Berlin. Viele Radfahrer klagen über Sitzprobleme. Die Hersteller haben mit vielfältigen Produkten reagiert. Doch nicht alle sind sinnvoll.

Der Blick in das Sattel-Sortiment eines Fahrradhändlers macht es deutlich: Es gibt nur wenige Themen, die eine solche Vielzahl von Technologien und Produkten hervorbringen wie das Sitzen auf dem Rad. Schmale Sättel oder breite, mit Aussparung, Löchern, Polsterung, Kissen oder Federn. Es gibt eigentlich nichts, was es nicht gibt – und dabei auch viel Unnützes. Antworten auf die wichtigsten Fragen.

Warum ist das Sitzen beim Fahren so oft ein Problem?

Mindestens 80 Prozent der Radfahrer klagen laut einer Umfrage der Deutschen Sporthochschule in Köln regelmäßig über Sitzprobleme. Und das ist auch normal. Denn beim Radfahren hat der menschliche Körper nur an drei Punkten Kontakt mit dem Fahrzeug: Lenker, Pedale, Sattel. Der Sattel bietet dabei eine sehr kleine Fläche, die je nach Sitzposition zwischen 30 und 90 Prozent des Körpergewichts tragen muss. „Das ist eine anatomische Beanspruchung, an die man sich erst gewöhnen muss“, sagt David Koßmann vom Pressedienst Fahrrad (pd-f).

„Ein Sattel ist einfach etwas anderes als ein Sessel“, stellt Ingo Froböse, Professor für Prävention und Rehabilitation im Sport in einem Interview mit dem Branchendienst klar. Der Sattel müsse dem Fahrer Bewegungsfreiheit lassen, die Haltung stabilisieren und Kontrolle über das Rad vermitteln. Insgesamt aber sei der Körper auf das Sitzen auf kleiner Fläche recht gut vorbereitet. „Die beiden Sitzbeinhöcker können diese Arbeit bestens verrichten“, so Froböse: Sitzbeinhöcker nennt man die Knochenpartien an der Unterseite des Beckens, die beim Sitzen den Großteil der Stützarbeit verrichten.

Welche Beschwerden können auftreten?

Die meisten Beschwerden werden durch Druck und einen langen Belastungszeitraum ausgelöst: Hautreaktionen, Wundscheuern, Schwellungen. „Bereits nach einer halben Stunde auf dem Sattel kann die Durchblutung im Genitalbereich um bis zu 70 Prozent abnehmen“, teilt der Allgemeine Deutsche Fahrradclub (ADFC) mit. Es gebe sogar Sättel, die während der Fahrt nur 18 Prozent des normalen Blutflusses zuließen.

In der Regel sei die Unterversorgung aber nicht dramatisch, so der ADFC. „Erst wer kontinuierlich mehr als 300 bis 400 Kilometer pro Woche im Sattel sitzt und dies über mehr als fünf Jahre, dem könnte ein Langzeiteffekt drohen, die sogenannte Kollagenose.“ Bei der Kollagenose werde das Penisgewebe durch Sauerstoffmangel fettreicher und könne deshalb weniger Blut aufnehmen, was die Potenz beeinträchtigen könne.

Wie kann die Sitzposition die Wahl des Sattels beeinflussen?

„Je sportlicher die Sitzposition, desto stärker ist der Körper des Fahrers nach vorn geneigt. Und desto schmaler ist in der Regel der Sattel“, erklärt David Koßmann. Wer wiederum sehr aufrecht sitze, verlagere fast das gesamte Körpergewicht auf den Sattel, entsprechend sollte dieser dann breiter sein.

Was sollten Radfahrer bei der Montage des Sattels beachten?

„Der beste Sattel nutzt ohne richtige Montage gar nichts“, meint Froböse. Er müsse den richtigen Abstand zur Tretkurbel und zum Lenker haben und sollte grundsätzlich waagerecht ausgerichtet sein. Koßmann sagt: „Darin haben die Mitarbeiter im Fachhandel tägliche Übung.“ Und er fügt hinzu: „Auch wenn das Fahrrad nicht passt, hilft der beste Sattel nichts.“

Wie wichtig ist eigentlich das Material ?

„Zunächst muss man hier mal mit einem Mythos aufräumen“, sagt Koßmann. Weich sei nicht mit bequem gleichzusetzen. Wer etwa seinen Sattel mit einem Gel- oder Fellüberzug ausstatte, erreiche meist das Gegenteil dessen, was er beabsichtige. Je mehr Material, desto mehr gebe es großflächige Reizungen der Haut oder Druckpunkte durch das aus der Sitzzone verdrängte Material.

„Der Urvater aller Sättel ist aus Kernleder“, sagt Koßmann. Vor allem Radreisende und Vielfahrer schwörten auf das Material, weil es sich nach dem Einsitzen an die Anatomie des Fahrers anpassen könne. „Schwierig ist nur, dass ein Ledersattel mehr Aufmerksamkeit und Pflege braucht.“

Wie sollten Radfahrer bei der Sattel-Suche vorgehen?

„Der Fachhandel hat verschiedene Werkzeuge, um bei der Suche nach dem richtigen Sattel zu helfen“, sagt Koßmann. So könne man sich mithilfe eines Gelkissens den individuellen Sitzhöckerabstand messen lassen. Kombiniert mit verschiedenen Sitzpositionen ließen sich entsprechende Vorschläge ableiten. „Jeder Hintern ist anders. Gut ist, was sich gut anfühlt. Deshalb sollte man Sättel vor allem ausprobieren“, so Froböse im pd-f-Interview.

„Handel und Hersteller wissen natürlich um die Probleme“, sagt David Koßmann. Und deshalb böten sie in der Regel Leihsättel an, die man sich auch mal zwei Wochen ausleihen könne. Koßmann und Froböse raten davon ab, zu sehr aufs Marketing und optische Aspekte zu achten. Froböse: „Die Gestaltung von Sätteln hat häufig wenig damit zu tun, was der Mensch braucht.“ Gefälliges Design stehe dann über Funktionalität.