Berlin. Fahrgemeinschaften sparen Benzin, vermeiden Stress und werden immer beliebter – vor allem dank flexibler Buchung über das Smartphone.

Verkehrsexperten schätzen, dass rund 65 Prozent der Berufspendler mit dem Auto unterwegs sind. Um Benzin zu sparen und Stress im Stau zu reduzieren, steigt der Bedarf an Fahrgemeinschaften. Rund ein Drittel greift bereits auf Mitfahrmodelle zurück.

Wer kurzfristig auf der Suche nach einem Fahrer ist, wurde bisher nicht so leicht fündig. „Die Angebote sind viel zu kompliziert“, sagt Mobilitätsforscher Andreas Knie vom Wissenschafts­zentrum Berlin für Sozialforschung. Dank technischer Neuerungen ändere sich das aber derzeit. Die Zeiten von Anzeigen am Schwarzen Brett und Mitfahrertabellen sind vorbei. Fahrer und Mitfahrer organisieren sich online.

Service an Arbeitszeiten der Firma anpassen

Ein solches Geschäftsmodell haben die Macher der Mitfahr-App flinc entwickelt. Der Anbieter wirbt damit, Fahrten in Echtzeit zu vermitteln. Nutzer geben ihr Streckenangebot oder ihren Mitfahrwunsch ein. Per SMS, E-Mail oder Push-Nachricht kommen Fahrer und Mitfahrer zusammen. So flexibel die Mitarbeiter im Job sein müssen, so flexibel will auch die App sein. Laut flinc werden jeden Monat rund 650.000 Fahrten vermittelt. Die Plattform hat 200.000 registrierte Nutzer und ist kostenlos. Das Angebot nutzen auch Unternehmen, die den Service dann an die Bedingungen und Arbeitszeiten der Firma anpassen.

Ein ähnliches Angebot gibt es über mifaz.de. Finanziert wird das Portal überwiegend von Landkreisen, Städten, Gemeinden und „Unternehmen, die ihren Mitarbeitern ein eigenes Pendlerportal zur Verfügung stellen“, sagt Nora Boschatzke von mifaz.de. Auf den Webseiten der Behörden oder der Firmen wird das Portal eingebunden. So finden sich Fahrer und Mitfahrer aus der Region. Den Preis für die Fahrt gibt der Fahrer an, bezahlt wird in bar. Eine weitere Alternative ist der Mitfahr-Club vom ADAC – auch für Nicht-Mitglieder.

Üblich sind fünf bis sieben Euro für 100 Kilometer

Wer mitfährt ist weniger angestrengt, tauscht sich während der Fahrt mit Kollegen aus und kommt deutlich entspannter zur Arbeit. „Durch die Mitfahrgelegenheiten entsteht ein Sicherheitsplus und ein Stressminus“, sagt Matthias Dietz vom Projekt „Gute Wege“ des Auto Club Europa (ACE). In einigen Betrieben werden Anreize für die Mitfahrgelegenheit über die Vergabe der Parkplätze geschaffen. Ein Stellplatz nahe am Firmeneingang wird etwa nur für die Autofahrer reserviert, die in ihrem Fahrzeug mehrere Kollegen mit zur Arbeit nehmen.

Wie teuer aber darf eine Mitfahrgelegenheit sein? Dietz rät dazu, sich wöchentlich abzuwechseln. Damit gleichen sich Sprit- und Verschleißkosten ungefähr aus. Bei flinc macht der Anbieter einen konkreten Vorschlag, wie hoch der Preis für die Mitfahrt sein kann. Auch der ADAC hat einen Fahrpreisrechner. Üblich sind je nach Benzinpreisniveau, Fahrzeug und Verbrauch zwischen fünf bis sieben Euro je 100 Kilometer. Hinzu kommt: Den Arbeitsweg können Mitfahrer und Fahrer gleichermaßen über die Pendlerpauschale steuerlich geltend machen.

Durchschnittlich alle zwei Minuten eine Fahrt

Nicht nur auf der Kurzstrecke wird die Fahrt zunehmend geteilt, sondern auch auf längeren Routen. Wer beispielsweise von Berlin nach Köln will, aber keine Lust auf Bahn oder Fernbus hat, steigt für knapp 30 Euro im fremden Auto zu. Längst hat die Mitfahrgelegenheit den Ruf des unsicheren und unzuverlässigen Verkehrsmittels verloren.

Zu den größten Anbietern bundesweit gehört BlaBlaCar. In Hamburg und Berlin sei allein an den Septemberwochenenden im Durchschnitt ungefähr alle zwei Minuten eine über die Plattform gebuchte Fahrt gestartet. In Köln, Frankfurt, München und Stuttgart alle 2,5 Minuten, heißt es aus dem Unternehmen. Seit 2013 ist die französische Firma in Deutschland tätig. Der Durchbruch gelang durch die Übernahme der beiden kostenlosen Plattformen mitfahrgelegenheit.de und mitfahrzen­trale.de.

Reservierungsgebühr beim Marktführer sorgt für Ärger

Laut BlaBlaCar sind es nicht nur Studenten mit wenig Geld, die mitfahren. Ein Drittel der Nutzer ist älter als 35 Jahre, alle Berufsgruppen sind vertreten. Das System ist ausgefeilt: Auf der Plattform kann nach Abfahrts- und Ankunftsort, nach Datum und Uhrzeit ausgewählt werden. Das Profil der Fahrer zeigt neben Namen und Alter, Informationen zum Auto und zum Fahrstil. Sind Hunde erlaubt? Darf geraucht werden? Fahrten von Frauen für Frauen? Auch das steht im Profil. Und: Wie gesellig soll die Fahrt werden? Wer eine schweigsame Reise bevorzugt, klickt lieber nur ein „Bla“ im Profil an, Plaudertaschen nutzen das Symbol „BlaBlaBla“. Bewertungen für Fahrer und Mitfahrer sind selbstverständlich.

Was bei den Nutzern ankommt, ist das große Angebot und das sichere Buchungssystem. Per Kreditkarte, Sofortüberweisung oder PayPal reservieren Mitfahrer ihren Sitzplatz online. Keine Fahrt wird bar bezahlt. Telefonisch, per SMS oder E-Mail klären Fahrer und Mitfahrer die Details der Reise. Seit August verlangt die Plattform allerdings eine Reservierungsgebühr. Die Höhe ist abhängig von der Strecke. Für eine Fahrt von Hamburg nach Köln fallen etwa rund drei Euro an. Dadurch soll die Zusage der Mitfahrer verbindlicher werden.

Mit der Planungssicherheit steigt der Preis

„Das Modell Fahrgemeinschaft wird dadurch professioneller und seriöser“, sagt Dietz vom ACE. „Gleichzeitig steigt mit der Planungssicherheit aber auch der Preis.“ Damit habe man sich bewusst gegen ein Geschäftsmodell entschieden, das auf Werbung basiert, kontert das Unternehmen. Verbraucher beschweren sich zwar über die Gebühren. Doch kostenlose Alternativen wie www.bessermitfahren.de oder www.fahrgemeinschaft.de bieten häufig weniger Fahrten an.

Ist die Mitfahrgelegenheit ein zukunftsträchtiges Modell? „Ja“, sagt Mobilitätsforscher Knie. Aber nur wenn der Gesetzgeber reagiert. „Im Moment haben wir die Situation „Bürger fahren Bürger“. Damit wir ein professionelles neues Verkehrsmittel haben, brauchen wir einen anderen Rechtsrahmen.“ Der Transport von Personen durch andere Personen müsse als Geschäftsmodell erlaubt werden.