New York. Es war Multimillionär John Jacob Astor, der dem Viertel Astoria in Queens seinen Namen gab – heute leben dort Menschen aus 160 Ländern.

In der Organisation „Big Apple Greeter“ haben sich mehr als 300 New Yorker zusammengetan, um Besucher in ihrer Stadt persönlich willkommen zu heißen. Sie vermitteln ihnen einen besonderen Zugang zu Gegenden und Stadtvierteln, die ihnen etwas bedeuten. Hier lädt Al Riggi auf einen Spaziergang durch Astoria in Queens ein.

„John Jacob Astor hat New York an vielen Stellen seinen Stempel aufgedrückt. Die beiden berühmtesten sind das Waldorf Astoria Hotel in Manhattan und unser Stadtviertel Astoria in Queens.“ Astor, damals der reichste Mann der Welt, musste Mitte des 19. Jahrhunderts für die Namensrechte 2000 Dollar bezahlen und zusagen, dass er sich auch weiterhin um die Entwicklung des Stadtteils kümmern würde.

Große Namen sind es auch, die uns empfangen, als wir an der oberirdischen Metrostation Astoria Boulevard ganz im Nordwesten von Queens aussteigen, um unsere Begleiter für diesen Ausflug, den Big Apple Greeter Al Riggi und seine ­Enkelin Nikki Padilla, zu treffen. Die Treppe vom Bahnsteig führt uns direkt zum Columbus Triangle, einer winzigen dreieckigen Grünfläche. Hinter uns liegt die Robert F. Kennedy Bridge, und immer wieder gibt es sprachliche Verweise auf J. J. Astor, den Namenspatron des mittelständischen Viertels.

Insofern ist es bereits ein erstes Statement, dass unsere beiden Greeter als Treffpunkt ein einfaches Dunkin’-Donuts-Restaurant in unmittelbarer Nähe der Haltestelle der N- und der Q-Linie vorgeschlagen haben. Queens ist zwar flächenmäßig der größte der fünf Boroughs, wirkt jedoch gegenüber dem glamourösen Manhattan, dem hippen Brooklyn und der verruchten Bronx durchweg bodenständig. In Queens leben insgesamt etwas mehr als 2,2 Millionen Menschen, 250.000 davon in Astoria, dem bevölkerungsreichsten Viertel von Queens. So auch Al und Nikki: „Als meine Eltern 1941 von Manhattan nach Astoria zogen, war das hier ein Viertel mit überwiegend deutschen und italienischen Einwanderern. Auch meine Eltern kommen aus Italien.“

Geldautomaten in Astoria bieten ganze 20 Sprachen an

Charakteristisch für Queens, insbesondere für Astoria, ist die Vielfalt der Herkünfte und Ethnien: Menschen aus mehr als 160 Ländern leben hier zusammen. „Die ATM-Machines (Geldautomaten) in Astoria bieten 20 unterschiedliche Sprachen an, in denen man sie bedienen kann. In Manhattan sind es maximal drei“, weiß Al, der sich täglich an der kulturellen und kulinarischen Vielfalt seines Viertels erfreut.

„Früher waren es Italiener und Deutsche, heute wird Astoria von Griechen dominiert. Nach Athen ist Queens die zweitgrößte griechische Stadt der Welt. Kommt, wir schauen uns gleich mal Titan Foods an, das ist ein typischer griechischer Supermarkt.“ Und so startet unser Besuch in Astoria mit einem weiteren großen Namen. „Heute leben so viele Griechen in Astoria, dass wir einfach hier beginnen müssen. Hier gibt es nicht nur griechische Spezialitäten in großer Auswahl, sondern auch besonders freundliches Personal.“

Der Neptune Diner nördlich des Grand Central Parkway setzt auf klassische amerikanische Diner-Gerichte: Burger, Steaks, Pickles, Fries. „Die machen hier nichts Außergewöhnliches, aber sie machen es außergewöhnlich gut. Dieses Lokal ist ein paar Jahre hintereinander als bester Diner in New York ausgezeichnet worden.“

Park und Pool sind zwei wichtige Attraktionen von Astoria

An der Ostseite des East River erstreckt sich der Astoria Park. Der riesige Pool darin ist das größte Schwimmbecken in ganz New York. Es öffnet jedes Jahr am Memorial Day, Ende Mai. „Das ganze Jahr über finden hier Veranstaltungen statt: Konzerte, Theater und viel Sport“, sagt Al. Für ihn sind der Park und der riesige Pool zwei der wichtigsten Attraktionen von Astoria.

„Der Park ist eine große Ruheoase, ein Paradies für Jogger und Schwimmer. Und die Aussicht ist grandios“, sagt er. „Ich habe ihn schon immer ganz besonders geliebt. Als Nikki klein war, habe ich sie oft mit dem Fahrrad abgeholt, und wir sind hergekommen, um zu spielen. Als Teenager habe ich den ganzen Sommer in diesem Schwimmbad verbracht. Jeden einzelnen Tag … damals hat das keinen Eintritt gekostet.“

Zwei Brücken sieht man vom Uferstreifen beim Astoria Park: zur Linken die Robert F. Kennedy Bridge, die bis 2008 Triboro Bridge hieß, und zur Rechten eine Eisenbahnbrücke. „Dieser Bereich des East River wird Hell Gate genannt, weil schon sehr viele Schiffe durch die gefährlichen Strömungen und Strudel an dieser Stelle verunglückt sind.“ Al hat Respekt vor dieser Kraft des Wassers gegenüber dem Parkufer.

Hier liegt New Yorks ältester und beliebtester Biergarten

„Genau hier hat sich 1904 auch die General-Slocum-Katastrophe ereignet. Ein großer Ausflugsdampfer aus Holz ist in Brand geraten und gesunken. Mehr als 1000 Menschen, fast alle deutschstämmig, ertranken. Die meisten waren Frauen und Kinder und lebten mit ihren Männern in Kleindeutschland, in der Lower Eastside. Vor dem 11. September war das das größte Unglück, das New York heimgesucht hat.“

„Von einem meiner Gäste habe ich gelernt, dass der East River eigentlich gar kein Fluss ist, obwohl er so heißt, sondern eine Flussmündung.“ Die mächtige Brücke, die darüber führt, wurde 40 Jahre nach der ­Ermordung des damaligen New Yorker Senators nach ihm benannt.

Seit mehr als 60 Jahren feiern die Menschen aus Astoria und weit darüber hinaus bei Riccardo’s Hochzeiten, runde Geburtstage und Taufen. Das flache ­Gebäude aus den 50ern wirkt wie eine Filmkulisse. An dem nüchternen Flachbau wären wir einfach vorbeigelaufen, hätten uns Al und Nikki nicht intensiv auf diese Institution vorbereitet. Und in der Tat: ­Sobald man das Innere des Gebäudes betritt, fühlt man sich in die Zeit versetzt, als Schmalz­tolle und Pettycoat die Mode bestimmten und die Hits von Elvis und Fats Domino stammten. „Unsere Familie hat immer wieder hier gefeiert. Meine Mutter hat hier geheiratet. Für uns ist das Riccardo’s ein Ort, der mit vielen Erinnerungen verknüpft ist“, erzählt uns Nikki, während wir durch die leeren Festsäle schlendern.

Der böhmische Biergarten gilt als einer der besten der Stadt

Rund um die 31st Street gibt es viele Stellen, an denen Al kurz anhält, um uns auf kleine Besonderheiten hinzuweisen: der böhmische Biergarten, ein kleiner politischer Club, der mal eine Bar war, in der Tony Bennett, erfolgreicher Sohn des Viertels, seine Karriere als Sänger gestartet hat, ein russischer Barbershop oder das Graffiti-Wandgemälde, das Szenen aus der griechischen Antike zeigt. „Hier rund um den Bohemian Hall and Beer Garden in der 24th Avenue ist im Sommer richtig was los. Das ist einer der besten, auf jeden Fall aber meistbesuchten Biergärten in ganz New York!

Al führt uns bis zum nördlichen ­Ende der 33rd Street und biegt nach rechts in die 20th Avenue, danach wieder links in die 38th Street ab. Mitten in einem grauen Industriegebiet stehen wir vor dem Werksgelände von Steinway & Sons. Das 1853 in Manhattan gegründete Unternehmen fertigt seit 1870 seine Premium-Musikinstrumente hier in Queens. „Mein Cousin arbeitete jahrelang bei Steinway und war dort für die Piano-Fertigung zuständig“, sagt uns Al.

„Das Holz muss hier im Außenbereich mindestens ein Jahr lagern und trocknen, bevor daraus ein Flügel oder ein Klavier gefertigt wird. Wir sind stolz, dass diese großartigen Instrumente direkt in unserer Nachbarschaft gebaut werden.“ Das Traditionsunternehmen mit deutschen Wurzeln wurde von Henry E. Steinway 1853 in New York gegründet. Heute werden pro Jahr etwa 3000 Flügel und 600 Klaviere in Queens und in Hamburg hergestellt.

Ein Privatfriedhof, der aussieht wie ein Garten

Al führt uns zur letzten Station der Tour, zum Privatfriedhof der Familie Lawrence, Ecke 35th Street und 20th Road, nur ein paar Minuten von der Steinway-Fabrik entfernt. „Der Friedhof liegt in unserer direkten Nachbarschaft. Mein Freund Jim kümmert sich um das kleine Anwesen. Meine Töchter haben früher hier mit seinen Töchtern gespielt. Auf einem Friedhof … na ja, sieht ja auch eher aus wie ein Garten.“

Seit 1956 kümmert sich James (genannt Jim) Sheehan liebevoll um Pflege und Erhalt des kleinen Parks. Genau 400 Jahre zuvor, im Jahre 1656, wurde der Bürgermeister Thomas Lawrence als Erster an dieser Stelle beerdigt. „Die Familie Lawrence war eine einfluss­reiche Familie. Der Stiefbruder von George Washington war zum Beispiel ein Lawrence“, sagt Jim. „Als der Friedhof errichtet wurde, stand noch kein Haus in der Nähe. Ruth Lawrence hat das Grundstück meinem Schwiegervater vererbt, der damals ihr Gärtner war, mit der Auflage, dass er und seine Nachkommen sich darum kümmern. Das tue ich jetzt schon seit über 55 Jahren.“

Tipps und Informationen

Anreise Ab Berlin geht es zum Beispiel mit United, Delta oder Air France nonstop nach New York.

Big Apple Greeter in Astoria Al Riggi wurde als Sohn eines italienischen Obsthändlers in Manhattan geboren, seine Enkelin Nikki Padilla 60 Jahre später in Queens. Seit 2005 ist Al Big Apple Greeter, oft begleitet Nikki ihn. Auskunft und Buchung unter Tel. 001/212/669-81 59 und auf https://bigapplegreeter.org/

(Der gekürzte Text stammt aus dem Buch „New York to go – 20 x unterwegs mit den Big Apple Greetern“, Knesebeck Verlag, 468 S. für 30 Euro.)