Berlin. Zehn Millionen Frauen leiden unter wiederkehrenden Harnwegsinfekten. Urologe Wolfgang Bühmann erklärt, wie sie entstehen und was hilft.

Es zieht, brennt und tröpfelt – nur einige Männer, aber mehr als jede zweite Frau leidet mindestens einmal im Leben unter einer Blasenentzündung. Bei vielen kehrt die schmerzhafte Infektion der Harnwege immer wieder. Experten schätzen, dass bei kaum einer anderen Erkrankung so häufig unnötig Antibiotika verschrieben werden.

Dr. Wolfgang Bühmann, Sprecher des Berufsverbandes der Deutschen Urologen, erklärt, wann die aggressiven Mittel nötig sind, wann es auch ohne geht, wie Betroffene vorbeugen können und warum Cranberry­extrakt nicht hilft.

Gibt es so etwas wie eine chronische Blasenentzündung?

Wolfgang Bühmann: Nein. Chronisch würde dauerhaft bedeuten, diese Bezeichnung ist also falsch. Blasenentzündungen können wiederkehrend sein, Ärzte nennen das „rezidivierend“. Ein eigenes Krankheitsbild ist das jedoch nicht. Jede Blasenentzündung wird beim Arzt als Blasenentzündung erfasst. Aus diesem Grund gibt es auch keine validen Statistiken dazu, wie viele unter mehreren Blasenentzündungen pro Jahr oder sogar Monat leiden. Vorwiegend sind davon Frauen betroffen, in Deutschland schätzungsweise zehn Millionen. Die Häufigkeit ist dabei sehr unterschiedlich. Je nach individueller Wahrnehmung können sie eine erhebliche Belastung darstellen.

Was sind die Ursachen?

Relevant ist vor allem eine örtliche Immunschwäche, für die manche eben besonders anfällig sind. Man sitzt etwa auf einem kalten Stein oder einer Mauer, es kommt zu einer Unterkühlung, die Durchblutung im Beckenbereich nimmt ab und die örtliche Abwehr wird abgeschwächt, die Bakterien, die zu einer Blasenentzündung führen können, können sich vermehren.

Welche Bakterien sind das?

Besonders häufig sorgen Darmkeime wie zum Beispiel E.coli für Blasenentzündungen. Aber auch Bakterien aus der Umwelt, die immer um und auf uns sind, wie zum Beispiel Streptokokken und Staphylokokken.

Wie kommen sie in die Harnröhre?

Ein Grund für die Übertragung zum Beispiel von E.coli-Bakterien kann bei Frauen die falsche Reinigung nach dem Stuhlgang sein. Es muss vom Genitalbereich weggewischt werden, also von unten nach oben, nicht andersherum.

Welche Rolle spielt Sex?

Eine Übertragung der Bakterien beim Geschlechtsverkehr vom Mann auf die Frau kommt fast nie vor. Oft spielen sich Dramen ab, da wird vermutet, dass der Mann fremdgeht, weil die Frau nur nach dem Geschlechtsverkehr eine Blasenentzündung bekommt. Fremdgehen ist dafür aber nicht die Ursache. Durch die mechanische Bewegung werden Bakterien aus der Scheide Richtung Harnröhre transportiert. Es ist in puncto Blasenentzündung deshalb egal, ob ein Kondom verwendet wird oder nicht.

Wie vorsichtig müssen anfällige Frauen beim Sex sein?

Es gibt ein paar Gegenmaßnahmen. Die einfachste ist, nach dem Verkehr direkt Wasser zu lassen. Das bedeutet jedoch nicht, noch beim letzten Hauch des Orgasmus aus dem Bett springen zu müssen – das wäre ja sehr unerotisch. Aber sobald sich die Erregung gelegt hat, sollte die Frau zur Toilette gehen. Darüber hinaus gibt es ein rezeptpflichtiges Medikament, das nach dem Verkehr eingenommen werden kann. Bei dieser One-Shot-Therapie handelt es sich um ein Chemotherapeutikum, also ein chemisches Medikament, das den Harn desinfiziert, quasi wie Domestos für die Blase. Der Wirkstoff heißt Nitrofurantoin und wirkt am besten bei leerer Blase.

Was bringen natürliche Mittel wie Cranberry, Kürbiskern und Co.?

Nur für sehr wenige Substanzen, die man ohne Rezept in der Apotheke bekommt, ist die Wirksamkeit belegt. Für Cranberry ist sie sogar widerlegt. Saft und Pillen sollen verhindern, dass sich Bakterien an die Blasenschleimhaut haften. Das klappt aber nur in der Theorie. Studien haben gezeigt, dass es in der Praxis nicht so klappt wie gewünscht. Die bislang einzige frei verkäufliche Substanz, die nachweislich wirksam ist, sind Senföle. Sie werden aus Meerrettich und Kapuzinerkresse gewonnen. Große Hoffnung wird in die sogenannte D-Mannose gesetzt, ein natürlicher Zucker. Studien zeigen bereits erste Erfolge, doch es muss noch weitergeforscht werden, bislang ist es nur ein Ausblick.

Muss es also immer ein Antibiotikum sein?

Nein. Antibiotika werden viel zu oft verschrieben. 80 Prozent der Blasenentzündungen würden auch durch reichliche Flüssigkeitsaufnahme – bei Herzgesunden zwei bis 2,5 Liter am Tag – und Wärme innerhalb einer Woche ausheilen. Es muss übrigens kein spezieller Nieren- oder Blasentee sein, der meistens scheußlich schmeckt, sie nützen nicht mehr als Wasser. Es geht lediglich um die mechanische Durchspülung der Blase. Die Wärme kurbelt die Durchblutung an. Schmerzmittel können das Brennen beim Wasserlassen mildern, etwa mit den Wirkstoffen Paracetamol, Ibuprofen oder Novaminsulfon. Entzündungshemmend wirkt keines der Mittel bei Blasenentzündung, sie stillen den Schmerz.

Wann sind Antibiotika unumgänglich?

Wenn ein Patient extrem starke Schmerzen, Flankenschmerzen oder Blut im Urin hat, sollte das unbedingt ein Arzt untersuchen und dann entscheiden, ob ein Antibiotikum sinnvoll ist. Ein Urintest ist dafür nicht zwingend notwendig. Er kann aber parallel zur Antibiotikagabe gemacht werden, um mögliche Resistenzen auszuschließen.

Wie hoch ist das Risiko einer Antibiotika­resistenz?

Bei mehrfachen Einnahmen wirkt das Antibiotikum irgendwann nicht mehr, und es gibt nicht viele Alternativen, auf die ein Arzt zurückgreifen kann. Die Entwicklung neuer Medikamente kostet zwischen 500 und 800 Millionen Euro und dauert bis zu acht Jahre, die Forschung kommt nicht mehr hinterher. Deswegen gilt: Wir müssen die Verschreibung reduzieren und Antibiotika nur präzise einsetzen.

Welche Möglichkeiten gibt es zur Immunisierung?

Es gibt die sogenannte Strovac-Impfung, sie enthält abgetötete Bakterienarten, die häufig Blasenentzündungen auslösen. Ähnlich funktionieren die Tabletten Urovaxom. Der Wirksamkeitsnachweis steht noch aus, deswegen werden weder Impfung noch Tabletten von der Krankenkasse gezahlt. Viele Frauen profitieren jedoch von der Immunisierung durch eine unspezifische Abwehrsteigerung.