Kotor. Im Schatten ansehnlicher Berggipfel greift die Bucht von Kotor weit ins Landesinnere von Montenegro. Kleine Städtchen locken Besucher.

461 Stufen sind wahrlich kein Pappenstiel. Ein wenig Kondition sei also empfohlen für den Aufstieg zum Mausoleum Petar II. Petrović Njegoš’, das mutterseelenallein 1657 Meter hoch auf dem Gipfel Jezerski Vrh thront. Ein imposantes Grabmal haben die Montenegriner ihrem berühmten Fürstbischof und Dichter des 19. Jahrhunderts da im Lovćen-Massiv bauen lassen: einen monumentalen Komplex mit meterhohen Steinfiguren, einem von Tausenden vergoldeten Mosaikplättchen verkleideten Gewölbe und einer marmornen Krypta. Wobei das Beste die Aussichtsplattform dahinter ist. Von einem als Dreschplatz geformten Rund liegt einem fast ganz Montenegro zu Füßen – jener kleine, vielen Westeuropäern eher unbekannte Mittelmeeranrainer, hinter dessen gut besuchter Adria-Küste sich ein dünn besiedeltes Bergland mit atemberaubenden Höhen und Tälern, duftenden Almwiesen, urwüchsigen Wäldern, versteckten Bergseen und respekteinflößenden Schluchten auffaltet.

Wer seinen Ausflug zum Mausoleum mit einer Wanderung krönen will, findet in der Wildnis des Nationalparks Lovćen ein perfektes Terrain. Und wer nur der schönen Aussicht wegen da war, fährt zurück, wie er gekommen ist: über die Straße, die das Schinkendorf Njeguši mit dem Unesco-geadelten Kotor verbindet, und damit über zahllose Serpentinen, die der Mensch ins weiße Karstgestein des Berges geschlagen hat. Beängstigend schmal eilt der Asphalt talwärts, gut bestückt mit scheinbar rallyeerprobten Montenegrinern, die ihre Fahrzeuge in halsbrecherischem Tempo durch die engen Kehren steuern. Immer wieder mal lädt auf dieser Strecke eine Parkbucht zum Anhalten, wie ein Balkon über der Landschaft schwebend und ausgestattet mit einem 1a-Blick.

Die Vogelperspektive zeigt die Bucht in Schmetterlingsform

Unten in der Tiefe zeigt sich indes die ganze Pracht eines wahrhaftigen Naturwunders, die Bucht von Kotor. Ein verzaubertes Märchenreich mit Welterbe-Status, im dunstigen Licht der Sonne irgendwie der Zeit entrückt. Fast 30 Kilometer weit hat sich da das Meer ins Land gefressen, wie ein Juwel eingefasst von den steilen, kargen Felswänden des Lovćen- und Orijen-Gebirges sowie den Ufern der Halbinseln Luštica und Vrmac, die sich als breite, bucklige Landmasse ins Wasser schieben und der fjordartigen Bucht die Form eines Schmetterlings geben.

Etliche Orte pflastern die Küstenlinie der „Boka Kotorska“, und nicht wenige haben das kulturelle Erbe von Griechen, Römern, Türken oder Venezianern bewahrt, die über die Jahrhunderte begehrlich ihre Hände nach dem strategisch günstigen Naturhafen ausstreckten.

Die jüngste Stadt der Boka ist Tivat, einst Sommerresidenz des Adels, die ihr angestaubtes touristisches Image in den letzten Jahren gewaltig aufpolierte, indem sie eine verwahrloste Militärwerft in eine Supermarina verwandelt hat. Porto Montenegro heißt der neue Hotspot der Reichen und Schönen, die entlang der palmengesäumten Promenade in schicken Apartments samt begrünter Terrasse oder im Fünf-Sterne-Hotel logieren, die in stilvollen Läden einkaufen und vor ebensolchen Lokalen beim gepflegten Cocktail sitzen – vor sich kleine Segelboote und Yachten, die so groß wie Mehrfamilienhäuser sind.

Wer Ruhe liebt, sollte der Straße auf die Halbinsel Luštica folgen

Was für ein Kontrastprogramm zu Tivats zweitem Aushängeschild, das sich, ein kurzes Stück weiter südlich gelegen, in der Vogelwelt als beliebter Treffpunkt empfiehlt. Im Naturreservat Solila wurde bis in die 1960er-Jahre Salz gewonnen, heute freut man sich an diesem friedvollen Ort über eine überschaubare Zahl naturinteressierter Touristen, die auf festen Pfaden durch das feuchte Marschland stiefeln und Ibisse und Seidenreiher durchs Fernglas beobachten.

Wer die Ruhe liebt, sollte der Straße an der Saline weiter auf die Halbinsel Luštica folgen. Durch das Grün der Landschaft stetig bergan, vorbei an verschlafenen Dörfern und nicht selten mit famosen Aussichten auf die Bucht von Kotor. Die mal weit wie ein See daliegt, mal schmal wie ein Fluss. Deren Wasser tiefblau und an windarmen Tagen glatt wie ein Spiegel ist, sodass die Häuser in Ufernähe ihre Silhouetten als verschwommene Bilder auf die zarten Wellen zeichnen.

Am Ende der Landzunge versammelt Rose, im 18./19. Jahrhundert wichtige Quarantänestation, seine hübschen Häuser um einen idyllischen Hafen. Gerade mal sechs Leute wohnen dauerhaft an diesem vergessenen Ort, an dem es auch zu Saisonzeiten mit drei Restaurants und einigen wenigen Unterkünften nicht voll wird.

Das Essen beginnt mit einem Grappa und endet mit süßem Apfelkuchen

Für die Rückfahrt nehmen wir einen anderen Weg und halten uns hinter Rose rechts. Betreten ein sanftes Arkadien, in dem die Straße zwischen Steinmauern und Zäunen dahinvagabundiert, begleitet von Wiesen, auf denen die knotigen Stämme der Olivenbäume Köpfe aus schütterem Blattwerk tragen. Hier ist kein Mucks zu hören, nur selten stört ein Auto die Stille. Irgendwo im 45-Seelen-Örtchen Tići taucht dann plötzlich ein junger Mann am Straßenrand auf, der bereits auf uns wartet. Es ist Ilija Morić, der zusammen mit Eltern und zwei Brüdern die „Morić Family Olive Farm“ betreibt und neben der Arbeit in der Landwirtschaft zahlenden Gästen bei einer Führung alles rund ums Olivenöl erklärt.

Wir haben bereits einen Spaziergang zum Olivenhain der Familie hinter uns, haben dort den süßen Eseln Miška und Ruška, die zwischen den Bäumen das Gras kurz halten, Hallo gesagt. Waren auch schon für eine Ölverkostung in der neuen Mühle, als wir zusammen mit einer Schweizer Wandergruppe in der Kühle eines Kellers landen.

Während alle den 140 Jahre alten Mühlstein bewundern, tischen die Morićs auf der nett eingedeckten Bierzeltgarnitur für einen wahren Festschmaus auf: zum Vorglühen ein Grappa, dann Käse, Schinken, Strudel, Honig, frittiertes Gemüse und Mamas Apfelkuchen zum süßen Schluss. „Alles aus eigener Produktion“, sagt Ilija stolz.

„Maria vom Felsen“ wurde in 200 Jahren aufgeschüttet

Satt und glücklich geht es weiter. Für die Schweizer zu Fuß, für uns mit dem Auto Richtung Lepetani, wo eine Fähre nach Kamenari übersetzt. Von dort führt die Küstenstraße wiederum um die enge innere Bucht herum bis nach Perast. Nach Restaurierung der 1979 durch das Erdbeben geschundenen Stadt liegen die Häuser, Paläste und Kirchen aus dem Barock wieder wie zu ihrer Glanzzeit als leuchtend weißer Streifen zwischen Meer und Berg. Schön sitzt man in den Lokalen der Prome­nade und genießt die Aussicht auf die beiden vorgelagerten Eilande: auf die „Insel der toten Kapitäne“, auf der ein verlassenes Benediktinerkloster zwischen schwarzen Zypressen ruht; und auf „Maria vom Felsen“, zu der Besucher in Booten übersetzen und deren Name schon etwas über ihre außergewöhnliche Geschichte erzählt.

An Sommerabenden ist die Altstadt von Kotor am schönsten – und immer noch belebt: einheimische junge Leute im Durchgang eines alten Stadttors.
An Sommerabenden ist die Altstadt von Kotor am schönsten – und immer noch belebt: einheimische junge Leute im Durchgang eines alten Stadttors. © Getty Images/Lonely Planet Images | Amos Chapple

„Im Jahre 1452 fanden zwei Fischer auf einem Felsen im Meer eine Ikone der Muttergottes“, weiß Guide Rosanda Pupović. „Sie brachten das Bild nach Perast, dessen wundergläubige Einwohner versprachen, der Jungfrau an der Stelle eine Kapelle zu bauen.“ Da der Felsen für das Unternehmen zu klein war, musste künstlich mehr Inselfläche geschaffen werden. Und in dem sehr tiefen Wasser dauerte das Vorhaben eine ganze Weile. 200 Jahre lang schleppten die Leute in ihren Booten Steine heran und versenkten diese zusammen mit Wrackteilen gekenterter Piratenschiffe um den Felsen, bis im 17. Jahrhundert die Kirche gebaut werden konnte.

So schön Perast und seine Inseln auch sind, es geht noch besser. Nicht weit entfernt, am Ende der Bucht, breitet sich Kotor, die Perle Montenegros, vor der beeindruckenden Kulisse des Berges Sveti Ivan aus. Bis zu 20 Meter hohe Mauern umgeben die mittelalter­liche Altstadt und klettern auf ihrem viereinhalb Kilometer langen Rundweg die schartigen Hänge hinauf bis zu einer Festung. Unten an der Riva, der Promenade mit Terrassencafés und Marktständen, öffnet das Meerestor die Befestigungsanlage und führt Besucher auf das polierte Pflaster des Hauptplatzes. Auffällig ist der alte Uhrturm, in dessen Erdgeschoss Uhrmacher Ljubinko Homen in seinem nach feuchtem Stein riechenden Laden sitzt und wie Generationen seiner Familie vor ihm für das Funktionieren der großen Uhr sorgt.

Weitere Plätze, verknüpft durch enge Gassen, zerteilen das Häusermeer der Altstadt, dem man die Verwüstungen durch das letzte Erdbeben nicht mehr ansieht. Straßenmusiker und Eisverkäufer, Läden und Lokale sorgen für Leben. Auch abends, wenn die Altstadt am schönsten ist. Wenn die Tagesgäste gegangen sind und die wenigen Touristen zwischen Einheimischen vor illuminierten Palästen sitzen, während Kotors Armee streunender Katzen ganz ungeniert übers Pflaster flaniert.

Tipps & Informationen

Anreise Flug nach Dubrovnik in Kroatien (z.B. ab Berlin-Tegel mit Eurowings) oder Podgorica in Montenegro (z.B. ab Berlin-Schönefeld mit Ryanair), jeweils weiter mit dem Mietwagen. Ab Hamburg z. B. mit Lufthansa und Croatia über Frankfurt nach Dubrovnik.

Unterkunft z.B. im Hotel Conte, einem denkmalgeschützten Haus in zentraler Lage am Hauptplatz von Perast, mit einer Restaurantterrasse direkt am Wasser, Doppelzimmer mit Frühstück ab 65 Euro

Olivenplantage „Organic Olive Farm Morić“ in Tići auf Luštica, geführte Tour in Englisch mit Besuch von alter und neuer Ölmühle, Olivenhain, Öl­verkos­tung und Imbiss (Preis je nach Teilnehmerzahl), vorherige Anmeldung nötig, Kontakt: Ilija Morić, Tel. 00382 67 60 35 35, E-Mail: moric@t-com.me

Auskunft www.montenegro.travel

(Die Reise erfolgte mit Unterstützung durch die nationale Tourismusorganisation von Montenegro)