Mykonos. Der Nordostwind Meltemi dürfte gerne kräftiger über die griechischen Kykladen wehen. Die Tour mit der „Rhea“ ist dennoch ein Erlebnis.

Wer nachmittags vom Flughafen mit dem Taxi nach Mykonos Stadt fährt und über die Bucht an der Westküste der Insel blickt, der nimmt es vielleicht zum ersten Mal in seinem Leben wahr, dieses ganz besondere Glitzern der ­Sonne auf dem Wasser der Südlichen Ägäis. Und wer noch dazu alt genug ist, ihn zu kennen, dem fällt eventuell in diesem Moment der Katja-Ebstein-Schlager aus den 70er-Jahren „Der Stern von Mykonos“ ein, dessen Melodie zum Ohrwurm einer gesamten Urlaubswoche werden kann.

„Steht dir gut“, sagt der ältere Herr, der mir in seinem Laden in den kleinen Gassen von Mykonos einen handgearbeiteten Hut mit breiter Krempe zum Schutz gegen die Sonne verkauft. Ja, mit fast 45 Grad sei es ungewöhnlich heiß diesen Sommer. Der Meltemi, der Wind, der sonst bis Oktober von Nordosten etwas Abkühlung bringt, wehe kaum. „Schön, dass du eine Bootsreise machst, auf dem Wasser wird es luftiger sein“, sagt der Grieche der rotgesich­tigen Norddeutschen tröstend.

Zahlen sind endlos, aber das Leben ist endlich

„Dimitris F. Skagias – Präsident im Stadtrat von Mykonos“ steht auf der Karte, die er mir reicht. Das war er einmal, jetzt verkauft er Kleidung an Touristen. Als die Krise es erforderte, habe er sein Amt aufge­geben, erzählt er. Der Zusammenhalt in der Familie wurde ihm wichtiger. „Zahlen sind endlos – es gibt immer mehr und mehr Nullen. Doch das Leben ist endlich. Versuche, viel Zeit mit der Familie und mit Freunden zu verbringen“, gibt mir der sympathische Mann mit auf den Weg.

Draußen vor Niko’s Taverna am Alten Hafen sitzen Freunde beisammen und essen. Und auch Fremde kommen schnell mit­einander ins Gespräch. „Wo bleibt der Meltemi?“ Der Wind? Nein, am Nebentisch wartet man gerade auf den Wein gleichen Namens. Die beiden Ex-Hamburger und Neu-Berliner Michael und Stefan verbringen schon seit Jahren gemeinsame Urlaube auf den unterschiedlichen Inseln der griechischen Kykladen. So heiß und so windstill wie in diesem Jahr sei es allerdings zum ersten Mal, berichten auch sie. Vielleicht sind es doch nicht die besten Voraussetzungen für einen Segeltörn?

Der Meltemi und seine Genossen lassen sich nicht so häufig blicken

Der 50 Meter lange Großsegler „Rhea“.
Der 50 Meter lange Großsegler „Rhea“. © Sailing-Classics | --

„Schnell oder langsam?“, fragt Eddie grinsend, und die fünf Frauen mittleren Alters, die auf dem Rand des Schlauchbootes sitzen, rufen: „Schnell!“ Dann lachen und kreischen sie, als der Bug in die Höhe steigt und das Boot über die Wellen flitzt, sodass sich alle an den Haltegriffen festklammern. Wieder liegt ein Glitzern auf der Wasseroberfläche, diesmal sind es die Reflexionen von den Straßenlaternen im Hafen von Katapola auf Amorgos. Der Spanier Eduardo, „Eddie“, ist Matrose auf der Segelyacht „Rhea“. In kleinen Gruppen bringt er die Passagiere zurück an Deck des 50 Meter langen Großseglers, der in der Bucht vor Anker liegt.

Für die 18 Passagiere und zehn Crewmitglieder geht der dritte Tag dieser Segelreise durch die griechischen Kykladen zu Ende, und damit ist es auch die dritte Bucht, in der die stolze Zweimastketsch über Nacht ankert. Allein ­Ornos auf Mykonos ist als Start- und Zielort festgelegt, die weiteren Stationen der Tour nicht. Denn natürlich soll so viel wie möglich gesegelt werden, und dann geht es ja bekanntlich (wie auch Katja Ebstein singt) „wer weiß, wohin der Wind uns weht“.

Auf dem Weg von Naxos nach Amorgos läuft die „Rhea“ zu Hochformen auf

Jeden Morgen beim Frühstück auf dem Achterdeck gibt es eine Wetterprog­nose von Kapitän Arian Poortman. „Liebe Leute“, sagt der Holländer lächelnd und hebt beide Hände leicht beschwörend gen Himmel, „heute gibt es gaaaanz viel Sonne – Pause – und: Es soll auch etwas Wind kommen.“ Der Meltemi und seine Genossen haben sich zwar immer noch nicht so häufig blicken lassen, doch auf dem Weg von Naxos bis nach Amorgos ist die „Rhea“ zu Hochformen aufgelaufen.

Es war nach einem Badestopp, von denen es bei diesen heißen Lufttemperaturen zum Glück viele gibt, und bei denen alle Passagiere und manch ein Crewmitglied, das gerade frei hat, sich im offenen Meer abkühlen – dafür wird eine der beiden Leitern, die sich an Steuerbord und Backbord, an der rechten und linken Bordwand befinden, heruntergelassen. Ganz Mutige hüpfen gleich von der Bordkante, um zu schwimmen, einige schnorcheln, probieren sich im Stand-up-Paddling oder düsen in kleinen Kajaks umher.

Immer wieder die Melodie, die einen wehmütig stimmt

Die erste Offizierín Janneke und der Spanier Eddie vom Team der „Rhea“
Die erste Offizierín Janneke und der Spanier Eddie vom Team der „Rhea“ © Sonja Niemeyer | Picasa

Dann wird der Anker wieder gelichtet, es kommt Wind auf. Vorne, am Bug des Schiffes sitzend, gleitet der Blick über die Gischt und die kleinen felsigen Inseln im gleißenden Meer. Bei­nahe kitschig schön kommt es einem vor, die Sonne im Gesicht, den Wind im salznassen Haar. So kann sich Glück anfühlen. Und da ist sie wieder, die Melodie, die weh­mütig stimmt. „Der Stern von Mykonos, das war sein Boot, sein Leben ...“

Dass der auffrischende Meltemi der „Rhea“ mehr Fahrt verleiht, freut nicht nur die Segler – auch im Wasser wird rege Anteil genommen. „Seht nur, Delfine!“, ruft jemand. Tatsächlich, zwei Tiere begleiten uns. Und es werden mehr, als hätten sie ihre Freunde herbeigerufen. Bis zu acht der schönen Meeressäuger spielen in unserer Bugwelle, lassen sich von der entstehenden Strömung unter dem Schiffsrumpf hin- und herwerfen als führen sie in einem superspaßigen Wasserkarussell. Fast kann man die Delfine lachen hören. Alle an Bord sind begeistert und halten die Kameras gezückt, bis die kleine Schule sich langsam auflöst und dann gar nicht mehr zu sehen ist.

Zehneinhalb Knoten sind die höchste gesegelte Geschwindigkeit

„Neun Knoten!“ Eddie liest die Geschwindigkeit der „Rhea“ vom Log ab und triumphiert. Die Deckcrew trimmt die Segel, um den Wind optimal auszunutzen. „Neuneinhalb, zehn!“, strahlend hüpft Eddie über Deck zu seinem Kollegen Niklas. Es sind, verglichen mit dem Tempo an Land, nicht mal 20 km/h, doch auf dem Wasser fühlt es sich viel schneller an. „Zehneinhalb!!“, Eddies Stimme überschlägt sich: „Zehn-ein-halb Kno-ten!!!“

Aus viel mehr Knoten, nämlich über 50 sind die Armbänder geknüpft, die auf Amorgos von Mönchen verkauft werden, und zwar in dem strahlend weißen Felsenkloster Panagia Chozoviotissa, das 300 Meter über dem Meer liegt. Es sieht aus wie ein hochkant an den Stein geklebter Bungalow, misst an seiner breitesten Stelle nur fünf Meter, führt aber über acht Etagen.

Luc Bessons „The Big Blue“ wurde in weiten Teilen auf Amorgos gedreht

Eine Taverne auf Santorini
Eine Taverne auf Santorini © HF | wlanghin

Bekannt wurde das Kloster durch einen Film des französischen Regisseurs Luc Besson. Er ließ „The Big Blue – im Rausch der Tiefe“ in weiten Teilen auf Amorgos drehen. In einer Szene wirft ein Mönch eine Münze ins Hafenbecken, und ein Kind taucht hinab, um sie ihm zurückzuholen. Der Mönch überlässt das Geldstück dem Jungen, der später ein erfolgreicher Apnoetaucher werden soll.

Vielleicht ist es der Mönch aus dem Film, der heute den Besuchern, die hier hochgestiegen sind, selbstgebrannten Schnaps anbietet. Obwohl mich ein ehrfürchtiges Gefühl überkommt, traue ich mich zu fragen, wie ich einer kranken Freundin helfen kann. Der Mann in Schwarz mit dem langen weißen Bart fragt nach der genauen Krankheit, schreibt den Namen der Freundin auf ein Blatt Papier, steckt es gefaltet in seine Brusttasche und sagt: „Ich trage sie über meinem Herzen, und ich bete für sie.“

Zwei Tage später kommt die Nachricht von der Genesung

Ein federleichtes Gefühl begleitet mich bergab in den Ort, und irgendwie bin ich gar nicht überrascht, als zwei Tage später von zu Hause die Nachricht der Genesung kommt. Unten im Hafen von Katapola wartet Eddie schon mit dem Schlauchboot.

Offiziell wird an Bord der „Rhea“ Englisch gesprochen, denn die Crew ist international: Bordingenieur Olaf, Koch Claus und Matrose Niklas sind Deutsche, aber der Kapitän und seine erste Offizierin Janneke kommen aus den Niederlanden. Eduardo „Eddie“ ist Spanier, Katarzyna „Kasia“, die mit den Deutschen Christina und Annika im Service arbeitet, ist Polin, und Dimitra „Dimi“, die auf der Yacht ein Praktikum absolviert, lebt zwar momentan in Amsterdam, ist aber eigentlich Griechin. Am Handgelenk trägt sie ein Knotenarmband, wie es sie auch im Kloster gibt.

Ein geknotetes Armband als Erinnerung an den Glauben

„Das Komboschini wurde erstmals von Antonius, dem Großen geschnürt“, sagt Dimi. Ähnlich einem Rosenkranz stehe jeder Knoten für ein Gebet. Das Band sollte Mönchen, die nicht lesen konnten, helfen, die Reihenfolge der Verse einzuhalten. Doch weil die Knoten sich mit der Zeit lösten, und Antonius der Überzeugung war, Dämonen wollten die Mönche am Beten hindern, erfand er eine spezielle Knüpfung, die nun aus sieben Schlingen besteht und finsteren Kräften standhält. Für Dimi ist das Armband – egal, wo sie ist – Erinnerung an ihren Glauben, und es gibt ihr Kraft. „Nichts Magisches“, sagt sie, „aber gesegnet.“

Am letzten Abend in der Ornos Bucht fährt Claus für das Captain’s Dinner ein mehrgängiges Menü auf. Mein Tischnachbar Arian bemerkt, dass ich für eine Journalistin wenig gefragt habe. Stimmt, diesmal habe ich (wegen des Ohrwurms?) eher beobachtet. Eine Frage doch noch: Von den 175 Seemeilen, 324 Kilometern, die wir auf der „Rhea“ zurückgelegt haben, waren wie viele gesegelt? Arian zeigt mit Zeigefinger und Daumen und sagt: „Leider nur ein bisschen, nicht mal ein Viertel. Der Meltemi war ja fast nie da.“

„Die eigentlichen Sterne von Mykonos sind die Touristen“

Der Taxifahrer auf dem Weg zum Flug­hafen erklärt, warum der seit gestern wehende Wind gar keine ­Abkühlung bringt: „Es ist der Livas aus Libyen, heiß und trocken. Er macht Obst und Gemüsepflanzen kaputt. Wem er entgegenweht, der sollte besser die Augen schließen, sonst trocknen sie aus.“ Und der Mann sagt auch: „Die eigentlichen Sterne von Mykonos sind die Touristen. Weil sie dem Land helfen.“

Tipps & Informationen

Anreise z. B. mit Lufthansa, Aegean und Olympic über München und Athen bis nach Mykonos.

Segel-Yacht-Reisen Ein Törn auf der „Rhea“ im Mittelmeer kostet pro Woche ab ca. 2100 Euro pro Person. Buchbar über Sailing-Classics, Tel. 0711/674 96 00 oder www.sailingclassics.de

„Rhea“ Die 50-Meter-Yacht segelt bis November auf dem Mittelmeer, ab Dezember in der Karibik. Auf der „Chronos“ und „Kairós“ sind auch Plätze buchbar.

(Die Reise erfolgte mit Unterstützung durch Sailing-Classics.)