Ajaccio. Köstlichkeiten entdecken – das lohnt sich auf Korsika auch noch im November: Sechs Stunden Sonnenschein und Wärme oft über 20 Grad.

Es sind nur 180 Kilometer, die Korsika von Frankreich, dem politischen Mutterland, trennen. 180 Kilometer zwischen dem Festland und der Insel. Dennoch ist Korsika ganz weit weg. Die Korsen pflegen ihr Selbstbewusstsein und ihre Eigenarten, ihre Sprache, ihre raffinierte korsische Küche – und ihren ureigenen Stolz. Den vor allem und alles zusammen vielleicht als trotzige Antwort auf ihre Geschichte der ständig wechselnden fremden Herren und Herrschaften. Den Stolz von Bewohnern, die sich nicht unterkriegen lassen. Frankreich und das Französische sind irgendwo im korsischen Hinterkopf abgespeichert. Aber dort, wo die Gefühle liegen und die heimatverbundene Liebe zu allem, was heilig und bewahrenswert ist, dort muss bei den Korsen der markante Umriss ihrer Insel verankert sein, länglich-oval, mit der Ausbuchtung hoch im Norden, dem Cap Corse, dem Zeigefinger Korsikas.

Genau diese Form der Insel hat mit etwas Fantasie das Loch in der Felsendecke der Grotte Sdragonato. Zu erkennen, wenn man an Bord des Ausflugsboots den Kopf in den Nacken legt und der Bootsführer zuvor durch die schmale Felsöffnung geschaukelt ist, was bei ruhiger See kein Problem ist. Korsika als himmlische Erscheinung. Das kommt der Wahrheit doch schon nahe. Vor allem hier, ganz im Süden der Insel.

Neben der Bordwand tummeln sich Schwärme von Fischen im glasklaren Wasser. Die einstündige Ausflugstour vom malerischen Hafen von Bonifacio aus ist ein Muss für Besucher des Inselsüdens. Von der Meerseite ist der Blick auf die steil auf­ragenden Kalkwände mit den abenteuerlich angelegten Häusern der Altstadt-Halbinsel am schönsten. Ein Stückchen weiter markiert eine scharfe Linie an der Felswand die „Treppe des Königs von Aragon“: 187 Stufen von der Oberstadt hinunter zum steinigen Ufer, der Legende nach 1420 in einer einzigen Nacht aus der Wand geschlagen bei einer Belagerungen der Stadt. Zu Füßen liegt hier eine Trinkwasserquelle.

Den Namen „Blutwurst“ am besten vergessen – und einfach probieren

Am Horizont, zwölf Kilometer hinter Boni­facio, der südlichsten Stadt Frankreichs, ist jenseits der Meerenge bei guter Sicht Sardinien erkennbar. Mit den Bewohnern der italienischen Nachbarinsel können sich die Korsen problemlos verständigen. Korsisch hat mit dem Italienischen mehr gemein als mit dem Französischen. So auch mit der Mentalität.

Die Französin Valerie-Anne Builliard, verheiratet mit einem Korsen, musste sich erst an den Gedanken gewöhnen, als ihr Mann ankündigte, der 15 Jahre alten Tochter das Schießen mit dem Jagdgewehr beizubringen, „weil das hier jeder können muss“. Natürlich unter Einhaltung gesetzlicher Vorgaben. Die Jagd auf Tiere zur Bereicherung des Speisezettels gilt als Teil der Tradition, in deren Geheimnisse die nächste Generation eingeweiht wird.

Zur Tradition Korsikas gehören auch die Rezepte der Spezialitäten aus einer Küche, die ursprünglich mehr von Fleisch als von Fisch bestimmt war. Der Fischfang spielte für die überwiegend auf dem Land lebende Bevölkerung nur eine Nebenrolle. Dafür gab und gibt es reichlich halbwilde Schweine, die sich von Kastanien ernähren und deren zartes Fleisch zu aromatischen Wurst- und Schinkenspe­zialitäten verarbeitet wird. „Sangui“ zum Beispiel ist mit Blutwurst nur unzu­reichend ­übersetzt. Den Namen am besten vergessen – und einfach probieren, ebenso die zarten Schinken oder den in der Form rollbratenähnlichen Coppa. Ziegen und Schafe liefern die Milch für den würzigen Käse, von dem es so viele Sorten gibt wie Dörfer auf Korsika.

Selbst in höheren Lagen gedeihen vielerlei Kräuter

Als König der Käsespezialitäten gilt der Brocciu, ein milder Frischkäse aus Ziegen- oder Schafsmilch, der ungesalzen zu leckeren Süßspeisen verarbeitet wird. Mit Kräutern verfeinert er Nudel und andere Teiggerichte. Aus elf Litern Milch entsteht ein Kilo Brocciu. Er ist auch eine wichtige Zutat für die Beignets au Brocciu, einer in Fett gebackenen Art Krapfen aus Eiern, Kräutern und geriebenen Zucchini, einer Vorspeise, von denen unzäh­lige Varianten existieren. Ein anderer Ziegenkäse heißt Blume der Macchia (La fleur du maquis). Nach kurzer Reifezeit trägt er den Duft korsischer Kräuter in sich, der für die Insel so typischen Macchia, dem immergrünen Wildwuchs der aromatischen, stark ­ölhaltigen Hartgewächse.

Selbst in höheren Lagen gedeiht üppig, was in nördlichen Breiten nur unter Mühen im Sommer gezogen werden kann: Rosmarin, Myrte, Wacholder, Thymian, Lavendel oder der immergrüne Erdbeerbaum mit kirschgroßen Früchten, die trotz verlockenden Aussehens eher geschmacklos sind, wie der lateinische Namenszusatz „unedo“ („ich esse nur eine“) treffend wiedergibt. Den prägendsten Duft verbreitet die Immortelle („Unsterbliche“), getrocknet tut sie das noch nach zehn Jahren. Als Currykraut würzt sie Soßen, ihre Öle sollen entgiften und Blutergüsse lindern.

Köstlichkeiten entdecken – das lohnt sich auf Korsika noch im Spätherbst bei sechs Stunden Sonne am Tag mit Wärme oft über 20 Grad. Wenn der Touristenstrom im Herbst deutlich nachlässt, kommt mehr Ursprüngliches zum Vorschein. Auf dem Platz im Herzen von Sartène beherrschen dann wieder die älteren Männer das Bild in den Straßencafés. Von hier reicht der Blick bis zum Golf von Valinco. 80 Kilometer sind es bis zur Hauptstadt Ajaccio weiter im Norden. Ein Abstecher nach Sartène lohnt auch von den benachbarten Badestränden von Roccapina oder Cala Barbaria. Der 3200-Einwohner-Ort Sartène wirbt damit, „die korsischste aller korsischen Städte“ zu sein, ein Gütesiegel des französischen Schriftstellers Prosper Mérimée (1803–1870), der die blutigen Familienfehden des Ortes einst literarisch ausschmückte und damit weitere Fehden und eine Art Bürgerkrieg im Ort förderte.

Weit in die Vergangenheit reichen die Spuren von Korsikas Menhiren

Der Vendetta, der auch aus Italien bekannten Blutrache, fielen über Jahre Dutzende Bewohner zum Opfer. Aus der Feindschaft zweier Sippschaften wurde ein Krieg der ­beiden Stadtviertel – hier das herrschaftlich geprägte Sainte-Anne, dort das bürgerliche Borgo, bis die feindlichen Lager schließlich 1834 in der Kirche Sainte-Marie im Ortszentrum einen Friedensvertrag schlossen.

Der Schrecken über die unchristlichen Bluttaten ist immer noch im Gedächtnis der Bürger. Jedes Jahr am Karfreitag tritt ein anderer anonym bleibender Mann, verhüllt im roten Gewand und unter einer roten Kapuze, aus der Kirche zum Büßergang mit einem 31,5 Kilo schweren Kreuz und einer 14-Kilo-Eisenkette durch den Ort. Dem großen Büßer „Cantenacciu“ – von catena, die Kette – verdankt das Spektakel seinen Namen. Nur der Pfarrer kennt die Identität des Büßers, der sich von seiner Schuld befreien will.

Einer dunklen Seite der Sonneninsel können Besucher im ehemaligen Straßenwärterhäuschen von Roccapina begegnen, wo das Küstenschutzamt ein Museum eingerichtet hat. Dort werden Szenen aus dem Schwarz-Weiß-Stummfilm „Liebe und Vendetta“ gezeigt, gedreht in der Macchia mit augenrollenden Darstellern vor der Kulisse eines Felsens, der die Form eines Löwen hat. Der Streifen von 1923 wurde 1981 in einem Keller in Sartène gefunden und von Filmexperten restauriert. Ein Zeugnis eindrucksvoller Filmgeschichte. Vom Museum aus kann man sich in 20 Minuten Spaziergang über die Entstehung der „Tafone“, so heißen die „durchlöcherten Steine“, schlau machen, die im Zuge tausendjähriger Verwitterung bizarre Hohlräume und fantasievolle Formen aufweisen. Schon in ur- und frühgeschichtlicher Zeit wurden sie als Wohn- und Schlafstätten oder als Ställe genutzt.

Der Tourismus auf der Insel soll weiter ausgebaut werden

Weit zurück in die Vergangenheit reichen die Spuren von Korsikas Menhir-Fundstätten. In Filitosa entdeckte Charles-Antoine Cesari 1946 auf seinem Grundstück am Fuße eines Hügels Druidensteine, Menhir-Statuen und Reste einer steinzeitlichen Siedlung. Noch ­ältere Spuren, gefunden in der Nähe von Bo­nifacio, sind 9000 Jahre alt. Die Steinmonumente von Filitosa zeigen menschliche Gesichter oder anatomische Abbildungen wie Wirbelsäule und Schulterblatt, Zeugnisse prähistorischer Steinmetze. Hier finden sich auch steinerne Hütten aus der Bronzezeit (ca. 1800 v. Chr.) und der Steinbruch, aus dem das Rohmaterial der Menhire geschlagen wurde.

Ganz andere Spuren der Vergangenheit kommen in der Nähe des Hafenortes Propriano zum Vorschein: eine 52 Grad heiße Quelle. Vom Thermalhotel in Baracci steht nur noch eine Ruine. Eigentümer ist seit 1993 die Gemeinde Olmeto. Das kleine Badegebäude auf dem Gelände mit je einem Badebecken drinnen und draußen voller schwefelhaltigem, 38 Grad temperiertem Wasser wurde erst jüngst modernisiert und ist in Betrieb. Über die Zukunft der Ruine soll noch diesen Herbst entschieden werden. Wer die korsische Politik kennt, rechnet großzügiger: Es könnte noch Jahre dauern. Dabei hat Korsika noch viel vor. Der Tourismus soll weiter ausgebaut werden. Regierungschef Paul Giacobbi betont gern die Eigenständigkeit seiner Heimat. Manches würde er lieber gleich mit Brüssel als mit Paris verhandeln. Bevor sich ein Korse als Franzose bezeichnet, mutiert er noch eher zum Euro­päer. Ein Europa starker Regionen – dieses Konzept mögen auch die Korsen.

Tipps & Informationen

Anreise z. B. von Berlin mit Air France über Paris nach Ajaccio.

Übernachtung z. B. in Ajaccio im La Pinède, DZ ab 85 Euro (www.la-pinede.com); Best Western Ajaccio Amirauté ab 80 Euro (www.bestwestern.fr/de/hotel-ajaccio); Hotel Fesch ab 70 Euro (www.hotel-fesch.com); in Bonifacio im Hotel Santa Teresa (ehemalige Gendarmerie), Quartier Saint-François, ab 100 Euro, www.hotel-santateresa.com; in Sartène im Hotel des Roches, Avenue Jean Jaurès, www.sartenehotel.fr., ab 80 Euro.

(Die Reise erfolgte mit Unterstützung durch Atout France.)