Hamburg. Als Partner von SEHW Architekten beobachtet Christoph Winkler Entwicklungen im Wohnungsbau mit großer Sorge. Viele Verordnungen seien eher absurd

Die Besprechung mit dem Lichtplaner würde nicht lange dauern, hatte Christoph Winkler gesagt. Die Reporterin könne gern dabei sein, dann bekäme sie einen guten Einblick in den Arbeitsalltag eines Architekten. Zwei Stunden später sitzen wir immer noch in dem gläsernen Konferenzraum am Kopfende des Großraumbüros, und die entspannte Stimmung am Tisch ist gekippt.

Mit akribischer Genauigkeit sind Architekt und Lichtplaner auf dem Grundriss jeden Raum des geplanten Firmengebäudes durchgegangen. Und obwohl bereits in Vorgesprächen die Zahl und Form sowie die Luxstärke der Leuchten im neuen Gebäude weitestgehend festgelegt worden sind, gibt es immer noch ausreichend Grund zu Diskussionen. Mal stellt die Bauherrin die Wahl einer Leuchte infrage, und immer wieder moniert der Lichtplaner die seiner Meinung nach zu niedrigen Lux-Werte, die nicht der gesetzlich vorgegebenen DIN-Norm entsprächen. Als Christoph Winkler die Besucher verabschiedet, sind immer noch nicht alle Fragen gelöst. Man wird sich wohl noch einmal treffen müssen.

Klinker gehört zur norddeutschen Architektur

„Früher hatte man viel mehr Zeit für den Entwurfsprozess“, sagt der Architekt. Seit fast 25 Jahren arbeitet er als Architekt. Mit seinen Partnern Juan Hidalgo und Andreas Horlitz entwirft er unter dem Namen SEHW Architekten Wohnhäuser, Schulen und Bürogebäude.

Das Büro in der Bogenallee im Schatten der Grindelhochhäuser fühlt sich der klassischen Moderne verpflichtet, lehnt konsequent modischen Sperenzien ab, baut gern mit norddeutschem Klinker und pflegt in seiner Formensprache die auch in Architektenkreisen rar gewordene Tugend des hanseatischen Understatements.

Es ist nicht die Koketterie des Erfolgreichen, die Christoph Winkler nostalgisch werden lässt. Er spricht nur aus, was die meisten Architekten hierzulande denken, aber sich oftmals nicht trauen zu sagen, weil sie nicht als notorische Nörgler gelten wollen. Schließlich, so die landläufige Meinung, sind sie ja privilegiert, weil sie einen sogenannten freien Beruf ausüben können, der es ihnen erlaubt, ihre eigenen Ideen umzusetzen.

Doch gerade im Wohnungsbau ist es mit der Freiheit nicht weit, wie man von Christoph Winkler erfährt, der früher einmal bildender Künstler werden wollte. Immer neue Baugesetze und DIN-Normen würgten die Gestaltungsfreiheit und Fantasie des Architekten ab. Auch raube der gestiegene bürokratische Aufwand im Büro Zeit und Energie. Aufgrund der gestiegenen Klagefreudigkeit von Bauherren und Projektpartnern müsse heute jedes einzelne Bauherrengespräch minutiös protokolliert werden.

Christoph Winklers Partner Juan Hidalgo, der zu uns ins Besprechungszimmer gekommen ist, mischt sich in das Gespräch ein. Er glaubt, dass die Überreglementierung im Wohnungsbau und die damit verbundenen gestiegenen Kosten vor allem die Folge einer verfehlten Umsetzung der Klimaschutzpolitik der Regierung seien. Die Energieeinsparverordnung (EnEV) mit ihren luftdicht verpackten Häusern aus meist umweltschädlichem Dämmstoffen helfe nur der Baustoff-Lobby, aber ganz gewiss nicht den Nutzern oder gar der Umwelt. Christoph Winkler nickt. Es sei schließlich bekannt, dass Lobbyisten des Dämmstoffherstellers Rockwool ausschließlich für die „Zusammenarbeit“ mit drei Bundestagsabgeordneten verschiedener Parteien abgestellt seien.

Gutes Bauen wird immer teurer

Dass heute immer mehr Bürger gegen Neubauvorhaben protestierten sei nicht verwunderlich, glaubt Christoph Winkler. „Wir erleben zwar gerade einen nie dagewesenen Bauboom, aber die Qualität im Wohnungsbau sei heute im Schnitt nicht besser als in den 1930er-Jahren.“ Die ungebremst wuchernden Regeln für den Brand-, Schall- und Umweltschutz und die damit verbundene Zunahme an Experten machten gutes Bauen immer teurer.

Auch die Hamburger Wohnungsbauunternehmen, die ja in unseren Niedrigzinszeiten so gut verdienten wie noch nie zuvor, hätten ihren Anteil an der Verschlechterung der Hamburger Baukultur. „Unser künstlerischer Spielraum wird gerade von einigen großen Bauunternehmen immer mehr eingeschränkt“, bedauert Christoph Winkler.

Zum Beweis zeigt er mir auf seinem Laptop das Foto eines Mehrfamilienhauses mit elf Mietwohnungen in Ottensen. Das schmale Stadthaus hebt sich von der Uniformität seiner Nachbarn ab durch seine schön gestaltete Fassade. Der je nach Lichteinfall in einem anderen Rotton schimmernde, traditionell gebrannte Oldenburger Torfklinker und die schräg herausgedrehten Erker, aus denen viel Licht in die Wohnungen fällt, machen das Gebäude zu einem Hingucker.

Kein Geld für schöne bauliche Details

Doch das preisgekrönte Haus, vor gerade einmal neun Jahren fertiggestellt, könnte das Büro heute nicht mehr so bauen, sagt sein Architekt. „Es geht heute im Wohnungsbau doch nur noch um Kostenminimierung. Für schöne architektonische Details wird kein Geld mehr ausgegeben.“ Den Verfall der Baukultur den Architekten anzulasten, wie es viele täten, sei ungerecht, sagt Winkler und man merkt ihm an, wie sehr ihn das modische Architekten-Bashing ärgert.

„Anders als beispielsweise die Baustoffindustrie haben Architekten nun einmal keine Lobby“, glaubt er. Aber es gibt doch die Architektenkammern der Länder. Fühlt er sich von denen denn nicht ausreichend vertreten? „Sie finden nicht ausreichend Gehör in der Politik.“ Warum, so vermutet der Architekt, sollten sich Politiker auch für die Abschaffung von überflüssigen und teuren Gesetzen im Baurecht einsetzen, wenn ihnen das doch keine einzige Wählerstimme mehr einbrächte. Er vermutet, dass die EnEV wohl erst dann geändert wird, wenn aufgrund von Schimmelbefall oder anderen Folgen falscher Lüftung die Menschen in ihren luftdicht versiegelten Wohnungen nachweislich erkranken. Und sein Kollege Juan Hidalgo fügt hinzu: „Bis dahin müssen wir Architekten weiter Verordnungen bedienen, die völlig absurd sind, weil sie unter realitätsfernen Bedingungen in irgendwelchen Instituten entwickelt worden sind, in der Praxis aber der Umwelt und den Bewohnern mehr schaden als nützen.“