San Jose. „Pura Vida“ lautet das Lebensmotto. Und an kaum einem anderen Fleck ist das Leben purer als im Nationalpark auf der Peninsula de Osa.

Der Tapir liegt einfach so da. Auf seinem runden Bauch. Vorderhufe nach vorn gestreckt. Den Rüssel abgelegt. Ganz gemütlich. Ein paar Meter entfernt von ihm: das gefühlte Welt­ende. Dort, wo die Steilküste fast senkrecht in den tosenden Pazifik fällt. Auf der anderen Seite sind es drei Meter bis zum Dschungelpfad Camino de Paraiso, von dem sich – gar nicht paradiesisch – fünf Reisende stolpernd und mit ihren Kameras klickend anpirschen. Bis auf wenige Zentimeter.

Und was macht dieses 300-Kilo-Urtier des Regenwaldes, das einem hochbeinigen Schwein ähnelt, aber mit Pferd und Nashorn verwandt ist? Es beobachtet das Szenario aus dem Augenwinkel, hebt den Rüssel und gähnt. Seine Maulwinkel sehen aus, als würde es lächeln.

Das täuscht wahrscheinlich nicht mal. „Tapire sind sehr entspannt, freundlich und posieren gern für Fotos. Es sind ‚Pura Vida‘-Tiere“, sagt der ­Guide Milton Muñoz (32). „Pura Vida“ lautet das Lebensmotto der Costa Ricaner, Ticos, wie sie sich selbst nennen. Und an kaum einem anderen Fleck der Erde ist das Leben purer als im Nationalpark Corcovado an der Westküste Costa ­Ricas, auf der Peninsula de Osa, der Halbinsel der Bärin.

2016 waren die Costa Ricaner die glücklichsten Menschen der Welt

Die Costa Ricaner waren 2016 im Happy Planet Index wieder die glücklichsten Menschen der Welt. Wie schon 2009 und 2012. Dieses Ranking der New Economic Foundation misst, „wo auf der Welt Menschen ökologische Ressourcen am effektivsten nutzen, um ein glückliches Leben zu leben“. Deutschland erreichte nur Platz 49.

Eine Costa-Rica-Rundreise ohne Auswanderungsgedanken ist möglich, aber unwahrscheinlich. Dieses clevere kleine Land deckt 99 Prozent seines Strombedarfs aus regenerativen Quellen. Die „Schweiz Zentralamerikas“ schaffte bereits 1949 seine Armee ab und inves­tierte stattdessen in Bildung und das Gesundheitssystem.

Als die Rodung des Regenwaldes in Lateinamerika bedrohlich voranschritt, erklärte Costa Rica im Eilverfahren mehr als ein Viertel des Landes zu Nationalparks. 26 sind es heute. Einer davon ist Corcovado.

Aus dem Tierreich abgeguckt: Eine Kette zur Flussüberquerung

„Wer im tropischen Regenwald nicht nass wird, erlebt nur das halbe Abenteuer“, sagt Milton Muñoz trocken, als es zu regnen anfängt. Die geliehenen, mollig-feuchten Gummistiefel „quaken“ irgendwann, als hüpfte neben einem einer der hier verbreiteten Pfeilgiftfrösche herum, die man Blue Jeans Frog nennt, weil sie am knallroten Körper dunkelblaue Schenkel wie Jeans haben.

Ponchos über Rucksäcken oder Kameras ergeben nur bedingt Sinn, alle Kleidungsstücke kleben längst als zweite Haut an den Tour-Teilnehmern und werden bis zur Rückreise in die Hauptstadt San José klamm bleiben. Wäsche aufhängen bei 80 Prozent Luftfeuchtigkeit? Sinnlos. Aber die Luft ist warm, und das ­krasse Hellgrün der Blätter und Lianen entschädigt für alles; dazu Calla-Blüten und als Soundtrack das Rauschen des Pazifik.

Für die nicht ganz so Sportlichen in der Gruppe wird bei einer Flussdurchquerung eine Menschenkette gebildet. Wenig später baut in den Baumwipfeln eine Klammeraffen-Mutter eine „Monkey Bridge“, sie hängt sich mit ausgebreiteten, langen Armen wie eine Brücke zwischen zwei weit entfernte Äste, damit sich ihr Baby an ihr entlanghangeln kann.

Coaties, Nasenbären, reißen mit frechem Blick Bananen von den Stauden und schmatzen daran herum. Aras fliegen vorbei und Pelikane. Tukane mit ihren Signalfarben sitzen wie künstlich angemalt in den Baumwipfeln. „Für Vogelkundler ist Corcovado ein Paradies“, sagt Milton Muñoz und führt die Gruppe vorbei an Bäumen, deren riesige Wurzeln oberirdisch wie Wände wachsen. „Die Damen-Toiletten des Waldes“, sagt er und grinst.

Auf Raubtier-Wanderungen kann man auch Pumas und sehen

Nur der Puma zeigt sich heute nicht, dafür muss man aber auch extremes Glück haben. Der Guide zeigt auf einen Baum, an dem er ihn vor drei Wochen gesehen hat, und scrollt auf seinem Smartphone zur Foto-Galerie. „Ihr hellbrauner Körper hat eine gute Tarnfarbe, weil sie am liebsten neben Baumwurzeln liegen. Sie sind dann kaum zu erkennen.“ Was tun bei der Begegnung mit einem Puma? „Beweg dich nicht schnell.

Wenn du nervös wirst, wird er es auch.“ Leicht gesagt. Raubtier-Wanderungen bietet auch Jürgen W. Stein an – in seiner Selva Bananita Lodge, einem Vorzeigeprojekt des Nachhaltigkeitstourismus an der Karibik-Seite Costa Ricas, 18 Kilometer südlich vom Hafenort Limón im Landesinneren.

„Wildkatzen zeigen, wie balanciert der Wald ist“, sagt Jürgen an einem Vortragsabend bei Kerzenschein, als er mit einem solarbetriebenen ­Laptop Fotos seiner Nachtbildkameras präsentiert.

Engagement für Bio-Landwirtschaft und die Wiederaufforstung des Regenwaldes

Zwei Kölner knipsten bei ihrer nächtlichen Wandertour ein junges Ozelot-Weibchen; Jürgen zeigt auch Nachtbilder von „Fleckchen“, einem Jaguar, der vor fünf Jahren gesichtet wurde und direkt in die Linse schaute. Fleckchen wurde von einem Wilderer erschossen. Jürgen, den Einheimische Jürgen „Selva“ nennen (Jürgen „Urwald“), kriegt feuchte Augen.

Jürgen ist stattlich gebaut, hat ein lautes Lachen, ein großes Herz und einen Bürstenhaarschnitt. Sein Großvater Rudolf war 1926 von der Ostsee nach Kolumbien ausgewandert. 1974 siedelte Sohn Rudi, Jürgens Vater, mit seiner Frau nach Costa Rica um.

Rudi Stein kaufte ein 1400 Hektar großes Regenwaldreservat, um intensive Viehzucht zu betreiben, Tropenhölzer zu exportieren und Ölpalmen anzubauen. Jürgen und seine Schwester Sofia verschrieben sich trotz der Skepsis des Vaters der Bio-Landwirtschaft und der Wiederaufforstung des Regenwaldes. Seit 1995 führt er die Eco-Lodge, sie die Límon Wasserschutzstiftung der Familie. Inzwischen sind es 15 Holzbungalows.

Wer die Terrassen-Flügeltüren öffnet, wird ihn nie vergessen, den Blick über zwei Hängematten hinweg auf das Dschungel-Tal und die Anhöhen des Weltkulturerbes La Amistad.

Die Stadt Puerto Viejo ist geprägt von jamaikanischen Einwanderern

Handy-Empfang ist hier im Off selten. Was wie ständiges SMS-Gepiepe klingt, sind die Zwergeulen. Abends beim Essen im Kerzenschein leuchtet es plötzlich hell neben Jürgens Bürstenschnitt. Ein Glühwürmchen. Morgens brummt ein Kolibri durch das zu allen Seiten offene Gemeinschaftshaus auf Holzpfählen, während Iris das Frühstück serviert. Sie arbeitete früher für die PR der Formel 1, vor vier Jahren wanderte sie aus und wurde zur digitalen Nomadin ohne festen Wohnsitz.

Zu Jürgen hin und von Jürgen weg kommt man nur mit einem SUV, der durch Flüsse fährt. Allrad-Antrieb ist hier lebenswichtig! Auf dem Weg zum nächstgelegenen Badeort in der Karibik, Puerto Viejo, liegt das Sloath Sanctuary, ein Tierheim nur für Faultiere. Puerto Viejo ist ein von jamaikanischen Einwanderern geprägtes Klein-Kingston. Surf-Schulen hier, Yoga-Zentren da und Bob Marley überall. Eine Stadt aus bunten Hölzern. Ein Strandabschnitt ist schwarz. Vulkanasche. Drei Vulkane sind zurzeit in Costa Rica aktiv. In Puerto Viejo treffen sich alle: klassische US-Backpacker, Honeymooner und das zahlungskräftige europäische Publikum, das das Instituto Costariccense de Turismo (ICT) verstärkt ansprechen möchte.

Auf der Osa-Halbinsel auf der Pazifikseite steht die Luxus-Eco-Lodge Lapa Rios mit einer „National Geographic“-Aussichtsplattform über Urwald und Bucht. Gerade klettert ein Leguan mit zackiger Halskrause in Tarnfarben einen Trompetenbaum am Infinity-Pool hoch. Die High-End-Cabinas sind nicht mit echten Palmenblättern gedeckt, sondern mit täuschend ähnlichem, recyceltem Plastik aus Kanada. Eigentümer ist ein geschiedenes US-Ehepaar, Manager ein Deutscher.

Goldsucher nehmen keine Rücksicht auf die Umwelt

In costa-ricanischem Besitz und preiswerter ist auf der Osa-Peninsula die ebenfalls atemberaubende Leona Lodge am Nationalpark Corcovado. Dort, wo Milton Muñoz als Guide arbeitet. Der Eigentümer, Walter Molares, warf einst als Pilot Pestizide über Bananen-Plantagen ab. Von oben verliebte er sich in diese Gegend. Der Verdienst aus seiner Arbeit ermöglichte ihm den Kauf der Ländereien.

Hierhin gelangt man nur mit einem 30-Minuten-Fußmarsch. Das Gepäck transportiert ein Cowboy mit einem Pferdewagen in der Dunkelheit durch die Pazifikwellen am Strand entlang. Die Zelthäuser mit echten Betten und kleinen Schränkchen mit Kerzen und Streichhölzern stehen direkt an der Steilküste zum Pazifik. Zum Einschlafen gibt es Meerestoben live und die Schreie des Urwalds. Die Duschen sind unter freiem Himmel. Strom gibt es nur im Bar-Bereich. Bis 21 Uhr.

Milton Muñoz bedauert, dass sich die Einheimischen zwar den Parkeintritt leisten können – drei Dollar anstatt 15 Dollar –, aber für Unterkunft und Verpflegung müssen sie, wie die Touristen, im Schnitt 120 Dollar zahlen. „Das ist für uns viel zu teuer.“ Er erzählt auch von Wilderern, die zu Parkwächtern umgeschult werden sollen.

Und vom Drogenschmuggel im Nationalpark. Erst im vergangenen Dezember hat die Polizei ein Versteck mit 1000 Kilo Kokain entdeckt. Und dann gibt es da noch das Problem mit den Goldsuchern am Rio Madrigal. Muñoz hat selbst Freunde, die „Gold Digger“ sind. Sie lassen ihren Müll am Fluss zurück und sie bauen sich „Champas“, kleine Unterstände aus Plastiktüten und Ästen, die die Park-Ranger wiederum niederbrennen. Ohne Rücksicht auf die Umwelt.

Lieber spricht Muñoz über die Tiere. Der Tapir vom Beginn des Artikels ist ein Männchen. Das verraten seine Spuren am Strand – zwei Hufe, dazwischen eine Schleifspur. „Tapire haben einen der größten Penisse im Tierreich“, sagt Muñoz. Er kann viel erzählen, googeln funktioniert nicht. Auf dem Bartresen der Leona Lodge steht ein Schild mit den Worten: „No WiFi – Pura Vida.“

Tipps & Informationen

Anreise von Hamburg z. B. mit Air France über Paris oder mit Lufthansa über Frankfurt nach San José.

Übernachtung Ein sehr empfehlenswertes Luxus-Boutique-Hotel in
San José ist das Grano de Oro,
www.hotelgranodeoro. com;
Selva Bananito Lodge von Jürgen W. Stein: www.selvabananito.com/home.

Auskunft Die offizielle Seite des staatlichen costa-ricanischen Tourismusinstituts: www.visitcostarica.com.

(Die Reise erfolgte mit Unterstützung durch das Costa Rica Tourism Board und die Schweizer Airline Edelweiss.)