Smith Falls. Den Rideau-Kanal in Kanada kann man per Hausboot erkunden. Er führt von der Hauptstadt Ottawa bis Kingston, der Stadt am Ontario-See.

„Leinen los“, ertönt meine Stimme energisch. „Leinen los“ – was verbinden wir mit dem Kommando? Das Verlassen alter Welten zum Beispiel, den Aufbruch zu neuen Ufern. Während ich mich gedanklich in Pathos übe, holen mich die Stimmen der Mannschaft in die Realität zurück. „Leinen sind los“, schallt es in doppelter Ausführung vom unteren Deck zu mir hinauf.

Schluss mit Träumen, jetzt ist volle Konzentration gefragt. Immerhin gilt es, ein Hausboot behutsam und ohne Beschädigung von der Schleusenwand zu lösen und ­hinauszumanövrieren auf den See, der sich hinter der Schleuse auftut. Als ­Kapitän habe ich die Verantwortung.

Vorsichtig betätige ich die Seitenstrahlruder, die für Bug und Heck getrennt eingesetzt werden können. Das fahrbare Zuhause gleitet kontrolliert Zentimeter um Zentimeter in die Mitte des Kanals. Jetzt behutsam den Gashebel vorschieben. Das Boot bekommt Vortrieb, die fast 200 Jahre alten Steinquader an den Wänden links und rechts ziehen langsam vorbei. Ein letzter Gruß an den freundlich winkenden Schleusenwärter, dann ist es geschafft. War gar nicht so schwierig, mein allererstes Ablegen als Kapitän eines Hausbootes.

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Hausbootfahren in Kanada, genauer gesagt in Ontario, noch genauer auf dem Rideau-Kanal zwischen Ottawa und Kingston, ist ein Erlebnis der ganz besonderen Art – der vielfältigen erst recht. Die Stunden im Führerstand sind aufregend, lassen einem das Adrenalin durch den Körper schießen und Glücksgefühle erleben, wenn wieder eine Etappe gemeistert ist. Dazu die Landschaft im ­Osten Kanadas, die mit immer neuen Facetten aufwartet.

Die Kanalschleusen verzögern allzu schnelles Vorankommen

Eben säumten dichte Wälder den Wasserweg, dann sind es ausgedehnte Sumpfgebiete mit hohem Schilfgras, wenig später tut sich die Wasserfläche eines Sees auf, an dessen Ufern verträumte Häuschen und stattliche An­wesen zwischen Bäumen hervorlugen. Überall zu entdecken: rot lackierte, gemütliche Holzstühle. Diese „Red Chair Locations“ kennzeichnen landschaftlich besonders schöne Stellen.

Gut, dass regelmäßig Schleusen das allzu schnelle Vorankommen auf dem Rideau-Kanal verzögern. Zeit, um innezuhalten. Zeit aber auch, um das zu er­leben, was einen Mitteleuropäer, der zum ersten Mal zu Besuch ist im Land mit dem Ahornblatt auf der Flagge, am nachhaltigsten beeindruckt: die Menschen. Unglaublich freundlich sind sie, zuvorkommend. Sie begeistern sich für die Geschichten ihrer Gäste. Ihre Nachfragen und Erzählungen lassen erkennen, dass sie ehrlich interessiert sind.

Exemplarisch steht die Aussage eines Schleusenwärters in Upper Beveridges Lock. „Ihr seid im Urlaub, nicht wir. ­Also machen wir es so möglich, wie es euch am besten passt“, sagte er. Der Mitarbeiter von Parks Canada spricht wie viele Einheimische ein fast dialektfreies Englisch, das es auch dem mit Schulenglisch ausgestatteten Touristen leicht möglich macht zu folgen.

Seit Mai dieses Jahres betreibt Hausbootanbieter Le Boat eine Basis am Rideau-Kanal. In Smith Falls, etwa auf halbem Weg zwischen der kanadischen Hauptstadt Ottawa und Kingston am Ontariosee, stehen den Kunden 16 Hausboote zur Verfügung. In den nächsten fünf Jahren soll die Flotte auf das Doppelte wachsen. Die Hausboote, gebaut auf der Delphia-Yacht-Werft in Polen, sehen aus wie kleine Yachten.

Für das Führen eines Hausboots ist kein Führerschein notwendig

Das 13,5 Meter lange Modell Horizon 4 zum Beispiel verfügt über vier Doppelkabinen, jeweils mit eigener Dusche und Toilette. Bis zu zehn Personen, zwei davon im Salon, sollen hier Platz finden. Des Nachts und bei schlechtem Wetter dürfte das eng werden. Grundsätzlich bieten das Sonnendeck mit Tisch, Sitzecke mit Grill, Sonnenliegen und dem Vordeck aber jede Menge Platz, die Fahrt durch die beeindruckende Landschaft zu genießen.

Für das Führen der Hausboote sind weder ein Bootsführerschein noch andere Vorkenntnisse erforderlich. Jedes Crewmitglied kann die Rolle des Kapitäns einnehmen. Bei der Übergabe ­erfolgt eine Einweisung in Technik und Räumlichkeiten, praktische Fahrübungen im Hafen schließen sich an. Der ­Basisleiter von Le Boat muss den Eindruck haben, dass die Mieter das Boot sicher manövrieren können. Ansonsten gibt es keine Freigabe.

„In so einem Fall versuchen wir es einige Stunden später oder am nächsten Tag noch mal“, sagt Sandy Crothers. In den ersten Stunden neigen Neulinge am Steuerrad übrigens zum Zickzackkurs, weil sie die verzögerte Reaktion des Bootes auf Lenkbewegungen unterschätzen. Grundsätzlich ist Hausbootfahren aber nicht schwieriger als Autofahren. Und das Glücksgefühl nach gelungenen An- und Ablegemanövern ist ungleich größer.

Der Rideau-Kanal, entstanden zwischen 1826 und 1832, gilt als technisches Meisterwerk seiner Zeit. 2007 erklärte ihn die Unesco zum Weltkulturerbe. Auf der gesamten Länge zwischen Ottawa und Kingston gibt es 47 Schleusen, von denen 44 mit reiner Muskelkraft ­geöffnet und geschlossen werden. Die Männer bei ihrer Arbeit an den Kurbeln zu beobachten, gehört zu den spekta­kulären Erlebnissen der Reise.

Die Hausbootsaison dauert hier noch bis in den Oktober

Im Sommer wird es in Ontario bis zu 30 Grad warm, im Winter minus 40 Grad kalt. Der Kanal friert zu und mutiert auf einem 6,4 Kilometer langen Abschnitt im Stadtzentrum von Ottawa zur größten Eislaufbahn der Welt. Namensgebend ist ein kleiner Wasserfall an der Mündung in den Ottawa-Fluss. Weil er aussieht wie ein Vorhang aus Wasser, gab man erst dem Flüsschen und später dem Kanal den Namen Rideau, was im Französischen „Vorhang“ bedeutet.

Die Schleusen sind von Mitte Mai bis zum kanadischen Thanksgiving – anders als in den USA bereits am 8. Oktober – täglich geöffnet. Wenn die Hausboottour am späten Nachmittag am Anleger vor einer Schleuse endet, gibt es viele interessante Orte mit teils skur­rilen Geschichten zu entdecken.

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Mit dem Slogan „Rise at the Falls“ (Aufstieg am Wasserfall) wirbt zum Beispiel Smith Falls, das in den vergangenen Jahren Hunderte Arbeitsplätze verlor. Nach der im Juni beschlossenen Lega­lisierung von Cannabis-Produktion und -Konsum hofft der Ort, zum weltgrößten Produzenten aufzusteigen. „Die Kapazitäten dazu haben wir“, sagt Bürgermeister Shawn Pankow und rechnet mit 500 neuen Arbeitsplätzen.

Glamour-Camping nahe der Schleuse

Auf dem Marktplatz der Kleinstadt Perth am Tay-Kanal, einem Seitenarm des Rideau-Kanals, steht die Nachbildung eines 22.000 Pfund schweren Käses, den der Ort bei der Weltausstellung 1893 in Chicago präsentierte. Und in Merrickville, einer der reizvollsten Ortschaften der Region mit vielen Gebäuden aus dem 19. Jahrhundert, setzt man nach einer Blütezeit während der Hippie-Bewegung auf die Kinder dieser Generation, die mit ihren Kunsthandwerkerläden das Ortsbild prägen.

An drei Schleusen bietet die staat­liche Behörde Parks Canada die Möglichkeit zum Glamour Camping, dem sogenannten Glamping. Für 100 Can-Dollar (knapp 70 Euro) können Bootsfahrer, Biker, Radtouristen oder Kanufans ein Häuschen mit sechs Schlafplätzen mieten; dazu Duschen, Toiletten und Grillplatz nutzen. „Wir wollen das einzige Weltkulturerbe ­Ontarios für alle zugänglich und erlebbar machen“, sagt Pressesprecher Dale MacEachern.

Eine Reise nach Ontario ist ein Aufbruch zu neuen Ufern

Am Anfang und Ende des Kanalurlaubs sind Übernachtungen in Kingston und Ottawa ein Muss. Die fünftgrößte Stadt Kanadas (950.000 Einwohner) liegt auf dem 45. Breitengrad auf der Höhe Norditaliens und wurde 1857 Hauptstadt der britischen Provinz Kanada.

Das Geschehen im Zentrum spielt sich rund um den imposanten Parliament Hill im viktorianischen Stil, die Ottawa Locks mit acht Schleusen hintereinander, in den zahlreichen Museen und auf dem ByWard-Market ab, der mit 250 Ständen, 500 Spezialitätenläden, Restaurants, Clubs und Pubs als ältester und größter Markt Kanadas gilt.

Kingston, Heimatstadt des Schauspielers Dan Aykroyd, liegt am Ontariosee, durch den die Grenze zu den USA verläuft, und war von 1841 bis 1844 die erste Hauptstadt Kanadas. Aus der Zeit stammen viele prachtvolle Kalkstein-Gebäude, die Kingstons Ruf als „Lime­stone City“ begründen. Die 120.000-Einwohner-Stadt beherbergt die berühmte Queens-Universität und eine Marina, vor der 1976 die olympischen Segelwettbewerbe stattfanden.

Eine Reise nach Ontario ist weit mehr als eine Pause vom Alltag in der Alten Welt. Dann doch eher ein Aufbruch zu neuen Ufern. Denn die Vielfalt an beeindruckenden Naturerlebnissen und kulturhistorischen Highlights kombiniert mit der individuellen und stets spannenden Art des Reisens macht diesen Trip zu einem waschechten Traumurlaub für Paare, Familien oder Gruppen. Also: „Leinen los!“

Tipps & Informationen

Anreise z. B. mit dem Ferienflieger Air Canada Rouge nonstop von Berlin nach Toronto.

Hausboot Die Preise von Le Boat auf dem Rideau-Kanal betragen für ein Vier-Personen-Boot ab 1650 Euro (Nebensaison) pro Woche und Boot. Inkludiert sind komplett ausgestattete Küchen, Bettwäsche und Handtücher. Gebucht werden kann über TUI-Reisebüros oder im Direktvertrieb www.leboat.de, Telefon 06101/557 91-12. Das Familienunternehmen Big Rideau Lake Boat Rentals ist preisgünstiger, die Boote sind aber nicht so komfortabel. Preise ab 900 Euro (Juni und
September) pro Woche und Boot.

(Die Reise erfolgte mit Unterstützung durch Le Boat und Ontario Tourism.)