Funchal. Bewässerungskanäle versorgen seit dem 14. Jahrhundert die portugiesische Insel Madeira. Es wartet ein Wanderweg voller Überraschungen.
Gegen eine Rotte deutscher Rentner in Wanderformation haben französische Pfadfinder keine Chance. „Eben habe ich mein Alter voll ausgespielt“, sagt Anke und lässt im tiefen Tal des Ribeiro Grande ein von Altersschwäche gänzlich freies Lachen erschallen. Der Respekt vor ihr hat eine Schar französischer Teenies genötigt, auf dem schmalen Felsstieg Platz für den Gegenverkehr zu machen und ihren Weg tiefer hangwärts auf schwierigerem Geläuf zu suchen.
Madeira ist ein Paradies für Wanderer, weil es dort Levadas gibt, schmale Bewässerungskanäle, die in die oftmals schroffen Bergflanken gehauen und gemauert sind. Weil sie horizontal verlaufen, ebnen die zwei bis drei Fuß breiten Unterhaltungswege nebenan ideale Strecken für Wandervögel.
Mit im Durchschnitt gut 20 Grad Lufttemperatur ist die portugiesische Insel im Herbst ein beliebtes Ziel. So richtig kalt wird es hier auch im Winter nicht. Umso schöner ist es dann, die Wanderstiefel zu schnüren und sich auf den Weg zu machen – zum Beispiel auf die Levada das 25 Fontes.
Schwere Waldbrände in Südeuropa
Sie bahnt uns am Hang des Rabaçal-Bergs einen Weg durch undurchdringliche Lorbeerwälder, die hier seit Urzeiten wachsen. Die Sonne stochert durch ein dichtes Dach von wilder Baumheide. Ein Camouflagemuster aus Licht und Schatten tarnt den Pfad, der Aufmerksamkeit fordert.
Der schmale, holperige Stieg ist aus groben Gesteinsbrocken gefügt. Mitunter sichern Stahlseile die Wanderer gegen die Schlucht zur Linken. Rechts halten wir uns an die hüfthohe Mauer des Kanals. Wir legen Stopps ein für die Sehenswürdigkeiten der Natur. Aus 100 Metern Höhe rauschen Wasserfälle in die Tiefe. In der Hocke bestaunen wir Sukkulenten und Moose.
Für Kanäle wurden Tunnel durch das Gestein getrieben
Eine Tour mit weit gewanderten deutschen Gefährten absolviert man meistens mit Wissensgewinn. Den Grundkurs gibt es anderntags auf der Levada do Norte. Die Herren erörtern im Gehen das System von Einlässen, Auslässen, Pumpen und Tunneln und vor allem das Wunder der mit so präzisem Gefälle in die Berge gefrästen Kanäle, wie mit der Wasserwaage bemessen, sodass das Wasser in mäßigem Tempo dahin fließt, wo es benötigt wird.
Erste Leitungen wurden im 14. Jahrhundert in die Berge gehackt mittels maurischer Vermessungstechniken und der Arbeit afrikanischer Sklaven, von denen Hunderte durch Entbehrung und bei Abstürzen ihr Leben gelassen haben. Dank Winden und Meeresströmungen war Madeira zur Zeit der Segelschiffe für Amerika- und Afrikafahrer eine wichtige und von Kolonialmächten begehrte Bastion im Atlantik.
Ein 800-Meter-Marsch durch den Berg
Vulkanische Aktivität hat die Insel als zerklüftetes Gebirge aus dem Meer brodeln lassen. Ihre schroffe Nordseite liegt oft im Regen und ist wasserreich, während die sanfte, sonnige Südflanke den Anbau von Zuckerrohr, Bananen und Wein begünstigt; sofern man die Plantagen bewässern kann – und das besorgen die Levadas.
Um das Nass von Norden nach Süden zu bringen, hat man Tunnel durch das Zentralmassiv getrieben. Mit dem Segen der Heiligen Barbara am Röhreneingang schalten wir die Taschenlampen ein und machen uns auf den 800-Meter-Marsch durch den Berg. Auf der Nordseite haben uns noch Windböen frösteln lassen, im Licht am Ende des Tunnels gönnen wir uns zehn Minuten später eine Rast.
Im ländlichen Süden herrscht häufig die Ästhetik von Schrebergärten
Auf der Sonnenseite der Insel werden wir kein ungenutztes Fleckchen Erde passieren. Die Hänge über den in die Täler gebauten Dörfern sind von unten bis oben zu Poios gestuft – aufgemauerte Terrassen, auf denen Bauern bescheidene Häuser errichtet und Anbauflächen jeder Art angelegt haben: kleine Äcker und Plantagen, Weideflächen und Gärten.
Schweizer Hängebrücke ist 494 Meter lang
Architektonisch ist das von Eigenleistung geprägt, weitenteils herrscht im ländlichen Süden der Insel die Ästhetik von Schrebergärten. Madeira ist kein Juwel des Atlantik, sondern wirkt vielmehr wie ein struppiges Eiland – und genau das macht den ursprünglichen Charme der Insel aus.
Auf der Levada Nova zeigt dieser sich gänzlich unverfälscht. Der Kanal ist in eine Wand aus Basalt und Schiefer gestemmt. In die Spalten des dunklen Gesteins haben sich verschiedene Pflanzen gezwängt. Aus hangwärts liegenden Gärten zieht der Hauch von Eukalyptus herauf.
Bananenstauden, Ingwerknollen und Purpursauerklee
Dank des ganzjährig milden Klimas sieht man auch jetzt Bananenstauden mit Früchten, so klein, dass sie der EU-Norm spotten – aber dafür umso besser schmecken. Ein Batzen praller Ingwerknollen quillt aus einem Hochbeet. Die Damen führen botanische Fachgespräche, reden von Calla, wilden Gladiolen, Natternkopf, Purpursauerklee, Schmucklilien. Und bleiben ständig stehen, um die Pflanzenpracht zu bewundern.
Die Wanderung geht so nur stockend voran, ich setze mich ab. Aus dem Tal lärmt ein Froschkonzert herauf, dem ich mit dem Wanderstock einen Takt schlagen kann. Mein Begleiter ist bald nur noch der ruhige Wasserfluss in der Levada, auf dem treibendes Blattwerk mich zum Wettlauf fordert.
Bekanntester Sohn der Insel: Fußballer Cristiano Ronaldo
Einsamer Wanderer bleibe ich indes nicht lange. Ein Jogger kommt mir entgegen. Wer weicht aus? Er natürlich – und setzt seinen Lauf tatsächlich auf dem kaum mehr als handbreiten Kanalmäuerchen fort. Dann kommt eine Bäuerin heran und hat einen schweren Sack geschultert. Ich balanciere vorsichtig auf der Mauer. Von unten tönt plötzlich ein unmissverständliches „I love you“ herauf – eine alte Frau sitzt vor ihrem Häuschen in der Sonne und ist wohl etwas eigen im Kopf.
Diese authentische Situation verbuche ich als Bonus für den Wanderer in den Bergen, den der gewöhnliche Inselbesucher unten an der Küste so nicht erhält. Denn das Treiben in der Inselhauptstadt Funchal prägt eher der Touch-and-go-Tourismus. Jeden Tag machen bis zu zwei Kreuzfahrtschiffe im Hafen fest.
Noch auf dem Kai werden die Gäste von einem wenig urlaubsgemäßen Slogan begrüßt: „Ehrgeiz, Anstrengung, Disziplin“. Der größte Sohn der Insel, Cristiano Ronaldo, hat die drei Worte an die Front des Museums CR7 schreiben lassen, das nahe dem Fährterminal steht und dem Leben und den glänzenden Trophäen des Fußballstars mit der Rückennummer 7 gewidmet ist.
Die Inselspezialität: Filet vom Degenfisch an gebackener Banane
Der Gang durch die Altstadtgassen ist ein Spießrutenlauf: kein Haus ohne Lokal und kein Lokal ohne Koberer davor, der die Touristen an seine Tische locken will. Wer auf dem Schiff womöglich hat darben müssen, braucht hier nicht zu hungern. Serviert wird überall die Inselspezialität: Filet vom Degenfisch an gebackener Banane. Und das Gläschen Madeira-Wein hinterher.
Karl Dall pilgert auf dem Jakobsweg
Wer gut zu Fuß ist, trifft aber auch in der Stadt auf entlegene Reize. Die schummrige Fado-Kneipe der Familie Sousa zum Beispiel in einem Nebengässchen, wo die Serviererinnen abends zwischen den Gängen von unerfüllter Liebe und anderen traurigen Dingen singen.
Oder die Kaianlagen unterhalb der Festung Sao Tiago. Die Sonne heizt dort mittags den Beton, madeirische Schönheiten und austrainierte Burschen frönen dem Körperkult. Der Wanderer lässt sich nicht lumpen und entledigt sich des Staubs der Berge mit einem Sprung in den Atlantik.
Tipps & Informationen
Anreise Ab Berlin z. B. mit Tuifly nonstop, mit Tap Air Portugal über Lissabon oder mit Easyjet über Gatwick nach Funchal.
Übernachtung in Funchal z. B. im Hotel Quinta Bela Sao Tiago: Nacht/Frühstück im DZ ab 105 Euro.
Restaurant Örtliche Spezialitäten wie den Degenfisch Espada oder den Fleischspieß Espetadagibt es im Sabor a Fado, Travessa das Torres 10, Funchal. Zwischen den Gängen singen die Serviererinnen fabelhafte Fados. Eine Reservierung ist erforderlich.
(Die Reise erfolgte mit Unterstützung von Die Landpartie Radeln und Reisen, www.dielandpartie.de)