Berlin. Die Sicherheitsbranche wird akademisch. Inzwischen bereiten Bachelor- und Masterprogramme Studenten auf ihre Aufgaben und Dienste vor.

Feuerwehrautos üben eine fast magische Anziehungskraft aus – auf kleine wie auf große Jungs. Manfred Richter ist da keine Ausnahme. Ursprünglich hat der 55-Jährige Autoschlosser gelernt, heute ist er Leiter der Werkssicherheit bei Bayer (ehemals Schering) in Berlin-Wedding. „1990 habe ich hier im operativen Werkschutz angefangen“, erzählt Richter. Den Ausschlag zum Jobwechsel gab damals unter anderem die verlockende Möglichkeit, beim neuen Arbeitgeber berufsbegleitend eine Feuerwehrausbildung zu machen.

Außerdem absolvierte Richter eine Fortbildung zur Werkschutzfachkraft, die seine Karriere im Bereich Sicherheit prompt in Schwung brachte. Kurz nach der Prüfung vor der Industrie- und Handelskammer wurde er in dem großen Pharmawerk in die Notruf- und Serviceleitstelle befördert, wo er mehr und mehr Verantwortung übernahm.

Die unternehmensinterne Sicherheitszentrale koordiniert beispielsweise Feuerwehr- und Polizeieinsätze auf dem Werksgelände sowie die Zusammenarbeit mit privaten Sicherheitsdiensten und ist auch bei Diebstahl, verdächtigen Personen oder blockierten Feuerwehrzufahrten erster Ansprechpartner. „Das Telefon ist sieben Tage die Woche rund um die Uhr besetzt, im Schnitt gehen hier 200 Anrufe pro Tag ein“, erzählt Richter.

Zutritt kontrollieren und wichtige Gäste bewachen

Der Sicherheitschef weiß morgens nie genau, wie sein Tag verlaufen wird. Hektisch wird es zum Beispiel, wenn wieder einmal ein hochrangiger Politiker oder eine ausländische Wirtschaftsdelegation das Werk besuchen. Aber auch das Tagesgeschäft birgt zahlreiche Herausforderungen, angefangen von der zuverlässigen Zutrittskontrolle bei 5000 Mitarbeitern, über die Überwachung des Lieferverkehrs und die Absicherung des Werksgeländes gegen unbefugten Zutritt bis hin zu klassischen Management- und Führungsaufgaben für 50 Mitarbeiter, neun Auszubildende sowie wechselnde externe Kräfte.

Dass Manfred Richter vom unternehmenseigenen Schutzmann zur Führungskraft aufstieg, verdankt er nicht zuletzt seiner Weiterbildung: Das Fachabitur holte er auf der Abendschule nach. Später absolvierte er an der Hochschule für Technik und Wirtschaft (HTW) ein berufsbegleitendes Studium zum Wirtschaftsingenieur, und zwar privat und auf eigene Rechnung. „Erst als ich 2005 das Diplom in der Tasche hatte, habe ich mich in der Firma geoutet und signalisiert, dass ich gerne weiterkommen möchte“, erzählt er.

Weiterbildung für die Karriere

Bei seinen Vorgesetzten stieß er auf offene Ohren, sie überzeugten ihn sogar, sich für den Aufstieg ein weiteres Mal hinter seine Bücher zu klemmen: An der privaten Steinbeis Business Academy schloss Richter von 2005 bis 2007 an sein Ingenieurdiplom noch ein zweijähriges Managementstudium (MBA) mit dem Schwerpunkt Security Management an.

„So viele Jahre parallel zu Vollzeitjob und Schichtdienst zu studieren, war schon hart“, räumt er ein. „Aber zu wissen, dass es sich beruflich auszahlt, hat mich angetrieben.“ Nach dem MBA-Abschluss stieg er 2007 nahtlos in seine heutige Position auf.

Ein Managementstudium als Voraussetzung für eine Karriere in der Sicherheitsbranche – das klingt überraschend, scheinen im Sicherheitsgewerbe doch eher Mut und Muskeln als ein Mastertitel zu zählen. Tatsächlich setzt die Mehrzahl der Stellenangebote privater Sicherheitsdienstleister keinen akademischen Abschluss voraus. Oft genügt bereits eine berufsbegleitende Fortbildung, wie sie auch Manfred Richter zu Beginn seiner Laufbahn absolviert hat.

Zahlreiche Stellen sind ausgeschrieben

Die Chancen für Quereinsteiger stehen gut, denn gerade in Berlin gibt es viel zu bewachen. Vor allem bei großen, bundesweit tätigen Anbietern wie Agsus, Gegenbauer oder Securitas aber auch bei regionalen Berliner Sicherheitsunternehmen sind viele Stellen ausgeschrieben, Initiativbewerbungen sind willkommen.

Daneben finden sich Offerten für Sicherheitsprofis aber auch direkt bei unterschiedlichsten Unternehmen, darunter zum Beispiel Bayer, die Charité, das Berliner Congress Center oder die Deutsche Bahn. Der Schienenkonzern betreibt von Berlin aus sogar seinen eigenen Sicherheitsdienst.

Die DB Sicherheit beschäftigt bundesweit mehr als 2200 Mitarbeiter und ist für Sicherheit und Ordnung in Objekten und Anlagen sowie in den Zügen der Bahn zuständig. Wer dort ein- und später aufsteigen möchte, braucht eine fundierte Ausbildung, etwa zur Fachkraft für Schutz und Sicherheit. Für die weitere Karriere sind ein Meister oder ein berufsspezifischer akademischer Abschluss von Vorteil. In Berlin bietet außer der privaten Steinbeis Business Academy auch die staatliche Hochschule für Wirtschaft und Recht (HWR) einen Bachelor in Sicherheitsmanagement an.

Vorübergehend im Justizvollzug gearbeitet

Dort studiert auch Tobias Bäuscher. Nach seinem Fachabitur hat der 23-Jährige zunächst in Düsseldorf eine Ausbildung zur Fachkraft für Schutz und Sicherheit absolviert und anschließend verschiedene Jobs ausprobiert, darunter auch fünf Monate als Justizvollzugsangestellter. „Die ganze Zeit hinter Gittern zu sein fand ich aber doch zu bedrückend“, sagt er.

Es folgten Stationen als Objektschützer für die Kölner Jobcenter, wo Bäuscher zum Beispiel die Wartezonen überwachte und bei schwierigen Gesprächen mit Arbeitssuchenden dabei war, und in der Notrufzentrale eines auf Fernüberwachung spezialisierten Sicherheitsdienstes. In fremde Gebäude hineinzuhorchen und Einbrecher mithilfe der Technik zu stellen, fand er eine Zeit lang sehr spannend.

Aber er sagt auch: „Ich habe noch ein langes Berufsleben vor mir und wollte mich deshalb weiter entwickeln.“ So fiel die Entscheidung fürs Studium an der HWR. Parallel dazu jobbt Bäuscher als Werkstudent beim Sicherheitsdienstleister Gegenbauer, wo er Sicherheitskonzepte für Gebäude entwickelt und auch an Kundenterminen teilnimmt.

Auf der Suche nach einem Studentenjob konnte er aus verschiedenen Angeboten wählen und im Vorstellungsgespräch eigene Wünsche und Vorstellungen durchsetzen. „Ich habe den Eindruck, dass die Kombination aus Sicherheitsstudium und praktischer Erfahrung in der Branche gerade sehr gefragt ist“, sagt er.

BWL-Kenntnisse in vielen Positionen unerlässlich

So sieht es auch Wolfgang Benz. Der ehemalige Kriminalbeamte ist fachlicher Leiter des Masterstudiengangs Kriminalistik an der Berliner Steinbeis-Hochschule. „Das Thema Unternehmenssicherheit wird immer facettenreicher und komplexer, betriebswirtschaftliches Know-how ist in vielen Positionen heute unerlässlich“, bestätigt er.

Um ein Unternehmen wirkungsvoll zu schützen und passgenaue Sicherheitskonzepte zu entwickeln, müsse man das Geschäftsmodell verstehen und die entsprechenden Werte und Risiken erkennen, so Benz, der im Hauptberuf seit 2010 den Bereich Unternehmenssicherheit bei der Techniker Krankenkasse in Hamburg leitet.

Mit ihrem deutschlandweit einmaligen Masterstudiengang will die private Hochschule auf die steigenden Anforderungen der Unternehmen reagieren. „Man bekommt einen generalistischen Überblick und kann sich ein tolles Netzwerk aufbauen“, sagt Marcus Schermann, der sein Masterstudium dort im März 2016 aufgenommen hat.

Kommilitonen sind Ermittler und Juristen

Zu seinen Kommilitonen zählen Polizeibeamte, aber auch private und betriebliche Ermittler, Sicherheitsberater, Mitarbeiter von Behörden und Organisationen mit Sicherheitsaufgaben oder Juristen. Neben relevanter Berufserfahrung wird ein erster Studienanschluss vorausgesetzt.

Schermann hat 2010 seinen Bachelor in Sicherheitsmanagement an der HWR erworben, seit 2011 arbeitet er in Berlin für DB Sicherheit. Mittlerweile gehört der 32-Jährige dort zu einem Team, das für alle Einheiten des Schienenkonzerns, aber auch für externe Kunden Sicherheitskonzepte erstellt. Während des Studiums hat der ehemalige Zeitsoldat und Reservist der Feldjäger unter anderem als Türsteher für den Technoclub Tresor gejobbt und Einlasskontrolle bei Fußballspielen gemacht.

Frauen können oft besser deeskalieren

Ist die Sicherheitsbranche also doch eher eine Männerdomäne, in der ohne Muskeln nichts geht? „Ein kräftiger Mann hat als Türsteher tendenziell natürlich Vorteile, dafür können Frauen oft besser kommunizieren und eine brenzlige Situation deeskalieren“, sagt Tobias Bäuscher. Rund ein Viertel der Studierenden in seinem Jahrgang seien weiblich, schätzt der angehende Sicherheitsmanager.

Auch Manfred Richter freut sich besonders über Bewerberinnen, die bei Bayer eine Ausbildung zur Sicherheitsfachkraft absolvieren möchten. Noch sind Frauen in seinem Team zwar klar in der Minderheit, doch: „Bei den meisten Aufgaben kommt es hier einzig und allein auf Fachwissen an“, sagt er. Nicht auf Körperkraft.