffen, verschiedenen Hormonpräparaten, eine veränderte Ernährung und vieles andere eine Rückbildung der Entzündung und Stärkung der Schilddrüsenfunktion.“

Ruhezeiten einhalten, gute Schlafhygiene, ausgewogene Ernährung

Auch Feldkamp hält Hashimoto nur in schweren Verlaufsformen für irreversibel. „Bei schwächeren Formen gibt es eine geringe Heilungschance“, sagt er. Um diese Chance zu erhalten, versucht er, genau wie Rieger, Hashimoto-Patienten auf eine gesunde Lebensweise hinzuweisen.

Feldkamp rät: „Ruhezeiten einhalten, gute Schlafhygiene, ausgewogene Ernährung, wenn irgendmöglich Stress im Beruf vermeiden oder zumindest gute Verarbeitungsstrategien für Stress entwickeln. Und Sport natürlich.“ In Ergänzung mit den Hormontabletten seien die eingangs erwähnten Beschwerden so oft schnell überwunden.