Mainz/Offenbach. Jeden Tag gibt es einen neuen Wetterbericht. Doch wie genau entsteht die Vorhersage? Ein Besuch bei den Meteorologen vom Wetterdienst.
Der Arbeitstag von Katja Horneffer auf dem Mainzer Lerchenberg beginnt mit einem Blick in die Vergangenheit. Hat die Prognose vom Vortag gestimmt? Gab es nun Regen – oder hatte der Kollege vielleicht doch
recht? Ein Spiel unter Meteorologen, die uns heute das Wetter von morgen vorhersagen. Deren Anspruch es ist, den unberechenbaren Zustand der Erdatmosphäre eben doch zu berechnen.
Katja Horneffer ist, genau wie ihre Kollegen in der ZDF-Wetterredaktion, studierte Meteorologin. Sie bringt den Wetterbericht in die deutschen Wohnzimmer. Nach den Nachrichten um 19 Uhr, nach dem „heute journal“ später am Abend. Je nach Lage auch in anderen Sendungen. „Man muss es sich ein bisschen so vorstellen, als seien wir Teil der Familien. Die Zuschauer bauen eine Beziehung zu uns auf“, sagt sie. Wetter geht jeden etwas an. Und jeder redet mit. Verstehen tun es die wenigsten.
Das ist die Kunst, die Katja Horneffer und ihre Kollegen beherrschen: Wetter verstehen. Aus unterschiedlichen Modellen eine Vorhersage komponieren, die so nah wie möglich an die Realität heranreicht.
Der Deutsche Wetterdienst ist eine Bundesbehörde
Die Daten, die den Modellen zugrunde liegen, liefert der Deutsche Wetterdienst (DWD). Eine Bundesbehörde mit Sitz in Offenbach am Main. Ein meteorologisch-technischer Dienstleister, finanziert vom Steuerzahler. Herz und Kopf der Meteorologie in Deutschland – so formuliert Gerhard Lux vom DWD.
Ein offener Ort, die Nachbarschaft kommt zum Mittagessen in die Kantine, zum Surfen im Internet und Stöbern in die Bibliothek – „Europas größte Fachbibliothek für Wetter und Klima“, wie Lux betont. 186.000 Bände, der älteste von 1483. Man sei hier in Offenbach stolz auf seinen Wetterdienst, Lux ist es auch: „Geht es um die Verteilung und Auswertung von internationalen Wetterdaten, ist Offenbach eine der wichtigsten Schnittstellen weltweit“, sagt der Diplom-Meteorologe.
Das Herz dieser Schnittstelle trägt den Namen DMRZ, Deutsches Meteorologisches Rechenzentrum. In den Räumen im Erdgeschoss des DWD laufen hinter dicken Sicherheitstüren alle Informationen zum globalen Wettergeschehen ein. Aus Prag, Peking, Nairobi, Dschidda und Toulouse, die wiederum Informationen aus anderen Teilen der Erde liefern. Wenn also Kanada Wetterdaten aus Südafrika braucht, sammelt Offenbach sie ein und schickt sie weiter.
Aus 2,95 Millionen Punkten entsteht eine Vorhersage
Aufgezeichnet werden die Daten von weltweit 12.000 international genormten Messstationen. Hinzu kommen Satelliten, Bojen, Wetterballons, Schiffe und vereinzelt noch Wetterbeobachter. Sie alle erfassen den Ist-Zustand: Wie ist das Wetter jetzt gerade? Sie messen Luftdruck und -temperatur, die Windrichtung und -geschwindigkeit. Regnet es? Leicht, mittel oder schwer? Ist Nebel dabei oder Gewitter? Wie ist die Bewölkung? Insgesamt 100 verschiedene Wettersituationen sind definiert. 00: nichts zu vermelden. 50: leichter Nieselregen mit Unterbrechungen. 99: schweres Gewitter mit Hagel.
Dieser Ist-Zustand, den die Messstationen liefern, ist Grundlage für die Vorhersage. Er wird Punkten eines Gitternetzes zugeordnet, das sich mit einer Maschenweite von 13 Kilometern um den Globus legt und in 90 Schichten in die Höhe reicht – 2,95 Millionen Punkte, die ein Wetter zugeteilt bekommen. „Das ist virtuelles Wetter, denn es kann nicht alle 13 Kilometer eine Messstation stehen“, sagt Lux. Hier entsteht die erste Ungenauigkeit in der Messung.
Das Modell muss auch Informationen weglassen
Ausgehend vom Ist-Zustand blicken die Meteorologen – einfach ausgedrückt – zurück und fragen: Wie war das Wetter zuvor und wie hat es sich entwickelt? „Mit dem Wissen, wie die Atmosphäre in dieser und jener Situation normalerweise reagiert, kann man berechnen, wie das Wetter mit hoher Wahrscheinlichkeit in den nächsten Tagen sein wird“, erklärt Lux. Doch ein „wahrscheinlich“ bleibt. Auch wegen der Masse an Daten. Um die zu beherrschen, muss das Modell vereinfachen. Es rundet, lässt Informationen weg.
Und trotzdem arbeiten die Hochleistungsrechner Tag und Nacht. Übermannshoch stehen sie auf 1000 Quadratmeter Fläche, unterirdisch über 50 Kilometer Kabel verbunden. Das ohrenbetäubende Rauschen lässt die Arbeit erahnen, die sie leisten: 1,8 Billiarden Rechenoperationen in einer Sekunde. Selbst wenn die Leistung der Computer ins Unendliche gesteigert werden könnte – das „wahrscheinlich“ bliebe. Denn das Wetter ist ein sogenanntes chaotisches System. Niemand weiß exakt, was es als Nächstes tut. „Der Mathematiker würde sagen: ‚Das geht einfach nicht. Das Problem ist unlösbar.‘ Der Physiker sagt: ‚Ich versuche trotzdem, so nahe heranzukommen wie möglich‘“, sagt Lux. Meteorologen sind Physiker.
Genauigkeit von mehr als 90 Prozent
Tatsächlich kommt die Vorhersage schon nah an die Wahrheit ran. Für den nächsten Tag liegt die Genauigkeit laut DWD bei 92 bis 95 Prozent. Die Vorhersage für Tag sechs ist heute genauer als die für Tag eins in den 70er-Jahren.
Die errechneten Daten werden an Wasserschifffahrtsämter und Hochwassermeldezentralen verschickt. An Katastrophenschutzeinrichtungen, Fluggesellschaften, Medien, private Wetterfirmen und rund 30 Wetterdienste auf der ganzen Welt. Sie nehmen das globale Wettermodell aus Offenbach als Grundlage für ihr nationales Modell. Täglich gehen rund 40.000 Berichte an die weltweiten Nutzer.
Deutschland feiert weiße Ostern
Höchstens zwei Minuten dauert die Wettervorhersage im Fernsehen
Auch die Wetterredaktion des ZDF arbeitet mit den Daten des DWD. Doch welche Komplexität sich hinter den Wettermodellen verbirgt, kann der Zuschauer kaum erahnen, wenn er den Wetterbericht im Fernsehen verfolgt. Zwischen einer Minute und zehn Sekunden und zwei Minuten bleiben Katja Horneffer für ihren Bericht. Wertvolle Zeit, für die auch schon mal das „Guten Abend“ wegfällt. Wenn sich Zuschauer wie neulich beschweren, dass es ihr doch möglich sein müsse, den Zuschauer zu begrüßen, schreibt sie einen freundlichen Brief: „Es kostet wertvolle Sekunden. Und ich habe nur 70 davon.“
Katja Horneffer ist es wichtig, dass die Leute etwas davon mitnehmen, was sie in die Kamera spricht. Wie der Taxifahrer, der die Meteorologin erkannte und seinem Kollegen am Taxistand das Wetterphänomen „El Niño“ erklärte. Er hatte es zuvor von ihr gelernt.