Tokio. Schluss mit der Theorie: Für einen kurzen Zukunftseindruck entlässt Daimler den Smart Vision EQ ein paar Meter in Tokios Stadtverkehr.

Riiisikooo ... Erinnern Sie sich noch an den „Großen Preis“ und die drei Kandidaten in ihren riesigen Glaskugeln? Ein bisschen so habe ich mich gefühlt, als ich mitten in der Nacht in Tokio zum ersten Mal im Smart Vision EQ Platz nehmen durfte und sich langsam die elektrische Drehtür schloss. Auf einer Messe wundern wir uns nicht mehr über futuristische Studien. Selbst wenn jetzt sogar Daimler ein Robotaxi auf die Räder stellt, das bald elektrisch und autonom durch die Stadt flitzen soll und aussieht wie ein Mix aus Litfaßsäule, Waschmaschine und HD-Fernseher.

Doch auch wenn die nächtlichen Straßen des Tokioter Stadtteils Akihabara mit denen von Berlin nicht zu vergleichen sind, weil die Uhren hier am Hotspot der Manga-Kultur und Spieleindustrie ein bisschen vorgehen, fühlt es sich in der echten Welt noch mal ganz anders an, wenn man erstmalig in einem Auto ohne Lenkrad und Pedale sitzt. Kein Wunder, dass ich fast so nervös bin wie Wim Thoelkes „Großer Preis“-Kandidaten, wenn sich vor der letzten Runde die Kugeln schließen und es im Studio dunkel wird.

Bei mir dagegen ist es taghell, obwohl wir tiefe Nacht haben. Draußen, weil Millionen Neonröhren die Dunkelheit in eine bunte Disco verwandeln. Und drinnen, weil der Smart blütenweiß ausgeschlagen ist, blaues Ambientelicht aus den Konsolen schimmert und dort, wo früher das Cockpit war, ein Musikvideo über den riesigen Monitor flimmert. Und falls sich auf die weißen Oberflächen mal ein Fleck verirrt, kein Problem – schließlich steckt am Rand der Sitzbank ein Desinfektionsspray.

In weniger als zehn Jahren soll der Smart autonom durch die Stadt fahren

Aber für solche Details hat man bei der Jungfernfahrt in der Stuttgarter Zeitmaschine erst einmal keinen Blick. Denn kaum ist die Tür zu und der Beckengurt eingeschnappt, beginnt sich der Smart ohne mein Zutun zu bewegen, und ich fühle mich so hilflos wie in einer Geisterbahn – nur dass es hier in Akihabara hoffentlich nicht so viele Gespenster gibt. Der Plastikteddy, den die Designer offenbar zur Beruhigung in den Fußraum gelegt haben, ist jedenfalls nicht zum Fürchten. Im Gegenteil, man ist versucht, ihn aus der magnetischen Halteschlaufe zu nehmen und ein bisschen mit ihm zu kuscheln, schließlich hat man ja jetzt plötzlich die Hände frei.

Dafür gibt es genau wie auf der Geisterbahn jemanden, der das Ganze steuert. Später, die Entwickler hoffen, in weniger als zehn Jahren, soll sich der Smart tatsächlich autonom durch den Stadtverkehr bewegen, seinen Weg zwischen anderen Autos, Bordsteinen und Busspuren, Mautstationen und induk­tiven Ladeplatten für die Lithium-Ionen-Zellen mit Radarscannern, Laseraugen und Car-to-Car-Kommunikation allein suchen. Doch weil die Sensoren dafür erst erprobt werden und noch so groß sind, dass sie eine V-Klasse füllen, ist die Jungfernfahrt durch Akihabara nur eine Simulation wie bei den Computerspielen, denen man hier verfällt.

Immerhin ist der Elektroantrieb echt – aber der kommt mit 60-kWh-Akkus für 155 Kilometer Reichweite und den 60 kW oder 82 PS an der Hinterachse für 130 km/h Spitze ja auch eins zu eins aus dem Smart ED, den man schon heute kaufen kann. Und zwar in der zweiten Generation.

Die gewünschte Route einfach übers Smartphone eingeben

Von Geisterhand, mit schlauen Sensoren oder dank der freundlichen Hilfe eines umsichtigen Entwicklers – eigentlich will ich gar nicht wissen, wer hier Regie führt und wie sich der Smart bewegt. Denn erstens wissen wir spätestens seit „Lost in Translation“, dass die Grenzen zwischen dem Hier und dem Heute in einer Nacht in Akihabara schon mal verschwimmen können. Und zweitens finde ich langsam Gefallen an der Zeitreise in der Knutschkugel: Während die anderen um mich herum nervös nach dem Verkehr schauen und sich millimeterweise durch die Nacht kämpfen, kann ich während der Fahrt die Augen schließen, durchs Internet surfen oder auf dem Gehweg nach Scarlett Johansson suchen wie seinerzeit Bill Murray. Und statt mich mit Händen und Füßen mit einem japanischen Taxifahrer zu verständigen, gebe ich meine Route einfach übers Smartphone ein, lasse mich vom Car2Go der Zukunft am Bordstein aufsammeln und am Ziel wieder absetzen, bevor die App gleich automatisch die Zahlung abwickelt.

Weil der Smart Vision EQ im Geist der neuen Mercedes-Politik „Case“ ­geboren ist, fährt die Zeitkapsel nicht nur connected, autonom und elektrisch, sondern sie ist auch shared. Und zwar viel geteilter, als wir das heute von Car2Go kennen. Denn in der Vision der Daimler-Vordenker nutzt der Groß­städter von morgen den Robosmart nicht nach-, sondern miteinander. Deshalb bleibe ich nicht lange allein, sondern nach einigen Minuten ploppt auf dem Bildschirm das Foto von Yui auf, die in einem Manga-Kostüm durch die Nacht turnt und ein Stück des Weges mit mir fahren möchte. Warum ich das weiß, obwohl ich keinen Brocken Japanisch spreche und die Dame noch nie gesehen habe? Weil mich das Auto über mögliche Mitfahrer informiert, damit ich mir aussuchen kann, ob ich die Fahrt auch wirklich mit einem Mädchen wie Yui teilen will.

Ob ich dafür auch ihre Hobbys und persönlichen Vorlieben kennen muss, weiß ich allerdings nicht. Wir sind ja schließlich nicht bei einer Dating-App, sondern nur bei der Mitfahrzentrale von Morgen. Wobei: Wer weiß, was der Abend noch bringt? Es muss sich ja keiner um den Verkehr kümmern. Warum habe ich bei dem Gedanken plötzlich wieder Wim Thoelke und den großen Preis im Ohr: „Riiisikooo“.