Berlin. Forscher beobachten in diesem Sommer doppelt so viele Zecken wie im Vorjahr. Lesen Sie hier, welche Infektions-Gefahr dadurch droht.

Kurz vor der Dämmerung, zur immer gleichen Zeit, streift Gerhard Dobler durch ein 100 Quadratmeter großes Waldstück in der Oberpfalz. Das macht er einmal im Monat, seit fast zehn Jahren. Es sind immer dieselben Sträucher, Büsche und Grasflächen, die der Oberfeldarzt vom Institut für Mikrobiologie der Bundeswehr akribisch durchforstet. Als Teil einer Zusammenarbeit mit dem Deutschen Zentrum für Infektionsforschung (DZIF) ist er auf der Jagd nach jugendlichen Zecken, den sogenannten Nymphen.

Mithilfe der gesammelten Tierchen und anderer Daten aus seinem Stammwaldstück haben der Wissenschaftler und Kollegen der Universität Wien ein Modell entwickelt, das eine sehr genaue Vorhersage der Zecken-Population im Folgejahr ermöglicht. Die Prognose für 2018 – 443 Zecken pro 100 Quadratmeter – hat sich bereits als richtig erwiesen.

„Wir haben die höchste Zahl von Zecken, die wir seit Beginn der Untersuchungen gesammelt haben – gut für die Zecken, schlecht für uns“, sagt Dobler.

Gemeine Holzbock in Deutschland häufigste Zeckenart

In Brandenburg etwa sind die nach Zeckenbissen aufgetretenen Erkrankungen höher als im Vergleichszeitraum 2017. Bis Mitte Juli wurden landesweit 613 Borreliose-Fälle gemeldet, wie das Gesundheitsministerium auf dpa-Anfrage mitteilte. Im Vergleichszeitraum 2017 waren es 509. In anderen Bundesländern sieht es ähnlich aus.

Zecken beißen sich an der Haut des Menschen fest.
Zecken beißen sich an der Haut des Menschen fest. © dpa | Patrick Pleul

Dass die Analyse, die er und sein Team in der aktuellen Ausgabe des Zecken-Fachblatts „Experimental and Applied Acarology“ beschreiben, die Zeckenzahl fast aufs Tier genau vorhersagen kann, stellten die Forscher schon 2016 unter Beweis. Damals hatten sie 187 Jung-Zecken auf 100 Quadratmetern für 2017 prognostiziert, gefunden wurden 180.

Im Herbst 2017 versuchten sich die Forscher dann erstmals an einer offiziellen Vorhersage. Damit diese so nah wie möglich an der Realität liege, sei allerdings mehr nötig, als nur die winzigen Blutsauger einzusammeln.

„Neben den Zeckenzahlen fließen viele Wetterwerte aus der Region in die Berechnungen ein“, erklärt Dobler. Die Daten schickte der Forscher an eine Arbeitsgruppe der Universität Wien. Hier untersuchen Meteorologen und Veterinäre gemeinsam, welche Auswirkungen das Wetter auf das Auftreten bestimmter Krankheitsüberträger hat. Für die in Deutschland häufigste Zeckenart, den Gemeinen Holzbock (Ixodes ricinus), zeigten sich dabei verschiedene Zusammenhänge.

Je mehr Mäuse, umso mehr pubertierende Blutsauger

Entdeckten die Forscher besonders viele Tannenzapfen, Eicheln, Bucheckern und andere Waldfrüchte, fanden sie zwei Jahre darauf umso mehr jugendliche Holzböcke. Dahinter steckt ein komplexes System: Die Larven der Blutsauger bevorzugen kleine Nager, wie beispielsweise Mäuse. Diese haben die perfekte Größe, um die in diesem Entwicklungsstadium nur bis zu einen Millimeter großen Tierchen von Gräsern oder Sträuchern abzustreifen.

„Und Mäuse sind bei reichlichem Nahrungsangebot im Wald besonders zahlreich. Umso mehr kleine Nager sich im Wald tummeln, umso mehr Zeckenlarven überleben und entwickeln sich über den Winter zu Nymphen weiter“, sagt Dobler. Nach einem weiteren Jahr werden aus den Nymphen dann fortpflanzungsfähige Erwachsene.

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    Aber auch Faktoren wie die Temperatur spielten bei der Populationsgröße eine entscheidende Rolle, erklärt der Mikrobiologe. „Folgt auf einen feuchten, nicht zu heißen Sommer ein milder Winter, finden wir im Jahr darauf viele Jung-Zecken.“

    Zecken übertragen gefährliche Viren wie den FSME-Erreger

    Obwohl die Forscher ihre Zecken-Sammlung stets im gleichen Waldstück durchführen, seien die Ergebnisse repräsentativ für ganz Deutschland. „Proportional gesehen“, ergänzt Dobler, „es gab also 2017 nicht überall 180 Zecken auf 100 Quadratmetern und in diesem Jahr 443, sondern es gibt deutschlandweit mehr als doppelt so viele Zecken wie im vergangenen Jahr.“ Proben aus Norddeutschland hätten bereits bestätigt, dass dieses Verhältnis stimme.

    Kritisch ist der enorme Anstieg der Zecken-Population vor allem, weil die kleinen Krabbler gefährliche Krankheitserreger übertragen können. Etwa Viren, die zu einer Frühsommer-Meningoenzephalitis (FSME) – einer in einigen Fällen tödlichen Hirnhautentzündung – führen können sowie Bakterien, die Borreliose auslösen. Die Krankheit befällt verschiedene Organe, meist die Haut, teils aber auch die Gelenke oder das Nervensystem.

    Fünf Prozent aller erwachsenen Zecken tragen die Krankheitserreger

    Gegen FSME gibt es eine Impfung, die das Robert-Koch-Institut (RKI) allen Personen empfiehlt, die in Risikogebieten leben oder dort hinreisen. In Deutschland zählen dazu nahezu ganz Bayern und Baden-Württemberg, Bereiche im südlichen Thüringen und Hessen sowie einzelne Kreise in Sachsen und Rheinland-Pfalz. Als Risikogebiet gelten Regionen, in denen mehr Zecken mit FSME-Viren infiziert sind als im Bundesschnitt.

    „Das bedeutet allerdings nicht, dass Zecken die Viren in anderen Teilen von Deutschland nicht verbreiten können“, gibt Dobler zu bedenken. Bis zu fünf Prozent aller erwachsenen Zecken tragen die Krankheitserreger, schätzt das RKI. Bei den jugendlichen Nymphen seien es bis zu ein Prozent, sagt Dobler.

    Erstmals auch FSME-Virus auch in Niedersachsen

    Durch die deutlich höhere Anzahl an Tieren, steige auch das Infektionsrisiko. Erstmals sei das Virus in diesem Jahr auch in Niedersachsen nachgewiesen worden. „Zudem gibt es eine deutliche Ausbreitung von Osten nach Westen“, sagt Dobler. So gebe es mittlerweile auch erste Fälle in den Niederlanden, bis 2016 galten die Benelux-Staaten als einzige deutsche Nachbarn als FSME-frei. „Welche Umstände bei der Ausbreitung des Virus eine Rolle spielen, wollen wir noch erforschen“, sagt Dobler.

    Zwar ist die Anzahl Betroffener in Deutschland mit bislang im Schnitt 300 Fällen pro Jahr überschaubar, doch erreichen die Viren das zentrale Nervensystem, können sie dort schwere Schäden anrichten, warnt das RKI. Eine Therapie gibt es nicht. Eine Impfung sei deshalb, mindestens in den Risikogebieten, sinnvoll, raten auch die Zeckensammler um Dobler. Sie besteht zumeist aus drei Dosen und muss in Abständen von drei bis fünf Jahren aufgefrischt werden. Für welche Regionen eine Impfung empfohlen wird, erfahren Urlauber auf der Internetseite des Auswärtigen Amtes.

    Wanderröte deutet auf Borreliose-Erkrankung

    Einen vergleichbaren Schutz gegen Borreliose gibt es bislang nicht – sie lässt sich allerdings mit Antibiotika behandeln. „Die genauen Fallzahlen sind unbekannt, weil die Krankheit nicht in allen Bundesländern meldepflichtig ist“, sagt Dobler. Studien gehen laut RKI von schätzungsweise 214.000 Fällen pro Jahr aus. Meist handele es sich um milde Verläufe. Häufigstes Symptom sei die sogenannte Wanderröte – eine um den Zeckenstich ringförmig wachsende Hautrötung, die bisweilen von grippeähnlichen Erscheinungen wie Fieber, Muskel- und Kopfschmerzen begleitet wird.

    Um die unschöne Erfahrung gleich ganz zu vermeiden, rät Dobler zu einfachen Schutzmaßnahmen: „Lange, helle Kleidung, auf der man die Tiere erkennen kann und sich nach jedem Spaziergang durch den Wald oder Park gründlich absuchen.“