Berlin. Deutsche Autofahrer geraten nach Verkehrsverstößen im Ausland immer öfter an private Geldeintreiber. Der ADAC warnt vor „Abzocke“.

Deutsche Autofahrer werden nach Urlaubsreisen zunehmend von privaten Inkassofirmen bedrängt, die im Auftrag ausländischer Behörden oder Kommunen Bußgelder wegen Verkehrsvergehen eintreiben – in vielen Fällen mit horrenden Aufschlägen, kritisiert der Automobilclub ADAC.

Aus harmlosen Zehn-Euro-Knöllchen wegen Parkverstößen würden so Forderungen von bis zu 400 Euro mit Androhung von Schufa-Einträgen. „Aus meiner Sicht lässt sich das in vielen Fällen als dreiste Abzocke bezeichnen“, sagt Michael Nissen, Jurist des Automobilclubs. Die Inkassobranche selbst nennt die Zahl von knapp 415.000 Mahnbriefen, die im vergangenen Jahr an deutsche Autofahrer verschickt worden seien. „Dieses Ausmaß hat uns schockiert“, so Nissen.

Laut ADAC sind Drohbriefe der Geldeintreiber zum „Dauerbrenner“ in den Geschäftsstellen geworden. Täglich würden 30 bis 40 Mitglieder in der Rechtsberatung telefonisch um Beistand bitten. Wann aber eine Forderung berechtigt sei und wann nicht, lasse sich oft nur mit Expertenhilfe klären, warnen Juristen. Denn tatsächlich gibt es viele Wege, wie Bußgelder aus dem Ausland in Deutschland vollstreckt werden können.

Vollstreckung per Amtshilfe

Ausländische Behörden dürfen in Deutschland keine Bußgelder eintreiben. Ein Freibrief für Sünder ist das nicht. Denn seit 2010 gilt ein Rahmenbeschluss der Europäischen Union, wonach offene Forderungen innerhalb der EU nachträglich noch vollstreckt werden können – per Amtshilfe.

Das Verfahren: Begeht ein deutscher Autofahrer im Ausland einen Verkehrsverstoß, hält der Polizist oder die Blitzanlage in der Regel nur das Kennzeichen fest. Die ausländische Behörde erfragt die Daten beim Kraftfahrtbundesamt und stellt den Bußgeldbescheid zu. Bei Verstößen mit Mietwagen wendet sie sich an den Verleih.

ADAC-Experte Michael Nissen.
ADAC-Experte Michael Nissen. © ADAC | ADAC

Will ein deutscher Autofahrer partout sein Knöllchen nicht bezahlen, übergeben die ausländischen Behörden die Angelegenheit an das Bundesamt für Justiz (BfJ) in Bonn, das für die Vollstreckung zuständig ist.

Eingetrieben werden Bußgelder allerdings erst ab einer Bagatellgrenze von 70 Euro (inklusive Gebühren). Ausnahme ist das bilaterale Abkommen zwischen Österreich und Deutschland. Danach können Geldbußen, etwa aus Mautvergehen, schon ab 25 Euro vollstreckt werden. Die Amtshilfe betrifft nicht nur Verkehrsdelikte, sondern auch Geldstrafen, die EU-Gerichte in anderen Fällen gegen Bundesbürger verhängen.

Was viele Betroffene nicht wissen: Im „Tatortland“ bleiben rechtskräftige Bußgeldbescheide und Gerichtsentscheidungen weiterhin vollstreckbar. Bei der Einreise oder im Rahmen einer Verkehrskontrolle können säumige Zahler zur Kasse gebeten werden.

Nicht alle Länder machen von der Amtshilfe Gebrauch – besonders häufig jedoch die Niederlande. Nach Auskunft des Bundesamtes für Justiz gingen 2017 insgesamt 10.561 Ersuchen auf Amtshilfe ein, denen Straßenverkehrsdelikte zugrunde lagen. Der weitaus überwiegende Teil stammte dabei aus den Niederlanden.

Das Bußgeld, das das Bundesamt im Auftrag ausländischer Behörden notfalls auch per Gerichtsvollzieher eintreibt, bleibt übrigens in der deutschen Staatskasse, fließt also nicht den ausländischen Behörden zu. Diese Regelung, so der ADAC, sei die Erklärung dafür, warum manche ausländische Kommune deutsche Autofahrer per Privatinkasso zur Zahlung bewegen will.

Privatinkasso

Weil das „offizielle“ Vorgehen nach EU-Recht nicht nur aufwendig ist, sondern eben auch kein Geld einbringt, suchen sich ausländische Städte und Bußgeldstellen Alternativen, berichtet ADAC-Jurist Nissen. Die Dienste privater Inkassounternehmen oder Inkassoanwälte versprächen eine schnelle, unbürokratische Eintreibung.

Die Logik dabei: „Zahlt der Schuldner im Idealfall, bekommen die Kommunen und Bußgeldstellen schnell ihr Geld, die Inkassounternehmen kassieren die hohen Gebühren. Das ist eine schöne Win-win-Situation zulasten der betroffenen Autofahrer“, so Nissen. „Und offenbar hat die Branche darin ein gewinnbringendes Geschäftsmodell entdeckt.“

Die Maschen

Rechtlich gilt: Private Inkassobüros und mahnende Anwälte, die im Auftrag ausländischer Behörden arbeiten, haben keine Möglichkeit, Bußgeldforderungen in Deutschland zu vollstrecken. Sie setzen darauf, dass der Angeschriebene freiwillig zahlt – und machen Druck.

Dem ADAC sind insbesondere Fälle aus Italien bekannt. Dabei geht es um Betroffene, die nach P roblemen bei der Kartenzahlung an Mautstellen vom Inkassounternehmen NiviCredit angeschrieben werden und denen Schufa-Einträge angedroht worden seien. Ein Klassiker in diesem Sommer sind laut ADAC Knöllchen für deutsche Urlauber, die in verkehrsberuhigte Innenstädte fuhren.

Auch deutsche Inkassounternehmen mischen bei der Vollstreckung mit, weiß der ADAC. Ihre Anschreiben würden in der Aufmachung den Bußgeldbescheiden italienischer Behörden ähneln. So habe hinter einem Schreiben, das das Stadtwappen der Gardasee-Gemeinde Bardolino trug, ein Inkassobüro aus München gesteckt.

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    Als „Wildwuchs“ bezeichnet der ADAC, was Tausenden deutschen Autofahrern aktuell in Kroatien widerfahre. Dort haben bei Touristen beliebte Städte wie Pula oder Za­greb die Parkraumbewirtschaftung privatisiert. Wer falsch parkt, muss mit einer zivilrechtlichen Vertragsstrafe in Höhe von zehn bis 20 Euro rechnen.

    Die Praxis, so Nissen, sehe anders aus: „Dort wird lediglich das Kfz-Kennzeichen notiert und ohne Umschweife ein teures Inkassoverfahren eingeleitet.“ Bei der späteren Vollstreckung würden kroatische, deutsche oder auch slowenische Inkassoanwälte mit notariellen Vollstreckungsbeschlüssen unter Androhung weiterer gerichtlicher Schritte Urlauber zur Zahlung von mehreren Hundert Euro auffordern.

    Nissen: „Diese Beträge stehen in keinem Verhältnis zur Strafe des eigentlichen Verstoßes. Der Verdacht liegt nahe, dass auf dem Rücken ausländischer Autofahrer das große Geld verdient werden soll.“