Berlin. Die Krätze ist für viele eine Krankheit aus anderen Zeiten. Doch sie war in Deutschland nie verschwunden. Nun häufen sich die Fälle.

In der Nacht geht es los. In der wohligen Wärme des Bettes beginnt das große Krabbeln. Winzige Spinnentiere graben ihre Gänge in die obere Schicht der menschlichen Haut, legen Kot und Eier hinein – und der Schlafende beginnt sich zu kratzen. Daher der Name dieser Krankheit, die für viele Menschen aus einer anderen Zeit zu stammen scheint: die Krätze.

Doch Dermatologen wissen, Skabies – wie die Krätze medizinisch heißt – war nie ganz verschwunden. Seit einigen Jahren taucht die Hauterkrankung wieder gehäuft auf. 2017 haben Ärzte deutlich mehr Medikamente gegen die Hautkrankheit verschrieben als im Vorjahr. Das ist das Ergebnis einer Untersuchung der Krankenkasse Barmer. Bundesweit stiegen die Verordnungen im Schnitt um 60 Prozent, von rund 38 .00 auf rund 61.300 Verordnungen.

Brennende Haut und starker Juckreiz

Betroffen sind alle Teile Deutschlands, allerdings gibt es regionale Unterschiede. In Berlin legte die Zahl der Rezepte laut Barmer um 35 Prozent zu – in Schleswig-Holstein sogar um 127 Prozent. Ähnlich hoch sind die Zahlen auch in Bremen (Zunahme um 98 Prozent) und Rheinland-Pfalz (89 Prozent).

Brennende Haut, starker Juckreiz, gerötete Bläschen und Quaddeln – Schuld an diesen lästigen Symptomen ist das Weibchen der bis zu einem halben Millimeter großen Krätzmilbe (Sarcoptes scabiei). Besonders gerne sitzen sie zwischen den Fingern und Zehen, in der Pofalre und rund um die Brustwarze. Auch die Achseln und der Genitalbereich sind oft betroffen.

Übertragung durch Körperkontakt

Die Weibchen graben Gänge, die sich als feine Linien unter der Haut zeigen – das Tunnelsystem der Spinnentiere. Übertragen wird die Erkrankung durch Körperkontakt. Der muss allerdings über mindestens fünf Minuten bestehen, denn die Krätzmilbe bewegt sich gemächlich. Gerade einmal 2,5 Zentimeter in der Minute kommt sie voran. Daher ist etwa Geschlechtsverkehr ein relevanter Übertragungsweg, weswegen die Krätze auch zu den sexuell übertragbaren Krankheiten gezählt wird.

Hören Menschen von der Krätze, denken sie an unhygienische Verhältnisse. Vielleicht an dunkle Gassen des vorigen Jahrhunderts, zwielichtige Gestalten und verlauste Straßenjungs. Vor allem in der Zeit der Industrialisierung im 19. Jahrhundert war die Krätze in den Arbeitervierteln verbreitet. An Orten also, wo viele Menschen auf engem Raum unter unhygienischen Bedingungen zusammenlebten. Hans-Georg Hofer, der an der Universität Münster Geschichte und Theorie der Medizin lehrt, sagt: „Die hygienische Revolution des 19. und 20. Jahrhunderts war dann die wichtigste Voraussetzung für den Rückgang der Krätze.“

Derzeit vor allem in Kindergärten und Altenheimen

Und heute? Wir waschen unsere Wäsche bei hohen Temperaturen, regelmäßig und in Maschinen, duschen – viele jeden Tag – und leben nicht mehr Mensch an Mensch in kleinen Zimmern. Tritt die Krätze doch wieder vermehrt auf, passiert das vor allem in Einrichtungen wie Kindergärten, Krankenhäusern oder Altenheimen.

Denn dort herrschen noch immer gute Voraussetzungen für die Krätzmilbe: Viele Menschen auf engem Raum, Kinder, die ausgiebig miteinander spielen und alte Menschen mit geschwächtem Immunsystem.

Dermatologen sagen, eine der Ursachen für die Verbreitung der Krätze sei auch eine geschwächte Immunabwehr. Hätten Gesunde etwa zehn bis zwölf Milben auf dem Körper, seien es bei Immungeschwächten über eine Million.

Kleidung und Bettwäsche bei mindestens 60 Grad waschen

Die Behandlung der Krätze ist denkbar einfach. Sie erfolgt in der Regel mit Permethrin-Creme. Der Betroffene cremt sich ein, lässt das Mittel über Nacht einwirken und duscht am nächsten Morgen. Fertig. Mediziner raten zudem: alle betroffenen Familienmitglieder sollten behandelt werden.

Und die häusliche Sanierung sei unerlässlich. Kleidung und Bettwäsche sollten bei mindestens 60 Grad gewaschen werden. Textilien, die nicht gewaschen werden können, kommen für drei bis vier Tage in einen verschlossenen Plastiksack. Für die Krätzmilbe ist der Kontakt mit der menschlichen Haut lebenswichtig. Ohne ihn stirbt sie in der Regel nach drei bis fünf Tagen.

Schon in der Antike wird die Krankheit beschrieben

Dass die Krätzmilbe Schuld am unerträglichen Juckreiz hat, weiß man erst seit Mitte des 19. Jahrhunderts. Seit sich der Wiener Dermatologe Ferdinand Hebra einem Selbstversuch unterzog. Unter dem Mikroskop beobachtete er, wie sich die Krätzmilbe durch seine Haut pflügte.

Behandelt wurde mit Schwefel oder Teer, gemischt mit Rosenöl. Auch wenn man von der krankheitsauslösenden Milbe zu dieser Zeit noch nichts wusste – die Behandlung mit Teer dürfte sie kaum überlebt haben.