Berlin. Um das, was vermeintlich gesund und ungesund ist, ranken sich zahlreiche Mythen. Stiftung Warentest klärt in einem neuen Buch auf.
Gin lässt Kilos purzeln. Im Mäuseversuch steigerte der Wacholderschnaps den Stoffwechsel um 17 Prozent. Das lasse auch auf einen Schlankmachereffekt beim Menschen schließen, berichteten Forscher der lettischen Universität Sigulda 2017 im Fachblatt „Food & Nature“.
So zumindest ist es im Internet zu lesen, auf zahllosen Seiten weltweit. Dabei hat es diese Studie nie gegeben, ebenso wie die Universität Sigulda und das Journal „Food & Nature“.
Bloß ein Aprilscherz
Ein britisches Modemagazin hatte sich einen Aprilscherz erlaubt. „Solche Fake-Studien oder zugespitzte Aussagen zu eigentlich unspektakulären Forschungsergebnissen schaffen es immer wieder in die Medien“, sagt Marleen Finoulst.
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Die belgische Allgemeinmedizinerin ist Teil einer staatlich finanzierten Forscher-Taskforce, die Schlagzeilen wie „Gin macht schlank“ auf den Grund geht – und notfalls zum Telefon greift, um Journalisten und Wissenschaftler an ihre Verantwortung zu erinnern.
Finoulst und ihre Kollegen vom Centrum voor Evidence-Based Medicine (Cebam) analysieren die Studien hinter den Schlagzeilen und versuchen, deren Aussage auch für Laien verständlich zu machen. Eine Auswahl der spannendsten Beispiele hat die Stiftung Warentest jetzt als Buch veröffentlicht.
1. Hühnerbrühe hilft bei Erkältung
Im Reagenzglas beobachteten US-Forscher, wie Hühnerbrühe die Anzahl der an Entzündungsprozessen beteiligten weißen Blutkörperchen reduzierte. Sie könne also theoretisch Entzündungen einschränken und so womöglich auch Erkältungssymptome, schlussfolgerten sie. Ein Beweis ist das nicht, urteilen die Experten des Cebam.
Die Vermutung liege zwar nahe: Hühnerbrühe liefere Flüssigkeit, dampfe Feuchtigkeit in die trockene Nase und wärme – alles gut bei Erkältung. Bisher habe aber niemand untersucht, wie die Brühe mit Viren und dem Immunsystem im Körper interagiere.
2. Handys schaden der Spermaqualität
Häufiges Mobiltelefonieren beeinträchtig die Fruchtbarkeit – mit dieser Aussage schockten Wissenschaftler der Universität Haifa (Israel) 2015 die Männerwelt.
Die Forscher hatten 80 Männer zu ihrem Handyverhalten befragt, die ihr Sperma zuvor ärztlich hatten untersuchen lassen, weil ihre Partnerinnen nicht schwanger wurden. Etwas weniger als die Hälfte von ihnen hatte eine zu niedrige Samenkonzentration, 61 Prozent dieser Probanden telefonierten laut eigenen Angaben mindestens 60 Minuten am Tag mobil. Bei den Kandidaten mit normaler Samenkonzentration waren 39 Prozent Vieltelefonierer.
Für die Annahme, dass da ein Zusammenhang bestehe, sei die untersuchte Gruppe deutlich zu klein, urteilen die Experten des Cebam. Zudem seien nur Männer untersucht worden, die ohnehin Probleme mit der Fruchtbarkeit hatten. Dass die Männer mit zu niedriger Samenkonzentration auch besonders viel telefonierten, könne Zufall sein.
Übrigens wurde für die Studie auch abgefragt, wo die Männer ihre Handys aufbewahren, also etwa in der Hosen- oder Brusttasche. Für den Aufbewahrungsort zeigte sich laut Cebam kein Zusammenhang mit der Spermaqualität.
3. Schon ein Glas Alkohol am Tag schadet
Alkohol ist keine Medizin – darüber sind sich die meisten Ärzte einig. Im Übermaß schadet er den Organen und begünstigt Krebs. Immer häufiger sei aber zu lesen, schon ein Glas Wein oder Bier am Tag komme einem Todesurteil gleich, berichtet das Cebam.
Belege dafür könne es nicht geben, denn experimentelle Studien, in denen eine Gruppe Menschen über Jahre jeden Tag ein Glas Alkohol trinke und eine andere abstinent bleibe, seien nicht durchführbar.
Konkret kritisieren die Experten die Auslegung einer Studie des belgischen Verbands für Alkohol- und andere Drogenprobleme. Die Autoren hatten 156 Studien mit über 100.000 Probanden analysiert und festgestellt, dass auch geringer Alkoholkonsum mit Krebs in Verbindung steht.
Ein per se schädlicher Effekt von einem Glas Alkohol pro Tag lasse sich daraus nicht ableiten, so das Cebam. Die Autoren rieten, zehn Standardgläser Alkohol pro Woche nicht zu überschreiten. Als Standardglas gelten 0,25 Liter Bier oder 0,1 Liter Wein.
Zu einem ähnlichen Ergebnis kam auch eine internationale Studie mit deutscher Beteiligung im April. Ab 100 Gramm Alkohol pro Woche, was etwa zehn Standardgläsern entspricht, steige bei Männern wie Frauen das Sterberisiko. Auch das Risiko für Herz-Kreislauf-Erkrankungen erhöhe sich mit steigendem Konsum. Verzicht forderte keiner der Autoren, stattdessen gilt: je weniger Alkohol, desto besser.
Prominente Kämpfer gegen den Krebs
4. Saunieren beugt Alzheimer vor
Natürlich waren es finnische Forscher, die 2016 Hoffnungen schürten, häufige Saunabesuche könnten das Risiko für Alzheimer verringern. 20 Jahre lang beobachteten sie über 2000 männliche Finnen, untersuchten Blut und Urin und berücksichtigten eventuelle Störfaktoren.
Ergebnis: Probanden, die vier- bis siebenmal pro Woche in der Sauna saßen, hatten ein bis zu 66 Prozent geringeres Alzheimer-Risiko als solche, die nur einmal wöchentlich saunierten.
Möglich sei dieses Ergebnis durchaus, erklären die Forscher des Cebam. Denn Saunabesuche wirkten unter anderem positiv auf Blutdruck und Herzfunktion und minimierten damit potenzielle Risikofaktoren, das hätten schon andere Studien gezeigt. Doch verallgemeinern ließe sich die Aussage nicht.
Sie gelte ausschließlich für finnische Männer, da weder Frauen noch andere Nationalitäten untersucht wurden. Ob außerhalb Finnlands nennenswert viele Menschen bis zu sieben Mal wöchentlich die Sauna besuchen, ist fraglich – und nur in diesen Fällen hatten sich die positiven Effekte gezeigt.
Zudem sei nur zu Anfang der Studie erhoben worden, wie oft die Männer in die Sauna gingen. Ob sie ihr Saunierverhalten im Laufe der 20 Jahre änderten, sei relevant, aber von den Forschern nicht berücksichtigt worden.
Weitere Studien müssten zeigen, ob sich der Effekt mit anderen Probanden wiederholen lasse, so die Cebam-Experten. Der noch fehlende Beweis „sollte aber niemanden davon abhalten, einen wohltuenden Saunabesuch zu genießen“.
5. Kohlensäure in Getränken macht dick
Dass Limonade dick macht, ist bekannt. Die Ursache ist Zucker. Aber auch Light-Getränke stehen im Verdacht, den Appetit anzuregen. Einige Forscher vermuten, die enthaltenen Süßstoffe könnten Schuld sein. Wissenschaftler der palästinensischen Universität Bir Zait belasteten mit ihrer Studie eine andere Zutat: Kohlensäure.
Sie ließen verschiedene Ratten-Gruppen entweder Wasser und zuckerhaltige Limo ohne Kohlensäure oder zuckerhaltige und Light-Limo mit Kohlensäure trinken. Am Ende des Experiments deutlich dicker waren die Ratten, die Kohlensäure getrunken hatten. Sie hatten eine höhere Konzentration des appetitanregenden Hormons Ghrelin im Blut.
Ob sich dieser Effekt auch bei Menschen zeigt, prüften die Forscher an 20 männlichen Studenten. Auch hier war die Ghrelin-Konzentration im Blut derjenigen Probanden am höchsten, die Kohlensäurehaltiges getrunken hatten.
Macht Kohlensäure also tatsächlich dick? Das könne die Studie nicht beantworten, erklären die Cebam-Experten. Unter anderem, weil sie nicht zeige, dass die menschlichen Probanden dicker wurden, sondern lediglich, dass ihr Ghrelin-Spiegel anstieg. Zahlreiche Studien deuten darauf hin, dass das Hormon den Appetit anregt und an der Entstehung von Adipositas beteiligt sein könnte.
Von einem Beweis, dass es Menschen automatisch mehr essen lässt, wollen Forscher aber bisher nicht sprechen. Die Ergebnisse der Palästinenser seien dennoch spannend, die Untersuchung gut konzipiert, urteilt das Cebam. Sie könnten erklären, warum Menschen, die Light-Limos trinken, tendenziell mehr essen als solche, die etwa stilles Wasser trinken.