Berlin. Eine Studie deutet an, dass Kinder aus der Petrischale eher zu Gefäßerkrankungen neigen. Deutsche Mediziner warnen nun vor Hysterie.

Es ist wie so oft im Leben – ungerecht. Die einen wollen keine Kinder, bekommen trotz Verhütung aber dennoch ein Baby. Andere versuchen teils über Jahre vergeblich, schwanger zu werden, klappen will es aber nicht. Die Gründe dafür sind divers.

Doch selbst wenn alle möglichen Stellschrauben getestet und gedreht wurden, muss dies nicht bedeuten: aus der Traum vom Kind. Dank künstlicher Befruchtung ist es Paaren heute zumindest theoretisch möglich, eigene Kinder zu bekommen – trotz eines Eileiterverschlusses oder Fruchtbarkeitsproblemen beim Mann.

Seit vor rund 40 Jahren Louise Brown das Licht der Welt erblickt hat, der erste durch künstliche Befruchtung gezeugte Mensch, sind insgesamt mehr als acht Millionen Babys nach einer Fruchtbarkeitsbehandlung zur Welt gekommen. Das ergab eine Auswertung der Datensammlung ICMART. Laut Register für In-vitro-Fertilisation sind es über eine Viertelmillion allein in Deutschland.

So toll dies für die jeweiligen Eltern ist, dieser manipulative Eingriff in die Natur scheint durchaus Risiken zu bergen. So deuten neueste Ergebnisse einer Schweizer Studie darauf hin, dass durch IVF (In-vitro-Fertilisation) oder die Weiterentwicklung ICSI (Intracytoplasmatische Spermieninjektion) gezeugte Kinder ein erhöhtes Risiko für eine vorzeitige Gefäßalterung haben könnten. Seit 2008 begleiten die Forscher 65 gesunde, künstlich befruchtete Kinder. Diese wiesen bereits als Jugendliche Funktionsstörungen der Arterien auf, einige Kinder im Alter von 16 Jahren waren an einer arteriellen Hypertonie erkrankt – also Bluthochdruck.

Einige Jugendliche entwickelten Bluthochdruck

Louise Brown war 1978 das erste IVF-Baby, das zur Welt kam.
Louise Brown war 1978 das erste IVF-Baby, das zur Welt kam. © Getty Images News/Getty Images | Getty Images

„Ich begrüße es, dass wir diese Studie haben“, sagt Barbara Sonntag vom Hamburger Facharzt-Zentrum für Kinderwunsch. Sie ist Mitglied der Deutschen Gesellschaft für Reproduktionsmedizin und selbst an einer großen ICSI-Studie beteiligt, deren erste Ergebnisse im kommenden Jahr erwartet werden. Genauso wichtig wie die Schweizer Erkenntnisse ernst zu nehmen und weitere Forschung auf diese aufzubauen, sei es aber auch, „jetzt keine Panik zu verbreiten“, so Sonntag. Zwar sei die Studie methodisch tadellos und auch die Ergebnisse um Störfaktoren bereinigt worden, doch wegen der sehr kleinen Fallzahl hält die Medizinerin allgemeine Schlussfolgerungen für schwierig.

Wie auch einer der Schweizer Forscher, Kardiologe Urs Scherrer, betont Sonntag jedoch, dass die neue Studie noch einmal verdeutliche, wie wichtig es ist, dass Familien mit dem Thema künstliche Befruchtung offen umgehen und die Eltern den betroffenen Kindern nicht verheimlichen, wie sie gezeugt wurden. „Bluthochdruck sollte dabei als möglicher Risikofaktor natürlich im Hinterkopf behalten werden“, so die Reproduktionsmedizinerin.

Liegt es am Nährboden des Embryos?

Ein offener Umgang mit IVF und ICSI ist auch für Renate Oberhoffer, Kinder- und Jugendärztin mit dem Schwerpunkt Kinderkardiologie, eine wichtige Botschaft für Betroffene. Gleichzeitig seien die Ergebnisse aus der Schweiz ein Signal, das Thema künstliche Befruchtung hinsichtlich der Langzeitwirkungen für das Kind kritisch zu hinterfragen. „Für mich sind sie als Warnschuss in Richtung Reproduktionsmedizin zu verstehen.“

Oberhoffer weist zudem auf Studien hin, die ein erhöhtes Fehlbildungsrisiko bei IVF-Kindern zeigen, unter anderem am Herzen. „Woran das jedoch genau liegt, das ist schwer zu sagen“, so die Expertin für kardiovaskuläre Prävention für Kinder.

Die Schweizer Forscher beispielsweise vermuten, dass das Risiko für Herz-Kreislauf-Erkrankungen durch epigenetische Faktoren entsteht – also eine An- oder Abschaltung von einzelnen Genen während des Heranwachsens des Embryos. Diese könnte beispielsweise durch die Nährmedien ausgelöst werden, in denen die künstlich befruchteten Zellen reifen. „Diese sind dem Fruchtwasser zwar gut nachempfunden“, erklärt Oberhoffer, „aber eben nicht identisch.“

Wirkt künstliche Befruchtung auf die Psyche des Kindes?

Zudem wisse man aus der Forschung, dass die Umgebung des Fötus in der Schwangerschaft eine bedeutsame Wirkung auf die Entwicklung der Kinder habe, die sich noch bis ins Erwachsenenalter hinein zeige. Auch Kinder von Müttern mit Schwangerschaftsdiabetes beispielsweise hätten höhere gesundheitliche Risiken – vor allem im Bereich des Stoffwechsels und des Herz-Kreislauf-Systems, so die Kinderkardiologin. „Gleiches gilt für Frühgeborene, da ihr Körper nicht im Mutterleib zu Ende reifen konnte und sie zu früh den Bedingungen außerhalb des Mutterleibs ausgesetzt sind.“

25. Juli 1978: Louise Brown kommt auf die Welt. Für die Medizin war die Geburt ein Durchbruch.
25. Juli 1978: Louise Brown kommt auf die Welt. Für die Medizin war die Geburt ein Durchbruch. © imago/ZUMA/Keystone | imago stock

Außerdem müsse man im Hinterkopf haben, dass man im Falle einer künstlichen Befruchtung immer Kinder betrachte von Eltern, die sich einer Kinderwunschbehandlung unterzogen haben, so Sonntag. Diese seien häufig bereits älter und brächten eine gesundheitliche Vorgeschichte mit, die ihnen eine natürliche Kindszeugung verwehre oder zumindest erschwere. Auch dies könne sich – unabhängig von IVF oder ICSI – auf die Gesundheit der Kinder auswirken.

Neben Studien zu Herz-Kreislauf-Erkrankungen wurden unter anderem auch die Auswirkungen auf die Psyche künstlich gezeugter Kinder untersucht. Eine große dänische Studie aus dem Jahr 2014 beispielsweise zeigte ein signifikant höheres Risiko für psychische Krankheiten bei IVF-Kindern. Ob die IVF oder aber andere Faktoren die Ursache hierfür war, blieb aber offen, erklärt Anette Kersting, Direktorin der Klinik für Psychosomatische Medizin und Psychotherapie am Universitätsklinikum Leipzig. „Die Autoren vermuteten neben anderen möglichen Gründen die seelische Belastung der Mutter durch die Fertilitätsbehandlung als Auslöser.“ Andere Studien seien später gar zu gegenteiligen Ergebnissen gekommen. „Die Studienlage ist mit Blick auf IVF und ICSI sehr heterogen, aktuell deute aber nichts auf erhöhte Risiken mit Blick auf die psychische Entwicklung der Kinder hin“, sagt Kersting.

Seelische Belastung der Mutter durch die Behandlung

In anderen Bereichen sind die Auswirkungen auf die spätere Gesundheit der Kinder, die in der Petrischale gezeugt wurden, kaum oder noch gar nicht untersucht. „Es ist gut, dass jetzt, wo die Kinder älter werden, immer mehr Parameter erhoben werden und immer mehr Daten zur Verfügung stehen“, sagt Reproduktionsmedizinerin Sonntag.

Auf eine künstliche Befruchtung beispielsweise wegen des möglichen Bluthochdruckrisikos zu verzichten, auch wenn dies der womöglich letzte Weg sei, sich den Wunsch nach eigenen Kindern zu erfüllen, hält Sonntag für übertrieben. Schließlich setzten sich Menschen auch vielen anderen Gefahren wissentlich aus – beispielsweise dem Rauchen, Zuckerkonsum oder Bewegungsmangel. Außerdem zeigen die vorhandenen Studien laut Sonntag auch: „Der Großteil der IVF- und ICSI-Kinder entwickelt sich normal und ist gesund.“