Denpasar. Die indonesische Insel wird bei Urlaubern immer beliebter. Doch fortschreitender Kommerz und aktive Vulkane sorgen für Probleme.

Helm auf, Handschuhe an, Lenker greifen, ein letzter banger Blick nach Osten. Die Asche zieht Schlieren am Himmel. Der Vulkan Agung in etwa 18 Kilometer Entfernung zürnt, brodelt, droht auszubrechen. Tourführer Wayan lächelt nur, setzt die Sonnenbrille auf, dreht sein Rad in Position. „Herrlicher Tag“, sagt er. Und ab geht es.

Im halben Dutzend kippen die Mountainbikes über einen Staubweg auf den Hang des Mount Batur, hinein ins Grün, satt aufgeladen von einem der fruchtbarsten Böden der Erde. Ein Stück weiter oben hängt ein junger Mann Wäsche auf eine Leine, den brodelnden Giganten vor Augen. Alles sei gleichzeitig Geburt, Leben und Tod, sagen sie hier. Das gilt auch für einen Vulkan.

Willkommen auf Bali. Insel der Magie, des Grüns, der Seele, auch des fortschreitenden Kommerzes. Als boomende „Premium­destination mit Spirit“ in den Prospekten der Reiseveranstalter, als geistige Zuflucht für ­Julia Roberts in „Eat Pray Love“ im Kino, als vom Vulkanausbruch gefährdetes Eiland in den Nachrichten.

Bali oszilliert zwischen Spiritualität und Kommerz

In Wirklichkeit: alle diese Dinge gleichzeitig. Ein widersprüchliches Paradies, das einen Weg zwischen Spiritualität und irdischer Goldgräberstimmung sucht. Vom Hang des Batur aus ragen die Dörfer und größeren Ortschaften wie rotschim­mernde Perlen aus den wilden Sträuchern, in ihrem Rücken leuchten die Reisfelder. Eine Familie öffnet den Fremden von der Radtour gern ihre Pforten, der vordere Teil ihres Hauses besteht aus Altaren.

„Unsere Spiritualität und der Hindu­ismus bestimmen die Art, wie wir leben, sehr stark“, sagt Tourführer Wayan. Traditionen und Rollen haben starken Wert. Wenn es um das Ansehen in der Gemeinschaft geht, sind Söhne auf Bali noch immer viel bedeutender als Töchter. Aber der Hindu Dharma, der mit altbalinesischen Bräuchen gespickte Glaube, nimmt die Klassenregeln nicht zu streng und gibt die Gelassenheit, in allen Facetten des Lebens nur das Geschenk zu sehen. „Meine Frau und ich haben vier Kinder“, sagt Wayan. „Vier Mädchen. Jetzt haben wir es aufgegeben. Und wir lieben sie trotzdem“, sagt er und lacht.

Trotz Gefahren durch den Vulkan fühlen Einheimische sich sicher

Auch die Familie im Dorf atmet die typische Gelassenheit, wenn man sie auf die Gefahr durch den großen Vulkan anspricht. „Wir sind sicher. Es ist nicht mehr wie früher“, sagt der Vater der Familie. Die Regierung hat ein Frühwarnsystem eingerichtet, internationale Experten werten jedes Lüftchen aus, das dem Vulkan Agung entweicht.

Für den Fall des Falles gibt es Evaku­ierungspläne, auch bei einem starken Ausbruch wird den Prognosen zufolge nur ein kleiner Teil der Insel direkt betroffen sein. Selbst oben am Hang des Batur ist die größte Sorge vor allem, dass die Touristen weg­bleiben könnten. „Alle profitieren von ihnen“, sagt Wayan. Die Familie erhält Geld vom ­Reiseveranstalter, die Teak-Verzierungen an ihrem Schlafhaus sind aufwendig und frisch überholt. In Fachwerkhäusern in der Nachbarschaft arbeiten Steinmetze aus zwei Generationen gemeinsam an Tempelsteinen. Frauen weben verspielte Muster in Schalen und Körbe, die hier für wenige Euro zu kaufen sind, aber schon im Süden der Insel zu eher europäischen Preisen verkauft werden.

Am Fuß des Batur liegt die Grenze zwischen beiden Welten, die Stadt Ubud, die ­ihre Tage als Geheimtipp der Selbstbesinnung leidlich hinter sich hat. Jetzt knattern auch hier die Mopeds wie am „balinesischen Ballermann“ von Kuta, strömt ein großer Teil der mehr als vier Millionen Besucher auf Bali auch hierher. In 20-Prozent-Schritten eilt die Insel beim Tourismus von Rekord zu Rekord.

Opfergabe am Pura Tirta Empul Tempel.
Opfergabe am Pura Tirta Empul Tempel. © Getty Images | Doug Meikle Dreaming Track Images

Den Rang als bevorzugter Sinnsuchort hat Ubud nahezu an den Ort Changgu verloren, wo Australier der perfekten Welle auf dem Surfbrett nachrauschen und die Zeit in hippie-esken Yoga-Retreats routiniert zum Stillstand kommt. Im Restaurant Bali Buda in Ubud halten sie den alten Geist ihrer Stadt wach und peppen ihn auf. In einer großen Holzschüssel kommen eingelegter Tofu, geröstete Kokosnuss, Sprossen, Bohnen und natürlich Reis auf den Tisch, fair gehandelt, unverschämt köstlich. „Ich glaube, es ging mir so, wie es allen Zugereisten hier geht“, sagt Lauren, eine Aus­tralierin, die nach dem Tod ihres Mannes einen gut bezahlten Bürojob in der Heimat aufgab, nach Bali zog und nun als Co-Leiterin Bali Buda vorantreibt.

Auch die Offiziellen sorgen sich mittlerweile um den Erhalt der Kultur

Es ist ein seltsamer Geist, der einen auf ­Bali bald hinter dem Flughafen von Denpasar in der feuchtschwangeren Luft durchfährt – man kann ihn weder richtig greifen noch deuten. Aber er macht lebendig, neugierig, entschlossen. So wie fast alles an Gemüse und Obst in den verschiedenen Höhenlagen auf Bali wachsen kann, wachsen auch Menschen zu neuer Pracht heran. Lauren geht morgens nach dem Frühstück surfen, selbstredend gibt es für alle Arten des Sportes an einem Flecken von Bali auch perfekte Bedingungen.

Dann geht es zur Arbeit, die längst mehr als ein gastronomisches Projekt ist. Bali Buda fördert ein Dutzend Projekte für die Umwelt, gegen die ­Wasserverschwendung und gegen den Müll, der in der Regenzeit wie eine schändliche Rechnung der Moderne an die samtgelben Ufer der Insel gespült wird. „Es ist sehr einfach geworden, hier Geld zu verdienen. Aber sich als Gemeinschaft den Problemen zu stellen, braucht auch Zeit. Langsam findet ein Umdenken statt.“

Mehr Touristen als Einheimische auf der Insel

Spätestens seit den vergangenen fünf Jahren, seitdem erstmals knapp mehr Touristen als Einheimische auf der Insel unterwegs sind, sorgen sich auch die Offiziellen stärker um den Erhalt der eigenen Kultur. Mit einer ein­fachen Regel haben die Balinesen die fantasievollsten Investoren bislang noch auf Distanz gehalten: Kein Gebäude auf der Insel darf höher als eine Kokospalme gebaut werden, rund 15 Meter, jeder Zentimeter darüber hinaus würde laut den Weisen die Rachlust der hinduistischen Götter wecken.

Aber auch dieses Prinzip wird auf der Insel umkämpft: Ausgerechnet die Firma des US-Präsidenten Donald Trump bohrt mit aller Macht an dem Vorhaben, einen „Trump Tower“ auf Bali mit 18-Loch-Golfplatz zu errichten – in unmittelbarer Nähe des berühmten Wassertempels Tanah Lot. Ein Dorfvorsteher sagt, man begrüße den Plan, er bedeute Hunderte Jobs. Andere Offizielle weigern sich, dem plötzlichen und großen Geld eine Opfergabe darzureichen. Der Ausgang des Streits ist offen. Aber sie sind auf Bali auch stolz auf ihre Leistung, sich noch nicht selbst verloren zu haben, nur weil ihre Insel seit einigen Jahrzehnten eben auch ein Magnet für Fremde geworden ist.

Wie gemalt: Reisfelder im Osten der Insel.
Wie gemalt: Reisfelder im Osten der Insel. © Getty Images | John Harper

Wie Raumschiffe stehen einige Hotels inmitten der Reisfelder

Die Fahrräder der Tour gleiten an den Reisfeldern vorbei, auch für das Getreide gibt es eigene Tempel. In einem nicht genutzten Hinterhof findet ein illegaler Hahnenkampf statt. „Nicht hingehen“, sagt Wayan. Die Polizei ahndet diese Form des alten Insellebens inzwischen konsequent.

Die Reisbauern säen in drei Phasen, es ist bei allem Fortschritt noch immer Plackerei. Für Besucher bedeuten einige Stunden der Wanderung auf den dünnen Dämmen zwischen den Feldern von Tegalalang oder Jatiluwih körperliche und seelische Entgiftung. Das fast außerirdisch intensive Grün der Felder sei auch für Investoren attraktiv, sagt Wayan. „Einige Bauern verkaufen ihr Land.“ Entlang der Strecke vom Mount Batur in Richtung Süden stehen schon vereinzelt Hotelanlagen wie Raumschiffe in den Feldern – samt gigantisch und pedantisch geraden Palmenboulevards, mehreren Pools, Restaurants und Spa-Anlagen in Fußballfeldgröße.

Es ist schwieriger geworden, die individuellen von den industriellen Rückzugsorten auf Bali zu trennen. Entlang der belebteren Straßen von Ubud stößt man zum Beispiel auf das Kayumanis Hotel, ein gemalter Ort für Pärchen – mit fast absurd großen Villen hinter Holztoren, mit Outdoor-Wohnzimmern und eigenen Pools, mit feiner Cuisine, einer Hängebrücke übers Tal und kaum höheren Preisen als städtische Bettenburgen zu Hause. „Auf Bali versuchen wir, nie etwas gegen die Natur zu machen“, sagt Marina, noch eine junge Frau, die mit ihrer Familie hoch oben in Jatiluwih ein Zeugnis der neuen Nachhaltigkeit der Insel gebaut hat. In Luxuszelten blickt man dort über die von der Unesco gekrönte Majestät der Reisterrassen, über deren Kopf man nur durch aberwitzige Fahrmanöver in einem Jeep gelangt. „Wir haben schon Großstädter gesehen, die als andere Menschen wieder gegangen sind“, sagt Marina.

Den Vulkan sehen sie als Zeichen der Götter

Für jedes Zimmer, das neu im Hang errichtet wird, sind lange Verhandlungen mit den Behörden nötig. Die wilde Natur in den Dschungelgebieten steht ebenfalls unter besonderem Schutz der Götter. Die Fahrräder kommen am untersten ­Ende des Hanges zum Stehen, es ist Mittagszeit. Die Gäste werden mit dem Van zu einem Buffetrestaurant gebracht, nebenan sind die Büros der Tourveranstalter für Canyoning, Klettern, Radtouren, jede erdenkliche Kanüle für einen Schub Adrenalin. Reges Treiben bricht auch am Tempel ­Pura Tirta Empul in Tampaksiring aus.

Kleine Strohgeflechte aus Palmblättern werden als Opfergaben bereitgehalten, zwischen detailreichen Vulkansteinfiguren stehen große Becken, das Herz des Tempels. Fast jedes Lebensereignis wird im Kreis des Dorfes oder der Familie begangen – für einen Ort der Religion geht es ausgelassen zu, bei der Waschung wird viel gelacht.

Wenn der Vulkan wirklich ausbrechen sollte, sagt ein Priesterhelfer, „wird das kein schöner Tag sein“. Aber es wird nur ein Teil eines Kreislaufes sein, die Asche wird wieder von den Feldern weichen, Teil der Erde werden und die Ernte in einigen Jahrzehnten so üppig machen wie nie zuvor. Leben, Geburt und Tod in einem.

Ob Balinesen denn niemals Angst vor etwas hätten? Der Mann lacht, dann wird er ernst. „Der Vulkan ist ein Zeichen der Götter, dass Bali den Blick auf sein Inneres nie ver­lieren darf. Wenn das nicht geschieht, gibt es für niemanden hier etwas zu befürchten.“

Tipps & Informationen

Anreise Ab Hamburg zum Beispiel mit Emirates und Qantas über Dubai nach Denpasar oder mit Aeroflot über Moskau. Lufthansa und Singapore Airlines fliegen über Frankfurt und Singapur.

Unterkunft Zum Beispiel im Kayumanis Ubud Villa & Spa, Sayan Village, Ubud, Tel. 0062/361/972777, Villa ab 280 Euro. Oder im Sang Giri Mountain Glamping Camp, Jatiluwih Kangin, Penebel, Tabanan, Tel. 0062/36/14742039, ein Zelt für zwei Personen ab 128 Euro; 14-tägige Rundreise Java & Bali, inkl. Flug und VP, pro Person ab 2099 Euro, www.globista.de

Auskunft balitourismboard.org

(Die Reise erfolgte mit Unterstützung durch Thomas Cook und Singapore Airlines)