Berlin. Wie fahren wir künftig? Autonom und elektrisch oder weiterhin mit Verbrennungsmotor und Lenkrad? Experten blicken in die Glaskugel.

Fahrende Glaskästen surren durch die Straßen. Keine Ampel, keine Staus behindern die Fahrt. In den Innenräumen entspannen sich die Passagiere. Glaubt man den Herstellern und ihren Fahrzeugstudien, werden künftige Autos anders aussehen als heutige – und das ­Leben vereinfachen. Science-Fiction oder realitätsnahe Zukunftsmusik?

Wilko Stark, Produktplaner bei Mercedes-Benz, rechnet mit Tausenden autonom fahrenden Autos schon Anfang der kommenden Dekade. „Die werden aber zuerst bei Mobilitätsdienst­leistern wie MyTaxi oder anderen Pooling-Konzepten eingesetzt“, sagt er. Denn die speziellen Lidar-Sensoren auf den Dächern der Autos seien noch sehr teuer und für Privatkunden die nächsten fünf bis zehn Jahre unerschwinglich. Lidar-Sensoren rotieren bis zu 20-mal pro Sekunde und feuern dabei für den Menschen unsichtbare Laserstrahlen ab, fangen sie wieder auf und tasten damit die Umgebung ab.

Autonome Fahrzeuge werden wohl zunächst auch nur in Großstädten eingesetzt. Dort, wo hochauflösende Karten die Straßen sehr genau abbilden. „Die Mobilität der Zukunft können wir nur gemeinsam mit den Städten entwickeln“, sagt Stark, „autonom fahrende Autos werden ein Teil der Mobilität sein, ergänzend zum öffentlichen Nahverkehr.“ Die von Mercedes eingesetzten Fahrzeuge werden auf ein Lenkrad sowie einen Fahrer verzichten. Es gibt sie für maximal zehn Personen oder als Limousine wie ein Taxi, natürlich elek­trisch angetrieben.

Mehr Kunden werden sich Fahrzeuge mieten oder teilen

Neben diesen Roboterautos erwartet Stark künftig Autos, die sich von den heutigen kaum unterscheiden. „Autofahrer müssen sich nicht komplett umstellen, ein Auto wird weiter wie ein Auto aussehen und so fahren.“ Vor allem in ländlichen Gebieten werden solche Autos rollen. Dort, wo noch keine hochauflösenden Karten alle Straßen exakt vermessen haben. Seiner Meinung nach wird es künftig mehr Kunden geben, die Fahrzeuge mieten oder teilen, um von A nach B zu kommen. Aber immer auch Kunden, die auf ein eigenes Fahrzeug nicht verzichten wollen.

Auch der Kölner Designprofessor Paolo Tumminelli geht davon aus, dass sich die nächste Generation der Autos von heutigen kaum unterscheiden wird. „Die Fahrzeughersteller setzen bisher auf die sogenannte Plattformstrategie, die können sie nicht einfach verwerfen“, sagt er. Bei neuen Fahrzeugkonzepten wie reinen Elektroautos oder autonom fahrenden Autos könnten die Hersteller aber neue Wege gehen.

Vollautonom wie bei der Studie I.D.Vizzion stellt sich VW die Zukunft vor.
Vollautonom wie bei der Studie I.D.Vizzion stellt sich VW die Zukunft vor. © dpa-tmn | Volkswagen AG

Im Grunde gebe es zwei Möglichkeiten: „Weiter auf ­modulare Plattformen für viele Fahrzeugderivate setzen, dann ändert sich die Designstrategie kaum. Oder einzigartige Mobilitätsformen für den ur­banen Raum entwickeln“, sagt Tumminelli. Daraus könnten effizientere und kompaktere Raumkapseln entstehen.

Bei autonomen Fahrzeugen dürften Werte wie Sportlichkeit oder Geländegängigkeit an Bedeutung verlieren. „Ein schöner Würfel, der langsam und sicher durch die Stadt fährt, wäre agiler und sinnvoller als aktuelle Fahrzeuggattungen“, sagt er. Mit der ersten Generation von neuen Modellen Mitte 2020 wird sich allmählich das Straßenbild ändern, zunächst in der Stadt und in den umliegenden Ballungsräumen.

Fahrassistenzsysteme werden verstärkt die Steuerung übernehmen

Im urbanen Raum werden Menschen in naher Zukunft, sei es in einem geschlossenen System aus bestimmten Straßen oder zu bestimmten Uhrzeiten, autonom unterwegs sein. Ampelstopps und Staus würden irgendwann wegfallen, da die Fahrzeuge untereinander vernetzt sind und sich wie ein Schwarm verhalten können. Sobald sich Wasserstoff durchsetzt, werden konventionell angetriebene Fahrzeuge eine Randerscheinung sein.

Volkswagen zeigte auf den vergangenen Automessen eine Reihe von neuen Konzepten. Bei der sogenannten I.D.-Familie setzen die Designer auf kurze Überhänge, große Innenräume, autonome Technik und kurze Außenmaße. Im Innenraum können sich Reisende auf Loungesessel lümmeln. Das neue Zeitalter der individuellen Mobilität ist aus Sicht der Wolfsburger elek­trisch und vollautomatisch.

So könnten Autos künftig aussehen: die Mercedes-Studie F 015 Luxury.
So könnten Autos künftig aussehen: die Mercedes-Studie F 015 Luxury. © dpa-tmn | Daimler AG

„In der zweiten Hälfte der 2020er-Jahre werden Fahrerassistenzsysteme verstärkt die Steuerung des Fahrzeugs übernehmen und den Fahrer entlasten“, sagt Sonja Tyczka von VW. Mit neuen Funktionen wie zum Beispiel Sprache, Gesten oder über Augmented Reality mit einer HoloLens-Brille sollen sich neue Inhalte so einfach wie möglich steuern lassen.

In fahrerlosen Autos ergeben sich Gestaltungsmöglichkeiten

Die Elektrifizierung wird aber nicht bei allen Autos zu einem Designwechsel führen, meint Matthias Kempf von der Beratungsfirma Berylls Strategy Advisors in München. Er geht davon aus, dass ein radikal anderes Design erst mit den vollautonom fahrenden Autos eintreten wird. Wenn Autos voll automatisiert fahren (Level 4) oder fahrerlos unterwegs sind (Level 5) und die Sys­teme für den Privatkunden erschwinglich sind, wird sich das Autofahren drastisch verändern. „Fahrerlose Autos können auf ein Lenkrad verzichten, im Innenraum ergeben sich neue Gestaltungsmöglichkeiten“, so Kempf.

Der Innenraum des I.D. Vizzion von Volkswagen soll Freiraum für Entspannung oder Arbeit bieten.
Der Innenraum des I.D. Vizzion von Volkswagen soll Freiraum für Entspannung oder Arbeit bieten. © dpa-tmn | Volkswagen AG

Diese Systeme werden anfangs bis zu 20.000 Euro teurer und zuerst für Flottenbetreiber interessant. „Außerdem wird es lange brauchen, damit autonome Autos überall, bei jedem Wetter und mit jeder Geschwindigkeit fahren können, bestimmt über 2030 hinaus.“ Denn bisherige autonome Fahrzeuge benötigen hochauflösende Karten und stabile Wetterverhältnisse.

Umgewöhnen muss sich vor allem der Mensch hinter dem Steuer. „Autofahrer müssen lernen, wie sich Roboterautos verhalten – und umgekehrt“, sagt Kempf. Denn Robo-Autos fahren defensiver, eventuell auch langsamer und möglichst ruckelfrei. „Starke Beschleunigung oder Höchstgeschwindigkeiten spielen dann für das Marketing der Hersteller keine Rolle mehr.“ Die Fahrzeuge werden dann leise und ruhig über die Straßen surren.