Berlin. Warum schimmeln Lebensmittel? Wirft man Obst, Gemüse oder Brot lieber weg oder reicht es, ein Stück wegzuschneiden? Das sagen Experten.

Es war einmal eine appetitliche Weintraube, die von einem Teller im Kühlschrank gefallen war und sich in einem seiner hintersten Winkel versteckte, wo sie erst nach mehreren Tagen wieder gesichtet wurde. Zu diesem Zeitpunkt war sie bereits sehr matschig, sodass der Finder lieber nichts mehr mit ihr zu tun haben wollte. Standhaft ignorierte er sie fortan bei jedem Öffnen der Kühlschranktür. Erst nach mehreren Wochen zwang ihn das mittlerweile grauschwarze Etwas zum Handeln: Er rief seine Freundin zu Hilfe.

Verschimmelte Lebensmittel sind eine eklige Angelegenheit. Den meisten vergeht sofort der Appetit, wenn sie die charakteristischen schwarzen oder grünen Kreise, die orangefarbenen Punkte, den weißen Flaum auf Joghurt, Frischkäse, in der Marmelade oder auf dem Brot entdecken. Bloß weg damit! Etwas robustere Naturen schneiden großflächig heraus, was da so ansehnlich wuchert, und essen die Reste. Lange Zeit galt Letzteres zumindest in Bezug auf Hartkäse, Brot und einige Obst- und Gemüsesorten als das vernünftige Vorgehen. Doch je mehr Ernährungsexperten herausfinden über die verschiedenen Schimmelpilze, desto stärker raten sie zur Vorsicht.

Kulturpilze sorgen für pikanten Geschmack

Was von sichtbarem Schimmel befallen ist, solle man besser nicht mehr essen und auch nicht weiterverarbeiten, rät der Diplom-Trophologe Rüdiger Lobitz vom Verbraucherinformationsdienst aid – das gilt für alle Lebensmittel. Durch Kochen oder Einfrieren lassen sich die Schimmelpilzgifte in der Regel nicht unschädlich machen.

Anders als Kulturpilze, die etwa Camembert oder Gorgonzola zugesetzt werden, um besondere Aromen und pikanten Geschmack zu erzeugen, produzieren die unerwünschten Schimmelpilze giftige Stoffwechselprodukte. Die sogenannten Mykotoxine können Menschen und Tieren gefährlich werden. „Insgesamt kennt man über 400 verschiedene Schimmelpilzgifte in Lebensmitteln“, sagt Prof. Peter-Michael Rath vom Institut für Medizinische Mikrobiologie des Uniklinikums Essen. „Und das ist vermutlich nur ein Bruchteil derer, die tatsächlich existieren.“ Einige dieser Gifte sind erwiesenermaßen krebserregend, andere wirken sich negativ auf die Blutbildung aus, können die Leber schädigen oder zu Nierenversagen führen.

Wie kommt der Pilz an das Brot?

Doch wie kommen die Pilze überhaupt an Brot oder Joghurt? Lebensmittelchemiker sprechen in diesem Zusammenhang von Primär- oder Sekundärkontamination und von Übertragung: Bei der Primärkontamination sind bereits die Lebensmittelrohstoffe, zum Beispiel Getreide oder Obst, von Schimmelpilzen befallen. Das kann vor oder nach der Ernte geschehen sein – vor allem bei feuchtwarmer Witterung, in der sich Pilze besonders wohl fühlen.

So stellte im Mittelalter die Verunreinigung von Getreide mit dem Mutterkornpilz ein großes Problem dar: Sein Gift, das Ergotamin, verengt die Gefäße, sodass es zu schweren Durchblutungsstörungen von Gliedmaßen, Nieren und Herzmuskel kommt. Heute weiß man um die Gefahren dieses Schimmelpilzes – verunreinigtes Getreide gelangt kaum noch in den Verkauf, da der Pilz entweder durch Pestizide abgetötet oder aber befallenes Getreide aussortiert wird.

Schimmelige Gewürze werden an der Grenze abgefangen

Bei einer Sekundärkontamination entwickeln fertig verarbeitete Lebensmittel durch zu lange oder falsche Lagerung Schimmelbefall. Auch hier spielt Feuchtigkeit eine wesentliche Rolle. Und schließlich können auch tierische Produkte wie Fleisch, Eier oder Milch Mykotoxine enthalten, weil das Tier verunreinigtes Futtermittel aufgenommen hat, es also zu einer Übertragung gekommen ist.

Um zu vermeiden, dass Verbrauchern mykotoxinbelastete Lebensmittel verkauft werden, gilt EU-weit das Minimierungsgebot, auch als ALARA-Prinzip (as low as reasonably achievable-Prinzip) bezeichnet, das sowohl Hersteller als auch Händler dazu verpflichtet, den Mykotoxingehalt so niedrig zu halten, wie dies vernünftigerweise möglich ist. In der EU-Verordnung Nr. 1881/2006 sind zudem Grenzwerte festgelegt, die neben Kontaminanten wie Nitrat und Dioxin auch die Mykotoxine erfassen.

Meist entwicklen sich die Pilze erst zu Hause

Diese Regelungen werden durch die nationale „Kontaminanten-Verordnung“ noch ergänzt. Und schließlich werden beim Import von Lebensmitteln aus Drittstaaten, in denen die Grenzwerte nicht verpflichtend gelten, Einfuhrkontrollen durchgeführt. Das wird beispielsweise bei Nüssen, Trockenfrüchten oder Gewürzen relevant, die mit sogenannten Aflatoxinen verunreinigt sein können – in Lebensmitteln häufig auftretende Schimmelpilzgifte. Einige Aflatoxine „sind nachgewiesenermaßen krebserregend und außerdem giftig für die Leber“, sagt Peter-Michael Rath. Auch für Ochratoxine, die in Schokolade, Kakao, Kaffee, Rotwein und Schweinefleisch enthalten sein können, und die aufgrund ihrer nierentoxischen und immunsuppressiven Wirkung als gefährlich gelten, sind Grenzwerte festgelegt worden. So ist das Risiko, sich übermäßig belastete Lebensmittel ins Haus zu holen, relativ gering.

Häufiger entwickeln sich Pilze erst durch falsche Aufbewahrung, zu lange Lagerung, weil die Verpackung nicht mehr richtig schließt, oder weil man mit allerlei unsauberem Besteck hantiert – das Buttermesser in die Marmelade tunkt oder damit ein Stück Käse abschneidet. „Pilze sind immer da, sie umgeben uns ständig, so wie auch Bakterien“, sagt Rüdiger Lobitz. „Daher gelten in der Küche drei Prinzipien: die Personenhygiene, sprich gewaschene Hände, die Produkthygiene, also ein hygienisch einwandfreies Produkt, und die Prozesshygiene, also das Benutzen sauberer Gerätschaften.“

Nicht rauschneiden – wegschmeißen!

Da Mikroorganismen zum Leben Wasser und Nährstoffe brauchen, sind getrocknete Lebensmittel wie Nudeln oder Haferflocken deutlich weniger anfällig als etwa Obst oder Quark. Ist der Schimmel aber erst einmal da, ist Wegschneiden oder Ablöffeln nur bedingt ratsam – denn was man sieht, sei nur ein kleiner Teil des Pilzes, sagt Peter-Michael Rath: „Bei einem Brot beispielsweise können Sie davon ausgehen, dass der unsichtbare Teil des Pilzes schon 20 Zentimeter weitergewachsen ist.“

Von den meisten Schimmelpilzen, die sich erst während der Aufbewahrung in den Lebensmitteln entwickeln, geht bei versehentlichem Verzehr kleiner Mengen keine akute Gesundheitsgefahr aus, abgesehen vielleicht von ein wenig Übelkeit. Also Entwarnung. Man müsse schon eine große Menge verschimmeltes Brot zu sich nehmen, um ernsthafte Probleme zu bekommen, sagt Rath. Gefährlicher sei der regelmäßige Verzehr über einen längeren Zeitraum.

Um den zu vermeiden, muss man sich allerdings nicht stoisch am Mindesthaltbarkeitsdatum orientieren, sondern darf sich auf seine Sinne verlassen, so der Ernährungsexperte Lobitz: „In der Regel sehen, schmecken oder riechen wir, wenn ein Lebensmittel verdorben ist.“