Berlin. Narkolepsie ist eine rätselhafte Schlafkrankheit – und unheilbar. Betroffene verlieren schlagartig die Kontrolle über ihren Körper.

Die Müdigkeit begleitet sie auf Schritt und Tritt, der Schlaf überfällt sie anfallartig: im Gespräch, beim Essen, beim Fahrradfahren. Menschen, die unter Narkolepsie leiden, haben eine massiv gestörte Schlaf-Wach-Regulation und verlieren unvermittelt die Kontrolle über ihren Körper. Bis heute gibt die Krankheit Rätsel auf.

Wie viele Menschen von Narkolepsie betroffen sind, lässt sich nicht genau beziffern. Weltweit gibt es große regionale Unterschiede: So liegt die Prävalenz in Israel nur bei 1,4 bis 2,3 Fällen pro 100.000 Einwohner, in Japan bei 160 bis 590 und hierzulande bei 26 bis 50, darunter etwas mehr Männer als Frauen – das heißt, in Deutschland gibt es etwa 21.000 bis 40.000 Fälle. Zum Vergleich: Unter Parkinson leiden in Deutschland etwa 100 bis 200 von 100.000 Einwohnern.

Die Symptome

Mediziner unterscheiden zwei Formen der Krankheit: Das Hauptsymptom sowohl der Typ-I- als auch der Typ-II-Variante ist eine extreme Tagesmüdigkeit, die sich bereits kurz nach dem Aufstehen einstellt. Damit verbunden ist eine deutlich beschleunigte Einschlafneigung: „Während ein gesunder Mensch in ruhigen, monotonen Situationen durchschnittlich 15 Minuten braucht, bis er einschläft, dauert es bei vielen Narkolepsie-Patienten weniger als acht Minuten“, erklärt Dr. Ulrich Götze vom Schlafmedizinischen Zentrum der Ruhrlandklinik Essen. Außerdem kann sich der Gesunde dem Einschlafdrang mehr oder weniger erfolgreich widersetzen, was Narkolepsie-Patienten nicht gelingt. Im Extremfall schlafen sie mitten in einer Bewegung ein, ohne dass sie merken, wie der Schlaf sie übermannt.

Die Typ-I-Narkolepsie kennzeichnen neben der andauernden Müdigkeit sogenannte Kataplexien – ein plötzlicher Verlust der Muskelspannung, zu dem es bei manchen Patienten nur alle paar Monate, bei anderen 30-, 50- oder 100-mal täglich kommen kann. Um zu verstehen, was bei einer Kataplexie geschieht, hilft ein Blick auf den normalen Schlaf eines Gesunden: Dieser verläuft in Zyklen, die jeweils etwa eine bis eineinhalb Stunden dauern. Am Ende eines jeden Zyklus steht die sogenannte REM-Phase, die Rapid-Eye-Movement-Phase, die mit nachlassender Muskelspannung einhergeht. Bei Patienten mit Typ-I-Narkolepsie tritt dieser Verlust des Muskeltonus auch tagsüber ein, vollkommen losgelöst vom REM-Schlaf. Dabei können einzelne Körperstellen wie etwa Gesicht oder Arme betroffen sein, oder aber der ganze Körper. Der Zustand hält meist ein bis zwei Minuten an, ist allerdings nicht vergleichbar mit einer Ohnmacht, die mit Bewusstlosigkeit einhergeht – da die Patienten wach sind und mitbekommen, was um sie herum geschieht. Ein Betroffener schildert das in einer Broschüre der Deutschen Narkolepsie-Gesellschaft (DNG): „Du fällst um, ohne dass du etwas dagegen tun kannst; aber man ist noch voll da. (…) Man kann nur nichts sagen, sich nicht bewegen.“

Besonders problematisch: Die Kataplexien werden durch starke emotionale Reize ausgelöst – Freude, Überraschung, Ärger. Schon eine lustige Anekdote zu erzählen oder jemand anderem dabei zuzuhören, kann in einer Kataplexie münden. „Viele Patienten haben Strategien entwickelt, um sich in einer solchen Situation abzulenken“, sagt Ulrich Götze. Sie vermeiden den Blickkontakt, versuchen, äußerlich ernst zu bleiben, die Emotionen nicht zuzulassen. „Diese Methoden helfen manchmal. Aber Kataplexien komplett zu vermeiden, ist nicht möglich.“

Weitere Symptome der Narkolepsie sind Halluzinationen sowie Lähmungserscheinungen in der Einschlaf- oder Aufwachphase. Betroffene berichten, dass sich diese verstärkt in Rückenlage bemerkbar machen. Das könnte damit zusammenhängen, so Götze, dass bestimmte Symptome durch körperlichen Stress im Schlaf „getriggert“ (eingeleitet) werden können. Nun werden in Rückenlage, stark vereinfacht gesagt, die oberen Atemwege enger, sodass kurzzeitig weniger Sauerstoff in die Lungen strömt. Das Gehirn erzwingt dann Atemzüge, der Betroffene erwacht kurz, und das viele Male pro Nacht. Dieser Stress kann wiederum das Auftreten der Narkolepsiesymptome provozieren.

Der Krankheitsverlauf

Die Typ-I-Narkolepsie beginnt meist zwischen dem zehnten und 20. Lebensjahr und entwickelt sich schleichend über einen langen Zeitraum. Weil sie sich am Anfang meist nur mit ständiger Müdigkeit und verstärkter Einschlafneigung bemerkbar macht, und die Kataplexien erst im Verlauf hinzukommen, vergehen oft Jahre, bis Patienten ihre Diagnose kennen. Die Typ-II-Narkolepsie stellt sich bei vielen Patienten erst um das 35. Lebensjahr herum ein und ist noch schwieriger zu diagnostizieren. Bei beiden Typen können unterschiedliche Begleiterkrankungen auftreten, wie beispielsweise Adipositas, obstruktive Schlafapnoe, also Atemaussetzer im Schlaf, das PLM-Syndrom, bei dem periodische Beinbewegungen den Schlaf stören, Schlafwandeln und Depressionen – die sich aber auch erst infolge der Narkolepsie ausprägen können.

Die Ursachen

Obwohl das Krankheitsbild schon lange bekannt ist – erstmals beschrieb ein deutscher Arzt die Schlafattacken 1877 – weiß man wenig über die Ursachen. „Bei etwa 95 bis 98 Prozent der Patienten mit Typ-I-Narkolepsie lassen sich sogenannte HLA-Antigene feststellen“, so Ulrich Götze, was eine erbliche Komponente nahelege. Allerdings erkrankt umgekehrt nicht jeder, der besagte Antigene besitzt, auch an Narkolepsie.

Darüber hinaus kann bei Menschen mit der Typ-I-Variante im Nervenwasser ein Mangel des Botenstoffes Hypocretin nachgewiesen werden, der eine zentrale Rolle in der Regulation von Schlafen und Wachen spielt. „Man geht davon aus, dass es einen Mechanismus gibt, der die Hypocretin produzierenden Zellen im Gehirn zerstört – man kann es aber bisher nicht beweisen“, sagt Götze.

Zudem gibt es möglicherweise auch externe Risikofaktoren: So zeigte sich im Zusammenhang mit der Schweinegrippe-Pandemie in den Jahren 2009/2010 ein vermehrtes Auftreten von Narkolepsiefällen bei Kindern und Jugendlichen. Studien legten nahe, dass dieses möglicherweise auf den Grippe-Impfstoff Pandemrix zurückzuführen sei. Die Europäische Arzneimittelagentur gab 2011 deshalb die Empfehlung aus, Pandemrix bei Personen unter 20 nur anzuwenden, wenn die üblichen saisonalen Impfstoffe nicht zur Verfügung stehen. Eine andere Studie glaubt im Schweinegrippe-Erreger H1N1 selbst den Schuldigen gefunden zu haben – bislang konnte der Zusammenhang aber nur bei Mäusen gezeigt werden.

Die Therapie

Bis heute kann Narkolepsie nicht geheilt, sondern nur symptomatisch behandelt werden.

Zunächst helfe Betroffenen ganz grundsätzlich ein sehr regelmäßiger Tag-Nacht-Rhythmus, so Ulrich Götze. Wer zudem täglich eine bis drei kurze, je 15- bis 20-minütige Schlafpausen in seinen Alltag einbaue, könne damit die Müdigkeit verringern und seine Zeit ohne Einschlafattacken strecken.

Medikamentös lassen sich Müdigkeit und Einschlafneigung mittels verschiedener Stimulanzien verringern. „Manche Patienten nehmen die Präparate regelmäßig, andere nach Bedarf, etwa vor einer längeren Autofahrt.“ Gegen Kataplexien können Medikamente aus der Gruppe der trizyklischen Antidepressiva und ein Medikament namens Natriumoxybat helfen.