Berlin. Vier von fünf US-Präsidenten seit 1981 waren Linkshänder. Zufall oder Zeichen von Intelligenz? Wichtige Antworten rund um das Thema.

Im Duden für deutsche Redewendungen steht es noch geschrieben: das schöne Händchen. Die rechte Hand. Man gab sie zur Begrüßung, führte mit ihr Stift und Löffel. Die andere, die linke Hand, galt seit jeher als die schlechtere. Auch in der Sprache wird das deutlich: Jemand hat zwei linke Hände, verhält sich linkisch, ist link.

Es ist noch nicht lange her, da bereitete ein linkshändiges Kind seinen Eltern Sorgen. „Bis vor zehn Jahren hatte ich immer wieder verunsicherte Mütter und Väter bei mir in der Praxis“, erzählt der Düsseldorfer Kinder- und Jugendarzt Hermann Josef Kahl, der auch Sprecher des Berufsverbands der Kinder- und Jugendärzte (BVKJ) ist. Inzwischen ist Linkshändigkeit in Deutschland kein Makel mehr. Umgeschult wird kaum mehr ein Kind – viel zu tun sei aber noch immer, sagt Johanna Barbara Sattler, die seit 30 Jahren die erste deutsche Beratungs- und Informationsstelle für Linkshänder leitet. „In Schule und Beruf herrscht für Linkshänder keine Chancengleichheit.“

Nach Schätzungen sind mindestens 15 Prozent der Menschen Linkshänder. Verlässliche Daten gibt es nicht. Auch nicht darüber, warum ein Mensch linkshändig zur Welt kommt. „Wahrscheinlich ist die Entstehung der Händigkeit ein Zufallsprodukt, eine Spielart der Natur“, sagt Stefan Gutwinski, Neurowissenschaftler an der Psychiatrischen Universitätsklinik der Charité im St.-Hedwigs-Krankenhaus. Die Wissenschaft hat jedoch neben dem Zufall Mechanismen ausgemacht, die eine Linkshändigkeit zumindest begünstigen: etwa eine genetische Komponente, besonders wenn die Mutter linkshändig ist. „Aber das Linkshändergen gibt es so nicht“, betont Gutwinski. In sehr seltenen Fällen kann Linkshändigkeit womöglich auch Ausdruck von frühen Entwicklungsstörungen im Mutterleib sein.

Sonst wäre eine der Fähigkeiten verschwunden

In der Evolution scheint Linkshändigkeit weder im Vor- noch im Nachteil gegenüber der Rechtshändigkeit zu sein. „Sonst wäre im Verlauf der Zeit eine der beiden Fähigkeiten verschwunden. Es gibt stattdessen viele Hinweise darauf, dass es weder ein Zu- noch eine Abnahme der Linkshändigkeit gegeben hat“, sagt Gutwinski. Nach aktuellem Stand der Forschung halten sich Vor- und Nachteile die Waage: So könnte die Linkshändigkeit mit einem Überraschungsmoment punkten, was sich heute im Sport bemerkbar machen kann, früher im Kampf. Auch gibt es Hinweise auf einen höheren IQ oder ein musikalisches Talent. Gleichzeitig gibt es aber die Hypothese der Benachteiligung der Linkshändigkeit in einer Welt, die gemacht ist für Rechtshänder (Right-Sided-World-Hypothesis). Das Unfallrisiko ist höher, einige Studien beschreiben eine Verkürzung der Lebenszeit – durch Unfälle, aber auch durch eine Häufung bestimmter Krankheiten.

Warum aber der Anteil der Linkshänder nicht bei 50 Prozent liegt, wenn sich doch Nutzen und Risiken die Waage halten, gibt der Wissenschaft ein weiteres Rätsel auf. „Was wir immerhin wissen: Es ist offenbar effektiv und wichtig, eine dominante Hand zu haben“, sagt Gutwinski. Dabei seien die wenigsten Menschen reine Links- oder Rechtshänder. Aber eine ihrer Hirnhälften, jeweils die gekreuzte, dominiert. Wissenschaftlich spricht man von der Lateralisation des Gehirns, also einer Aufgabenteilung. Das hat vermutlich Vorteile. „Eine einseitige Steuerung vermindert Duplikationen neuronaler Funktionen“, erklärt Gutwinski. Prozesse können also effizienter ablaufen.

Hinweise und Theorien gibt es viele. Doch die Datenlage zu diesem Thema ist übersichtlich, die Mythen umso vielfältiger. Linkshänder seien intelligenter, kreativer, einfühlsamer. Gern werden prominente Beispiele herangezogen – vier von fünf US-Präsidenten seit 1981 waren Linkshänder, darunter Bill Clinton und Barack Obama. Auch Cäsar, Napoleon und Charlie Chaplin. „Und die Rechtshänder, die Großes bewirkt haben, lässt man einfach weg?“, merkt Johanna Barbara Sattler an. Sie hält wenig von Mythen, umso mehr von einem Bewusstsein für reale Probleme.

Eine Rückschulung ist mit Risiken verbunden

Die Probleme beginnen für Linkshänder bereits im Kindergarten. „Meist wird nicht darauf geachtet, wie das Blatt liegt, wie der Malstift geführt wird. Die Kinder kommen mit einer falschen Haltung in die Schule“, erklärt Sattler. Erzieher und Lehrer würden sich kaum explizit um Linkshänder kümmern.

Die „falsche Haltung“ ist die sogenannte Hakenhaltung, wie sie auch Barack Obama hat: Um zu verhindern, dass man die geschriebenen Worte mit der eigenen Hand verwischt, kommt der Stift von oben. Das hat vermeintlich einen weiteren Vorteil: Man sieht, was man schreibt. Aber die Hakenhaltung schmerzt, wenn Lehrer lange Texte diktieren. Die Kinder sitzen schief, kollidieren mit ihrem rechtshändigen Nachbarn. Sie fallen auf, sind oft langsamer beim Schreiben. „Das hat nichts mit Dummheit oder Nachlässigkeit zu tun“, sagt Sattler. Je nach Charakter des Kindes kann das aber zu Problemen mit dem Selbstwertgefühl führen.

Dass links oder rechts nicht einfach eine Frage der Stifthaltung ist, erlebt Sattler in ihrer Beratungsstelle. Zu ihr kommen Menschen, die infolge der Umschulung mit psychischen Problemen kämpfen. „Wer nicht seine von der Natur bevorzugte Hand benutzen durfte, kann zum Beispiel Wortfindungsstörungen entwickeln“, weiß die Psychologin, „genauso wie Konzentrationsschwierigkeiten oder Lese- und Rechtschreibprobleme. Das kann dazu führen, dass diese Menschen sich zurückziehen oder nicht ihren Wunschberuf ergreifen.“ Der Psychologe Ivo-Kurt Cizek wird häufig mit dem Satz zitiert, die Umschulung sei einer der „massivsten unblutigen Eingriffe ins Gehirn“.

Richtige Haltung schon im Vor- und Grundschulalter

Die neuronalen Folgen einer Umschulung seien bislang wissenschaftlich nicht fundiert belegt, sagt Neurowissenschaftler Gutwinski. „Aber es gibt Berichte von Betroffenen, die man sehr ernst nehmen sollte“, betont er. „Ganz abgesehen davon ist es völlig widersinnig, Menschen in ihrer Händigkeit umzuschulen. Denn die entsprechenden Hirnareale sind nun einmal auf der jeweiligen Seite besser ausgebildet.“

Deswegen bringt Sattler schon Vor- und Grundschulkindern eine richtige Haltung bei – zu sich selbst und zum Stift. „Ich sage den Kindern: ‚Das ist etwas Normales, und ihr habt ein Recht darauf, dass man euch entgegenkommt.‘“Auch Kinderarzt Kahl rät Eltern, ihr Kind zu fördern. „Es gilt ja grundsätzlich die Regel: Kinder müssen in ihren Fähigkeiten unterstützt werden. Linkshändigkeit ist eine Fähigkeit.“

In ihrer Beratungsstelle schult Sattler auch Menschen zurück, bringt ihnen bei, mit der linken Hand zu schreiben, zum Teil Jahrzehnte, nachdem sie Schreiben gelernt haben. Das kann bis zu zwei Jahre dauern und ist nicht frei von Risiken. Längst vergessene Erfahrungen könnten zum Vorschein kommen, Krankheiten könnten verstärkt werden oder ausbrechen, sagt Sattler. „Eine Rückschulung ist nicht zu unterschätzen. Sie ist ein Eingriff ins Gehirn“, sagt sie. Doch sie kann sich lohnen. Ein Mann habe ihr einmal gesagt, er sei endlich bei sich angekommen.