Berlin. Brustkrebs duch Hormone – das blieb in vielen Köpfen, obwohl sich die Annahme nicht bestätigte. Viele Frauen verzichten aber trotzdem.

Im Spätsommer 2017 drehten US-Wissenschaftler die Geschichte der Medizin ein Stück zurück: Die Sterblichkeit von Frauen in den Wechseljahren sei durch die Einnahme von Hormonen nicht erhöht, schrieb ein Team um JoAnn Manson vom Brigham and Women’s Hospital der Harvard Medical School in Boston im Fachblatt „Jama“. Frühere Daten seien womöglich falsch interpretiert und unzulässig verallgemeinert worden, hieß es weiter.

Früher meint 2002. In dem Jahr kam eine Studie der Women Health Initiative (WHI) zu dem Schluss, dass eine Hormontherapie bei den Frauen das Risiko erhöhe, an Brustkrebs zu erkranken, einen Schlaganfall oder Herzinfarkt zu erleiden. Von jetzt auf gleich war die Therapie von Millionen Frauen weltweit höchst umstritten. Ärzte waren verunsichert, die Frauen umso mehr. In der Folge ging die Verordnung von Hormonpräparaten um bis zu 80 Prozent zurück. „Die neue Studie nimmt der Therapie endlich den Makel, den sie lange Zeit hatte“, sagt Cornelia Jaursch-Hancke von der Deutschen Gesellschaft für Endokrinologie (DGE).

„Vielen Frauen wird eine Behandlung vorenthalten“

Brustkrebs, Schlaganfall, Herzinfarkt – diese über Jahre verinnerlichten Schreckgespenster verschwinden nicht einfach aus den Köpfen von Behandlern und Behandelten. Dabei spielt es keine Rolle, dass die WHI-Studie von 2002 methodische Schwächen aufweist. Auch nicht, dass sich die Autoren vor zwei Jahren öffentlich entschuldigten. „Die Studie hat damals alles verändert“, sagt Jaursch-Hancke, die als Endokrinologin an der DKD Helios Klinik in Wiesbaden arbeitet. Die Presse habe das Thema aufgegriffen, und ab da habe es kein Zurück mehr gegeben. „Die Folge ist, dass vielen Frauen bis heute eine wirksame Behandlung vorenthalten wird.“

Laut Jaursch-Hancke würden nicht einmal sieben Prozent der Frauen in den Wechseljahren eine Hormontherapie erhalten – obwohl ein Drittel unter starken Beschwerden leidet. Ärzte und Frauen seien zu ängstlich. Oder es fehle schlicht die Zeit, sich mit der Therapie auseinanderzusetzen.

Die Hormontherapie soll die sinkenden Progesteron- und Östrogenproduktion ausgleichen, die mit den Wechseljahren einhergeht. Diese Jahre beschreiben den Übergang von der fruchtbaren in die unfruchtbare Phase einer Frau und dauern in der Regel etwa zehn Jahre. Es ist die Zeit um die letzte Monatsblutung herum. Viele Frauen überkommt in dieser Zeit immer wieder plötzliche Hitze, sie schlafen schlecht, haben schmerzende Gelenke, empfinden sexuelle Unlust, sind reizbar oder gar depressiv. „Die Beschwerden lassen sich durch eine maßgeschneiderte Hormontherapie sehr gut behandeln“, sagt Jaursch-Hancke.

Gabe von Hormonen wirkt günstig auf Herz-Kreislauf-System

Mehr noch: Laut der neuen WHI-Studie wirke sich eine frühzeitige Gabe von Hormonen günstig auf das Herz-Kreislauf-System aus, und „es gibt keinen Zweifel, dass eine Hormontherapie in der Menopause höchst effektiv die Entwicklung einer Osteoporose verhindert“, sagt Jaursch-Hancke. Gerade bei jungen menopausalen Frauen, deren letzte Monatsblutung also ungefähr zehn Jahre zurückliegt und die unter Beschwerden leiden, würden die Vorteile einer Hormontherapie die Nachteile deutlich überwiegen.

Cornelia Jaursch-Hancke gehört zu den Ärzten, die Hormone verschreiben, wenn es den Frauen schlecht geht. Es gibt aber auch die anderen Ärzte, die infrage stellen, ob die Veränderungen im Hormonhaushalt generell behandlungsbedürftig sind oder ob sie nicht einfach dem Lauf der Natur entsprechen. „Man kann diese Zeit auch als normalen physiologischen Prozess sehen“, sagt etwa Kerstin Weidner von der Universitätsklinik Dresden.

Eine Studie aus dem vergangenen Jahr unter ihrer Leitung kam zu dem Ergebnis, dass die meisten vermeintlichen Wechseljahrsbeschwerden vielleicht in Wahrheit gar keine sind – sondern schlicht Erscheinungen des Alters.

Beschwerden bei Menopause könnten mit dem Alter zusammenhängen

Die Forscher nutzten für ihre Untersuchung die Menopause Rating Scale (MRS) – einen Fragebogen, mit dem Ärzte das klimakterische Syndrom diagnostizieren. Beschwerden wie Hitzewallungen, Schlafstörungen, Reizbar- und Ängstlichkeit sowie depressive Verstimmungen werden abgefragt. Die Dresdner Wissenschaftler befragten nun anhand der MRS Frauen und auch Männer zwischen 14 und 94. Sie stellten wenig Überraschendes fest: Körperliche Beschwerden nehmen mit steigendem Alter zu, bei Frau wie Mann. Lediglich die Schweißausbrüche und Hitzewallungen stellten sich als typisch für die Wechseljahre heraus.

„Bislang hatte man zur Untersuchung der Beschwerden nur Frauen in einem Alter befragt, in denen das Klimakterium üblicherweise auftritt“, erklärt Weidner. Dass die Befragten, die meist um die 50 sind, Beschwerden haben, sei nicht verwunderlich. „Außerdem haben wir herausgefunden, dass die Häufigkeit seelischer Beschwerden wie depressive Verstimmungen oder Ängste keinen Bezug zum Klimakterium hat“, sagt Weidner, die am Uniklinikum Dresden die Klinik für Psychotherapie und Psychosomatik leitet. Sie betont, dass es sich bei der Studie um eine repräsentative Querschnittsbefragung handelt. „Den Hormonstatus haben wir nicht untersucht.“

Hormone sollten nicht grundlos verordnet werden

Trotzdem ließen sich daraus Schlüsse ziehen, sagt Weidner. Es sei wichtig, Fragen zu stellen, bevor Hormone verschrieben werden. Etwa: Hatte die Frau die Beschwerden bereits, bevor sie in die Wechseljahre kam? Oder: Rühren die Schlafprobleme von Belastungs- und Stressfaktoren, die völlig unabhängig von der Menopause sind, oder von den Hitzewallungen her? Das Echo in der Wissenschaftswelt auf die Studie sei geteilt gewesen, sagt Weidner. „Viele Frauenärzte waren begeistert, besonders jene, die einen psychosomatischen Ansatz verfolgen.“ Es habe jedoch auch böse E-Mails von generellen Hormonbefürwortern gegeben. „Sie schrieben, man würde die Frauen unnötig quälen, wenn man ihnen die Hormone vorenthalte.“ Weidner geht es um eine weniger verallgemeinernde Sicht.

Dieser Meinung ist auch Cornelia Jaursch-Hancke. „Wenn eine Frau keine Beschwerden hat, sollte sie auch keine Hormone nehmen – auch nicht prophylaktisch“, sagt sie. Dann solle sie Yoga machen, sich viel bewegen. Es gelte nach wie vor: Frauen, die unter starken Beschwerden leiden, können Hormone zur Linderung einnehmen – „aber in möglichst geringer Dosierung und für einen möglichst kurzen Zeitraum“.

INFO: Die Studie, die Frauen beeinflusste

In der Women Health Initiative (WHI) Studie aus 2002 wurden 27.000 Frauen mit Hormonen behandelt. Vermutet wurde in der Folge ein erhöhtes Risiko für die Probandinnen an Brustkrebs zu erkranken oder einen Schlaganfall zu erleiden. Die beteiligten Forscher überprüften die Daten aus der alten Studie im vergangenen Jahr erneut und stellten fest: 27,1 Prozent der mit Hormonen behandelten Frauen waren verstorben. Bei den Frauen in der Kontrollgruppe waren es jedoch 27,6 Prozent. Die Deutung aus dem Jahr 2002 war also falsch.

Kritiker stellten vor Jahren fest: Das Alter der Probandinnen war mit 63 Jahren sehr hoch, viele hatten Diabetes, eine Herz-Kreislauf-Erkrankung oder waren übergewichtig. Verwendet wurde ein Präparat mit hoher Dosierung, das in Europa kaum eingesetzt wird.