Dublin. Viel Natur, Pubs, freundliche Menschen: Wer mit dem Auto durch Irland fährt, erlebt ein Sehnsuchtsziel, ein Sommermärchen im Frühling.

Wir haben uns verlaufen, in einem Städtchen namens Ennis. Es liegt weit im Westen des Landes, in der Nähe von Limerick, also dort, wo Irland so irisch wie im Bilderbuch wirkt. Eben noch, im Zentrum, hatten wir zugeschaut, wie sich junge Leute vor dem Denkmal von Daniel O’Connell für Selfies aufgestellt hatten. Vor 200 Jahren war der „Befreier“, wie sie ihn nennen, für die Gleichberechtigung der Katholiken eingetreten, gewaltfrei und erfolgreich. Keine Stadt in der Republik, die nicht wenigstens eine Straße oder einen Platz nach ihm benannt hat.

Wir hatten danach die imposanten Ruinen einer Abtei aus dem Mittelalter bewundert und waren über eine historische Steinbrücke direkt in die Altstadt geraten. Also stromern wir jetzt, an diesem schläfrigen Sonntagnachmittag, etwas verloren durchs Gassenlabyrinth, in eine Richtung, in der wir unseren Parkplatz, unser Auto vermuteten. Und sind auf einmal tief im Herzen Irlands angekommen, ihren Menschen und der Seele dieses Landes ganz nah.

Folkmusik, unverkennbar irischer Sound, zieht uns in einen Pub, „Faffa Considine“ heißt er und sieht unscheinbar aus. Einige Leute stehen vor der Tür, das Guinness-Glas in der Hand. Sie unterhalten sich, lachen und wippen mit den Füßen im Takt. Genau diese Musik ist für nicht wenige Irland-Freaks Motiv genug für die nächste Reise auf ihre Insel. Es ist warm, die Sonne knallt, wirklich und wahrhaftig, vom stahl­blauen Himmel, und wir haben Durst.

Ohne Verabredung musizieren Gäste gemeinsam im Pub

Da sitzen sie in der Ecke, ein Fiedler, zwei Flötisten, eine Frau mit dem Bodhrán, der irischen Rahmentrommel. Wie ich an der Theke erfahre, haben sie sich heute zufällig getroffen, manchmal telefoniert man sich zusammen, ein andermal verabredet man sich fürs Wochenende und klebt sogar ein Plakat an die Scheibe. Heute soll noch einer mit der Gitarre kommen, vielleicht zwei Geiger mehr, sicher auch ein Drummer. Es sind Leute aus der Nachbarschaft, eine Lehrerin, ein IT-Experte, Freunde aus einer Arztpraxis. T-Shirts, ein paar sanfte Tattoos, Männer mit Pferdeschwanz und Ring am Ohr, gute Typen.

Vor der Theke stehen die Gäste jetzt in Dreierreihen, ein altes Paar beginnt zu tanzen. Von Zeit zu Zeit stellt jemand den Musikern ein Bier auf den Tisch. Acht sind es jetzt, die den Pub rocken. Sie spielen ohne Noten, manchmal stimmt einer aus dem Publikum ein Lied an, und Seany, Paddy, Murty oder wie sie heißen, gehen mit: „Let the people sing their stories and their songs ...“ Irland, wie es singt und lacht!

Vor fünf Tagen haben wir am Flughafen von Dublin den Mietwagen übernommen und uns problemlos in den Linksverkehr eingefädelt. Entspanntes Fahren, Kurs Nordost, einen halben Tag lang durch Grün in allen Varianten.

Vorbei am Lough Erne, durch eine Seenlandschaft, die der liebe Gott bei sehr guter Laune geschaffen haben muss. Sie gehört zu Nordirland, zum Vereinigten Königreich. Fuchsien, Holunder und Orchideen lassen die Hecken und Hügel über Kilometer wie einen riesigen Garten aussehen. Gesprenkelt ist der grüne Teppich mit einzelnen Häusern und mit Hunderten, Tausenden, womöglich Millionen Schafen. Beim ersten Tankstopp steht ein rothaariges, sommersprossiges Mädchen an der Kasse, als hätte der Touristenverein sie dort platziert.

Schlosshotels und Bed & Breakfast sind beide typisch für Irland

Nur das Auto und unsere Quartiere sind vorab gebucht, die Route ist unserer Lust und dem Zufall überlassen. Erstes Etappenziel: Lough Erne Castle, ein Schlosshotel im County Donegal, alter Adel inklusive Schlossgeist. In den nächsten Tagen werden wir reichlich Kontraste auskosten, abwechselnd in ähnlich noblen Herrenhäusern wohnen, dann wieder in schlicht-schönen Pensionen, Bed & Breakfast, manchmal sogar mit Familienanschluss. Typisch für Irland sind beide Unterkunftsformen.

Als Richtschnur haben wir uns den Wild Atlantic Way ausgeguckt, mit fast 2600 Kilometern eine der längsten und schönsten Küstenstraßen der Welt und Irlands Traumstraße Nr. 1. Immer wieder zwingt uns ein dramatischer Ausblick zum Fotostopp: Felsen, Klippen, Höhlen, vom Ozean über Jahrmillionen in Szene gesetzt. Und überall Brutnester für Möwen und Puffins, wie die Papageientaucher hier heißen.

Wortwörtlich Augenblicke, unvergesslich: zum Beispiel auf Achill Island. Leser von Heinrich Bölls „Irischem Tagebuch“ kennen diese wunderbare Insel. In den 50er-Jahren hatte der spätere Nobelpreisträger dort, nach einigen Urlauben, ein bescheidenes Cottage gekauft. Mit seinem berühmt gewordenen Tagebuch setzte er der Insel, dem Land und vor allem den Menschen ein poetisches Denkmal, so warmherzig wie wehmütig. Heute gehört sein ehemaliges Refugium einer Stiftung, die es als Gästehaus für Künstler aus aller Welt nutzt.

Magie findet sich hier hinter jeder Kurve

Dreimal waren wir an dem Haus vorbeigefahren; verborgen hinter hohen Hecken. Wenigstens ein Foto wollten wir machen. Dann trat ein Mann heraus, ein englisch-irischer Dichter und Musiker, wie sich bald ergab. Er lud uns zum Tee ein, ließ uns Platz nehmen an Bölls altem Schreibtisch und erzählte, dass er in den vergangenen Wochen längst fällige Kompositionen zu Ende bringen und nebenbei die Dorfbewohner, ihre Pubs und die alten Friedhöfe mit ihren „sprechenden“ Hochkreuzen intensiv kennenlernen konnte.

Magie findet sich hinter jeder ­Kurve, auf dem Küstenweg wie im Hinterland, manchmal düster, dann wieder so heiter wie ein Abend im Pub. Erin­nerungen an Connemara, das „Land von wilder Schönheit“ (Oscar Wilde); an die Dolmen von Poulnabrone, Monumente aus der Steinzeit; weiter südlich an ­Tarbert, den kleinen, auf den ersten Blick biederen Ort am Shannon-Fluss, wo wir am Pub-Tresen in die Geheimnisse des Hurling eingeweiht wurden, dieses ruppigen Nationalsports aus kel­tischer Zeit.

Natürlich sind wir den Ring of Kerry abgefahren, den „Ring of Tourists“, wie er hier spöttisch genannt wird, und der doch nach wie vor wunderschön ist, erst recht jetzt in der Blütezeit. Und ja, der Ring of Beary, eine Halbinsel weiter südlich, ist wilder, einsamer. Busse dürfen ihn nicht fahren, weil die Straßen zu eng sind. Also ist man an den ausgedehnten Parkplätzen und auf den Wanderwegen oft allein unterwegs.

Begegnungen, wie sie zu Irland passen: mit dem Postbeamten in Ballyshannon, der aus seinem Büro kommt, um uns einen etwas versteckten Parkautomaten zu zeigen, und uns die Geschichte seiner Stadt ausbreitet, mit allen traurigen Facetten aus der Zeit der großen Hungersnot, die so viele Iren zum Auswandern nach Amerika gezwungen hat; mit Christopher, dem jungen Lehrer, der im Gasthaus seines Vaters hilft und uns das schwierige Verhältnis zu England und Nordirland aus seiner Sicht erzählt. Oder mit Manuel aus Kolumbien, der eigentlich um die Welt radeln wollte, sich aber schon seit drei Jahren in Irland wohlfühlt, ein Tramp wie aus einem Buch von Brendan Behan.

Die Cliffs of Moher verschwinden hinter einem Vorhang aus Gischt und Nebel

Schließlich unsere B&B-Gastgeber: Beatrice, Chefin in unserer Unterkunft auf Achill Island, hat uns mit dem irischen Frühstück in der opulentesten Version vertraut gemacht: Porridge mit Milch und Zucker, zwei Spiegeleier, Bacon, Tomaten, gebackene Bohnen, gebackene Champignons und Black Pudding, gebratene Blut- und Grützwurst. Zwei Tage lang hat man danach keinen Appetit, aber wie will man in Irland gewesen sein, ohne einmal den Schwarzen Pudding probiert zu haben.

Bernadette, Gastgeberin in Tarbert, hat uns mit hausgemachten Cookies empfangen. Von Sheila und Sam in Kenmare haben wir gelernt, was Toleranz bewirken kann: er Protestant, Engländer, für den Brexit gestimmt, sie Irin aus alter katholischer Familie („Es funktioniert seit 30 Jahren, believe it or not . . .“). Und ohne die Tipps von Tina und John hätten wir nie die idyllischen Küstenwege auf Valentia Island gefunden, direkt gegenüber ihrem gepflegten Haus in Portmagee, County Kerry.

Am fünften Tag, endlich, drücken bereits morgens dräuende Wolken und ein böiger Wind den Atlantik gegen die Küste. Es regnet, es schüttet, zwei Stunden lang. Die Cliffs of Moher, eine Attraktion im Westen – 200 Meter tief stürzen sie ins Meer, und das über acht Kilometer hinweg –, verschwinden hinter einem Vorhang aus Gischt und Nebel. So also sieht das viel beschriebene Irland der Fabeln und Feen aus. Aber schon bald, blaues Wunder, scheint wieder die Sonne, und das Meer glitzert so verzaubert wie vorhin. Dann krönt sogar ein Regenbogen die Szenerie.

Die Stammgäste der grünen Insel lieben diese Art von Abwechslung. Für sie ist Regen kein schlechtes Wetter, sondern Teil des Mythos’, er macht sie glücklich. Wir haben ihn zumindest erwartet und sind nun froh, dass wir mitreden können. Immerhin an drei von 16 Tagen hat auch uns ein bisschen Regen durch den irischen Frühling begleitet, einmal sogar von morgens bis mittags.

Tipps & Informationen

Reisezeit Ganzjährig. Am schönsten sind Mai und Juni (Blütezeit) sowie September und Oktober (Festivalzeit).

Anreise z. B. mit Aer Lingusgeht es nonstop ab Berlin oder Hamburg nach Dublin.

Pauschal Autorundreisen mit vorab gebuchten Quartieren, z. B. von Schnieder-Reisen, zwei Wochen ab ca. 1200 Euro pro Person, www. schnieder-reisen.de oder
15 Tage Fly & Drive „Authentisches Irland“, ab 1175 Euro pro Person, buchbar auf www.echtirland.de

Reiseführer z. B. von DuMont: „Reise-Handbuch Irland“ von 2017,
456 Seiten, 24,99 Euro.

Auskunft www.ireland.com/de-de

(Die Reise erfolgte mit Unterstützung durch Schnieder-Reisen.)