Berlin. Luke Wood machte Beats Electronics zur Marke. Ein Gespräch über Sound und darüber, warum seine Kopfhörer so klingen, wie sie klingen.

Jahrzehntelang waren teure Kopfhörer ein graues Nischenprodukt – dann kamen 2008 die Musikproduzenten Dr. Dre und Jimmy Iovine, gründeten Beats Electronics und machten teure Kopfhörer bunt und cool. 2011 stieß Luke Wood dazu und übernahm schließlich die Führung im Unternehmen. Gemeinsam mit Dre und Iovine entwickelte er die Marke weiter, 2014 wurde Beats schließlich für 3,2 Milliarden Dollar von Apple gekauft. Wood war zuvor selbst Musiker und viele Jahre in der Plattenindustrie tätig, förderte dort Bands wie Weezer oder die YeahYeahYeahs.

Erinnern Sie sich an die Songs auf Ihrem ersten Mixtape?

Luke Wood: Ja, das muss irgendwann zwischen 1978 und 1979 gewesen sein. Da war ich neun und habe Lieder aus dem Radio mit dem Kassettenrekorder aufgenommen. Lassen Sie mich das für die Jüngeren erklären: Wenn man jung war und kein Geld hatte und man bestimmte Lieder haben wollte, dann saß man vor dem Radio und drückte die Aufnahmetaste, sobald der Song gespielt wurde, den man haben wollte. Ich glaube, das erste Lied, an das ich mich erinnere, was ich so aufgenommen habe, war Blondies „One Way or Another“.

Früher musste eine Musiksammlung mühsam aufgebaut werden – heute ist jedes Lied nur einen Klick entfernt. Welchen Einfluss hat das auf die Art, wie wir Musik hören und wertschätzen?

Wood: Ich glaube, dass das einer rasanten Veränderung unterworfen ist – und ich glaube, dass Apple Music diese Entwicklung unterstützt. Schauen Sie sich die Zeit von 1998 bis 2008 an – ich nenne sie immer das „schlechte Jahrzehnt“.

… als man mit Programmen wie Napster, Kazaa oder Emule unbehelligt jedwede Musik illegal herunterladen konnte …

Wood: Damals hatte Musik ihren redaktionellen Kompass verloren. Es ging nur um Menge. Wenn du auf eine Band wie The Velvet Underground stehst, dann kann ich dir eben auch sagen, dass dir dann sicher The Modern Lovers, David Bowie und The Stooges gefallen. Das weiß ich, weil ich damals angefangen habe, in einer Band Gitarre zu spielen und weil eine Frau, die in einem Plattenladen arbeitete, es mir erklärt hat. Das waren Einflüsse, die die DNA meines Musikgeschmacks gebildet haben.

Für Beats-Chef Luke Wood ist gute Klangqualität ein Weg, um Emotionen der Musik besser zu verstehen.
Für Beats-Chef Luke Wood ist gute Klangqualität ein Weg, um Emotionen der Musik besser zu verstehen. © BM | PR

Im Zeitalter des freien Internets gibt es diese Tyrannei der Wahl – es gibt einfach so viel Musik da draußen. Und jetzt hast du mit Apple Music eben tatsächlich ein Produkt, was dir nicht nur all diese Musik anbietet, sondern sie auch für dich kuratiert – in Form von Playlisten und Vorschlägen oder auch als Auswahl von Journalisten, Musikern und Bands. Das kann dir helfen, deinen Geschmack zu formen – und eine Community zu finden.

Früher hat man auf Walkmen, später auf iPods und dann auf Smartphones die Musik mit den billigen mitgelieferten Kopfhörern gehört. Heute geben Menschen viel Geld für gut klingende Kopfhörer aus. Wann fing Sound an, eine Rolle zu spielen?

Wood: Das ist das Ende einer langen Entwicklung: In den späten 60ern fingen Menschen an, sich Hi-Fi-Anlagen zu kaufen, in den 70ern dann Autoradios. In den 80ern gab es dann kleine Gruppen von Audiophilen – einige haben sich auf CD-Technologie gestürzt, während andere riesige Bassboxen in ihre Autos einbauten. Mit der breiten Verfügbarkeit von Heimelektronik, vor allem dem PC, der Explosion von verfügbarem Speicherplatz, der Entstehung neuer Audioformate wie MP3 und natürlich mit dem Internet als Rückgrat einer weltweiten Verbreitung konnte man sehen, wie in den 90ern Bequemlichkeit zunehmend wichtiger wurde als Qualität. Und während man in Sachen Bildqualität immer mehr investierte – von SD zu HD, in OLED- und LCD-Bildschirme – und fast schon einen fetischistischen Fokus auf die Evolution der Bildqualität legte, war das Thema Audio von den frühen 90ern bis Mitte der Nullerjahre völlig abgemeldet. Und ich glaube, Beats hatte Anteil daran, dass die Leute realisiert haben, dass Klangqualität extrem wichtig ist, um die Emotionen der Musik zu verstehen.

Was unterscheidet denn einen guten Kopfhörer von einem schlechten?

Wood: Die meisten Menschen hören den Unterschied genauso, wie man auch auf den ersten Blick den Unterschied zwischen SD- und HD-Fernsehen sieht. Wenn Musikfans mit Premium-Kopfhörern Musik hören, dann ist das im Vergleich zu den einfachen, als ob du von Schwarz-Weiß zu Farbe wechselst.

Sind Sie es leid, in vielen Kopfhörertests zu hören, dass die Beats-Kopfhörer nicht gut seien, weil sie so basslastig klängen?

Wood: Die Art, wie wir den Sound für Beats gestaltet haben, war sehr eindeutig. Als wir anfingen, waren die konkurrierenden Kopfhörer meist Referenz-Kopfhörer – ein Sound, der extrem neutral, flach und analytisch klingt. Aber wenn Künstler ihre Alben voll­enden, dann hören sie ihre Musik nicht auf diese Weise. So analytisch hört man, wenn man im Studio den Klang der Basedrum abstimmt. Das sind Präzisionswerkzeuge, keine Abspielgeräte und erst recht keine Geräte für den Genuss. Und ich glaube, dass es da ein Missverständnis mit diesen technisch flach klingenden Referenz-Lautsprechern gibt, die Jimmy, Dre und ich natürlich alle in unseren Studios verwenden.

Sie sind ein wichtiges Werkzeug, um Platten aufzunehmen – aber sie geben nicht unbedingt die reine Wahrheit wieder. Die Musikproduktionsumgebung hat sich in den vergangenen 25 Jahren erheblich verändert. Und wir haben festgestellt, dass die meisten Kopfhörer, die bei Mediamarkt und Saturn in den Regalen liegen, wie in den 70ern und den frühen 80ern abgestimmt wurden. Damals konnte sich niemand vorstellen, dass Musik mal so tiefe Bässe nutzen würde. Bei Hip-Hop, R’n’B und Dance-Music liegen eben genau in den tiefen Frequenzen auch die Melodien. Mit den alten Kopfhörern hört man die nicht klar, man versteht das Gefühl der Musik nicht.

Und das war dann der Ausgangspunkt für den Beats-Sound?

Wood: Wir haben uns einfach gesagt: Okay, lasst uns einen Kopfhörer so abstimmen, dass er sowohl für die typisch klassische Musik funktioniert – also Jazz, die Beatles, Frank Sinatra –, aber gleichzeitig die Frequenzbreite und das Gefühl moderner Musik wiedergibt. Wissen Sie, ich bin ein Plattenfirma-Typ. Wenn ich in ein Studio kam, dann hat mir niemand etwas auf den Referenz-Kopfhörern vorgespielt. Sie wollten, dass ich begeistert bin, sie wollten, dass ich das volle Potenzial der Musik höre. Also haben sie die Musik auf den „Mains“, den großen Boxen vorgespielt. Und das ist vergleichbar mit dem, was wir tun und woran wir weiterarbeiten: einen Premium-Kopfhörersound zu entwickeln, der die Emotionen bietet, die man will, aber eben auch so viel Information des Songs wie möglich klar betont. Wir wollen eben einen Mittelweg zwischen diesen beiden finden.

Wenn man die Kopfhörer von vor zehn Jahren mit denen von heute vergleicht, hat man schon das Gefühl, dass sich die Konkurrenz in Sachen Design einiges von Beats abgeschaut hat. Glauben Sie, dass der Beats-Sound einen ähnlichen Einfluss hat?

Wood: Schauen Sie, wie viele Musiker unsere Produkte nutzen. Und als Künstler hörst du Musik nur mit dem bestmöglichen Gerät. Insofern denke ich schon, dass andere versuchen, diesem Erfolg nachzujagen. Aber wir haben einen besonderen Wettbewerbsvorteil, denn wir sind das einzige Kopfhörerunternehmen, dessen Leitung und Teile des Akustikteams direkt aus dem Aufnahmestudio kommen. Bei Beats arbeiten unsere Ingenieure, was die Klangabstimmung angeht, immer auch mit mir, Dr. Dre und Jimmy zusammen, außerdem greifen wir zusätzlich auf eine Auswahl von externen Produzenten zurück.

Ich sitze dann ganze Nachmittage mit dem Team zusammen, und wir hören uns Kopfhörer an. Wir sitzen da mit Platten, die wir gemacht haben – Bruce Springsteens „Born to Run“ wurde etwa von Jimmy abgemischt, Dr. Dre hat sein Album „The Chronic“ selbst abgemischt, er hat diese Eminem-Platten abgemischt, sie waren mit dabei, als Bruce Springsteen die Worte „Baby we were born to run“ gesungen hat. Jimmy erinnert sich genau daran, wie sich das für ihn angefühlt hat und wie es sich für den Hörer anfühlen sollte. Wenn da irgendetwas ist, was sich diesem Gefühl in den Weg stellen sollte, dann kann er ganz genau benennen, was das ist. Ich denke, es dürfte anderen ziemlich schwer fallen, ein vergleichbares Team für die Sound-Abstimmung zusammenzustellen.