Hamburg. Eine neue Studie zeigt: Eine Immuntherapie kann Krebspatienten die Chemotherapie ersparen. Außerdem gibt es weniger Nebenwirkungen.

Operation oder Chemotherapie und Bestrahlung? Wer an Lungenkrebs erkrankt, muss in der Regel eine lange und belastende Behandlung ertragen. Eine Studie mit Beteiligung der LungenClinic Großhansdorf hat jetzt eine neue Möglichkeit eröffnet, Patienten mit einer fortgeschrittenen Lungenkrebserkrankung eine wirksamere und schonendere Behandlung anzubieten. Damit kann die Chemotherapie aufgeschoben werden. Die Studie wurde im renommierten „New England Journal of Medicine“ veröffentlicht.

In der weltweiten Studie wurden 309 Patienten entweder mit dem Wirkstoff Pembrolizumab oder einer Chemotherapie behandelt. „Dabei haben wir gesehen, dass bei Patienten die Immuntherapie in allen Kategorien, die wir messen konnten, bessere Ergebnisse erzielte als die Chemotherapie. Das heißt, die Rückbildungsrate des Krebses war besser, die Zeit der Stabilisierung war länger, ebenso die Überlebenszeit der Patienten nach dem Therapiebeginn“, sagt Prof. Martin Reck, Chef der Onkologie in der LungenClinic Großhansdorf und Leiter der Studie.

80 Prozent der Patienten kommen für Therapie infrage

Privatdozent Dr. med. Martin Reck, Chefarzt des Onkologischen Schwerpunktes an der LungenClinic Grosshansdorf.
Privatdozent Dr. med. Martin Reck, Chefarzt des Onkologischen Schwerpunktes an der LungenClinic Grosshansdorf. © HA | Kay Ingwersen

Der Wirkstoff Pembrolizumab gehört zu einer neuen Gruppe von Antikörpern, die das Immunsystem der Patienten wieder dazu bringt, dass es den Krebs bekämpft. „Denn der Tumor ist in der Lage, sich für das Immunsystem sozusagen unsichtbar zu machen. Diese neuen Medikamente heben diese Blockade auf. Sie reißen dem Tumor die Tarnkappe ab und versetzen das Immunsystem auf diesem Wege in die Lage, wieder aktiv gegen die Krebszellen vorzugehen“, sagt der Onkologe. Die Therapie kommt aber nur für Patienten infrage, die an sogenannten nicht-kleinzelligen Lungentumoren leiden, die einen bestimmten Biomarker in hoher Konzentration auf ihren Krebszellen tragen.

Man unterscheidet das Lungenkarzinom in zwei große Gruppen, ein sogenanntes nicht-kleinzelliges Karzinom haben 80 Prozent der Patienten. 15 bis 20 Prozent leiden unter einem kleinzelligen Lungenkrebs. Das Besondere an dieser Studie war, dass die Immuntherapie erstmals bei Patienten angewandt wurde, die vorher noch keine Chemotherapie erhalten hatten. „Dass diese Therapie bei vorbehandelten Patienten wirkt, haben mittlerweile viele Studien gezeigt“, sagt Reck. Doch diese neue Studie eröffne die Möglichkeit, die Patienten von Anfang an mit der Immuntherapie zu behandeln und eine belastende Chemotherapie hinauszuschieben.

Keine schweren Nebenwirkungen wie Haarausfall oder Übelkeit

„Nach dem jetzigen Stand der Erkenntnisse würden wir mit der Immuntherapie beginnen, wenn die Patienten diesen bestimmten Biomarker tragen. Die Therapie wird solange fortgeführt, wie die Patienten davon profitieren. Man muss regelmäßig Röntgenbilder oder Computertomografie-Bilder machen und regelmäßig untersuchen, wie der Patient die Behandlung verträgt. Danach steuert man auch die Therapiedauer. Wenn sie nicht mehr wirkt, würde man dann eine Chemotherapie anschließen, man verlagert sie also nach hinten, wir gehen von einem Zeitraum von mindestens anderthalb Jahren aus“ sagt Reck.

Das bedeutet für den Patienten, dass er zunächst eine Therapie erhält, die besser wirksam und besser verträglich ist als eine Chemotherapie, auch wenn sie nicht ohne Nebenwirkungen ist. „Schwere Nebenwirkungen der Chemotherapie wie Haarausfall, Übelkeit oder Blutbildveränderungen sehen wir bei der Immuntherapie nicht. Es gibt aber einige Nebenwirkungen, die für diese neue Behandlung charakteristisch sind. Das sind Entzündungen, beispielsweise im Darm, an der Schilddrüse oder auch in der Lunge, sogenannte Autoimmunreaktionen, bei denen der Organismus körpereigenes Gewebe angreift. Man sieht ungefähr bei 30 Prozent aller Patienten eine dieser Reaktionen. Bei den meisten Patienten handelt es sich dabei um sehr leichte Nebenwirkungen“, sagt der Onkologe.

Tumor kann in eingen Fällen operativ entfernt werden

Bislang war diese Therapie nur für bereits vorbehandelte Patienten zugelassen. Jetzt ist er Wirkstoff Pembrolizumab seit März auch für die Ersttherapie zugelassen. Das könnte bedeuten, dass die Immuntherapie sich als ein Baustein in der Erstbehandlung des Lungenkrebses etabliert. Je nach dem Stadium der Erkrankung werden heute unterschiedliche Behandlungsmethoden eingesetzt. In frühen Stadien kann der Tumor möglicherweise noch operativ entfernt werden.

„Hat er bereits Metastasen gebildet, kann die Erkrankung nicht mehr geheilt werden. Dann ist es unser Ziel, sie in eine chronische Erkrankung zu verwandeln und den Patienten ein relativ gutes Leben mit dieser Krankheit zu ermöglichen. Die Überlebenszeiten haben sich deutlich verlängert, von durchschnittlich einem Jahr bis auf mehr als vier Jahre“, sagt Reck. Dieser Erfolg sei zum einen auf neue Medikamente zurückzuführen. „Zum anderen darauf, dass wir bei einigen Patienten genetische Veränderungen gefunden haben, die wir mit zielgerichteten Therapien sehr gut behandeln können“, sagt der Leiter der Studie.

In der LungenClinic Großhansdorf werden pro Jahr mehr als 600 Patienten behandelt, die neu an Lungenkrebs erkrankt sind.

Der Lungenkrebs ist in Deutschland die dritthäufigste Krebserkrankung bei Männern und bei Frauen. Pro Jahr erkranken mehr als 50.000 Menschen in der Bundesrepublik neu an diesem Tumor, Männer häufiger als Frauen. Doch der Frauenanteil steigt. Das erklärt sich dadurch, dass der Anteil der Raucherinnen unter den Frauen bis Anfang dieses Jahrhunderts kontinuierlich zugenommen hat,

Hauptrisikofaktor für diese Tumorerkrankung ist das Rauchen. 80 Prozent der Patienten sind ehemalige oder aktive Raucher.