Palma. Auf Mallorca finden Urlauber in der Nebensaison viele stille Orte – und zu sich selbst. Dabei hilft ein Aufenthalt in einem Kloster.

Wir sitzen in der Basilika des Santuari de Lluc. Es ist kurz nach 13 Uhr, und gleich werden die Blauets, der berühmte Knabenchor, den Canto de la Salve singen. Eine lange Tradition, die im Heute angekommen ist – es singen auch Mädchen mit. Der Gesang der Schüler von der renommierten Internatsschule, die dem Kloster angeschlossen ist, wird von Stille begleitet – und berührt. Mit den Melodien stellt sich auf einen Schlag eine angenehme innere Ruhe ein. Und wenn es nur für einen kurzen Moment ist. Ein großer Genuss – und das gratis!

Erst einen Tag zuvor saßen wir mit unserem Guide Adriana in einer Tapas- Bar am nach einer turbulenten Saison nun zur Ruhe gekommenen Strand von Palma de Mallorca. Vor uns Schüsseln voller Oliven, Pamboli, das hier typische ungesalzene Brot, Aioli, Schinken und Käse, kleine Kartoffeln sowie kühle Getränke. „Wisst ihr, dass die Spanier mit die höchste Lebenserwartung in Europa haben?“ fragt Adriana. Der Grund? „Wir wissen zu leben!“, sagt sie und nippt an ihrem Weinglas – es ist 14 Uhr. „Wir genießen den Moment und machen täglich Siesta. Das hält gesund!“

Mallorca abseits vom Partytrubel entdecken

Mein Blick fällt auf das nur wenige Meter entfernte funkelnde Meer, den blauen Himmel, auf entspannte Menschen, die sich von der tiefstehenden Sonne wärmen lassen – bei solchen Voraussetzungen fällt es nicht schwer, zu fühlen wie die Mallorquiner.

Mallorca ist jetzt, nachdem die Touristenmassen die Insel verlassen haben, ein geeignetes Ziel für all die, die das Land jenseits von Badeurlaub und Partytrubel entdecken und dabei auch die spanische Gelassenheit kennenlernen und für sich nutzen möchten. Ein Weg dorthin ist Yoga. Oder besser Yoga plus. Wobei das „plus“ für das mediterrane Ambiente steht, welches das Entspannen von Körper und Geist sicherlich immens erleichtert.

Immer mehr Reisende buchen einen Urlaub für die Sinne

Claudia Hubberten unterrichtet seit zehn Jahren den Trend auf der Baleareninsel. Sie lächelt, während sie auf der von Palmen umsäumten Terrasse der Finca Son Manera von ihrem eigenen Weg dorthin erzählt. Dass sie ihren erlernten Beruf dafür an den Nagel gehängt hat. Yoga ist für sie viel mehr als nur Sport. Eher ein spiritueller Weg, unabhängig von einer Religion. Und dass ein mehrtägiger Retreat die Chance bietet, zu sich zu kommen.

Die Nachfrage für diese Art von Urlaub ist groß. „Die Zahl derer, die den Weg der Achtsamkeit gehen wollen, wächst deutlich!“, sagt Claudia. 80 Prozent davon seien Frauen ­zwischen 30 und 60 Jahren. Und es ist nicht nur Yoga, was gebucht wird. Häufig auch Detox. Qi Gong. Meditation. Alles unter den Motti „Urlaub für die Sinne“ oder „Urlaub mit Sinn“.

Im Kloster lässt sich Ruhe finden

Bescheidener, aber ebenso effektiv – oder besser Sinn-voll – ist ein Aufenthalt im Santuari de Lluc, ­einem der größten Klöster der Insel. Es liegt reizvoll in einem Talkessel eingebettet im Tramuntana-Gebirge. Kein Zweifel: Hier wohnt, wer Ruhe sucht und wandern will. Es wurde erstmals im 13. Jahrhundert erwähnt. Angeblich fand ein Schafhirte namens Lluc um 1230 dort, wo das Kloster steht, eine schwarze Madonna.

An der Fundstelle wurde später eine Kapelle gebaut, die den Grundstock für den Komplex bildete. Die schwarze Madonna, Schutzpatronin der Insel, macht Lluc zum wichtigsten Wallfahrtsort Mallorcas. Aber von Pilgern ­allein kann solch ein geschichtsträchtiges Gemäuer nicht erhalten werden. ­Also haben die Brüder der Kongregation des Heiligen Herzens Jesu sich für den Tourismus geöffnet und bieten Zimmer und Apartments an, auch im Winter.

Unterkunft liegt nicht weit vom Aufstieg zu den Wander-Rundtouren

Diese sind einfach, beinah spartanisch: zwei schmale Betten, die man selbst ­beziehen muss, eine Nasszelle, ein Stuhl. Dafür blickt man morgens, wenn man die hölzernen Fensterläden ­aufklappt, auf uralte Olivenbäume und mächtige Steineichen, auf die impo­sante Klosteranlage und die schroffen Berge.

Beim Frühstück im großen Speisesaal fällt der Blick vorwiegend auf Paare und Gruppen in Wandertracht, mit groben Schuhen und Stöcken ausgestattet. Nur wenige hundert Meter vom Gästehaus entfernt beginnt der steinige Aufstieg zu den Rundtouren unterschiedlicher Länge. Ist Wandern nicht auch so was wie eine Wallfahrt? „Nein. Eher nicht“, sagt Fremdenführer Joan und lacht. Aber sicher sei Wandern für viele mittlerweile mehr als nur eine Fortbewegungsart. „Man kann durchaus hier ohne Ziel losgehen und dann als Überraschung bei sich ankommen“, sagt er. Wandern biete Zeit zum Nachdenken, für Gespräche, fürein­ander. „Das ­gewinnt für viele wieder an Wert!“

In sieben der vielen Abteien können Urlauber übernachten

Mallorca hat viele Klöster. In sieben von ihnen können Reisende übernachten, so auch im Santuari de Cura, in knapp 550 Metern Höhe auf dem sogenannten Klosterberg Puig Randa gelegen, der höchsten Erhebung Mallorcas. Wo heute das Kloster steht, zog sich Mitte des 13. Jahrhunderts der Philosoph und Theologe Ramon Llull als Einsiedler zurück und verfasste einen Großteil seiner Schriften, ­bevor er als Missionar in die Welt zog. Vom 15. bis Anfang des 19. Jahrhunderts wurde die Einsiedelei durch eine Kloster­anlage ­ersetzt, die der Heiligen Jungfrau von Cura gewidmet wurde.

Durch die Lage hoch auf dem Berg ist die Anlage ein beliebtes Ziel für Rad­fahrer. Wanderer sieht man hier selten. Die schmale Asphaltstraße ist sehr steil und bietet außerhalb der stark gewundenen Fahrbahn wenig Ausweichmöglichkeit. Wer dennoch den Aufstieg zu Fuß wagt, kommt ungefähr nach zwei Dritteln der Strecke an einem hölzernen Hinweisschild nach Sant Honorat vorbei – neben Cura und Santuario de Gràcia die dritte Abtei am Puig Randa.

Zu viele Touristen stören die Ruhe in Sant Honorat

Wie verlassen liegt sie hinter einer scharfen Kurve in der milden Sonne. Sant Honorat ist verschlossen durch ein Tor, durch das nicht jeder reingelassen wird. „Zu viele Touristen, die nur gucken wollen, würden die Ruhe stören!“, sagt Maria. Die rundliche Spanierin kümmert sich um Haus, Hof und die Gäste.

In der sogenannten Einsiedelei können nur Wander- und spirituelle Gruppen mit bis zu 22 Teilnehmern und nur mit Voranmeldung übernachten. Spontan geht hier gar nichts. „Wir sind schon auf zwei Jahre hin ausgebucht!“, sagt Maria. Kein Wunder! Die kleine Anlage zieht den Besucher sofort in ihren Bann. Die Laubengänge, die alten ockerfarbenen Mauern, die großen Agaven, der Kräuter- und Rosengarten auf der Felsenklippe, der zum Verweilen einlädt, und die Aussicht: Von jeder Ecke ­öffnet sich ein fantastischer Weitblick über die Landschaft.

Den Moment genießen

Hier herrscht eine deutlich spürbare meditative Ruhe, beruhigend und belebend zugleich. In Sant Honorat leben nur noch wenige Missionare der Heiligen Gemeinschaft, die sich für Spirituelles und verschiedene religiöse Traditionen geöffnet haben. Sie wollen gemäß der Philosophie von Ramon Llull „ihre christliche Erfahrung mit allen teilen, die kommen, um den Frieden Gottes zu suchen“.

Wir sitzen auf der Mauer und ­atmen die Spiritualität ein, die hier ­andächtig in der Luft liegt. Die Welt am Fuße des Puig Randa, die Dörfer im Tal sowie das touristische Gewühl am Meer scheinen meilenweit entfernt.

Den Moment genießen? Ja. Und manchmal braucht es nur wenig dazu.